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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal.

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Die Kaiserwahl von: Jahre !^5^9 und Uarls V. Anfänge.

So erlebte man es, daß 1319 die zwei mächtigsten Herrscher von West¬
europa gleichzeitig nach der erledigten Krone strebten, Karl I. von Spanien und
Franz I. von Frankreich. Sie waren freilich nicht die einzigen, welche in Be¬
tracht kamen; Maximilian I. hatte selbst seinem Bundesgenossen Heinrich VIII.
von England wiederholt Aussichten gemacht, daß er, da sein Enkel Karl aus
Furcht vor einem Zerwürfnis mit Frankreich den Titel nicht annehmen wolle,
ihm dazu verhelfen werde, und der König hatte die Unterstützung des Kaisers
in Oberitalien nach der Schlacht von Marigncmo sich anderthalb Millionen
Kronen kosten lassen. Später hatte der geriebene alte Kaiser auch den König
Ludwig von Ungarn mit ähnlichen Vorspiegelungen gekirrt: aber am Ende
blieben doch jene beiden Bewerber allein übrig, weil weder der Engländer noch
der Ungar ejue solche Bedeutung sür Deutschland besaßen wie Karl und Franz:
sie wurden zu leicht befunden und schieden aus dem Spiele aus, Heinrich VIII.
zur großen Genugthuung seiner einsichtigeren Ratgeber selbst, von denen Tuustall
mit Recht bemerkte: die englische Krone sei mehr wert als die deutsche, werde
aber eventuell doch nur ein Anhängsel der letztern bilden.

Wir wissen, daß Maximilian auf dem Augsburger Reichstage im August
1518 am Ende es durchgesetzt hatte, daß vier Kurfürsten seinen Enkel Karl I.
von Kastilien zum römischen Könige erwählen zu wollen verhießen. Triumphirend
konnte Hütten an Joachim von Maltzau schreiben: alle Stimmen seien gegen König
Franz; selbst die böhmische Stimme, welche König Sigismund von Polen in
vormuudschaftlichcr Stellung vertrat, ward gewonnen. Aber indem Maximilian
n"i 12. Januar 1619 unerwartet früh starb, zerrann der ganze dhuastische Er¬
folg wieder in nichts; der Kampf begann aufs neue: diesmal nicht um die
Würde des römischen Königs, sondern um die des Kaisers selbst.

"Nun ist der tot -- klagte Heinrich von Nassau --, der die Dinge leiten und
bestimmen konnte, der geliebt und gefürchtet war; nun hat die Sache eine andre
Gestalt."

Der König von Frankreich trat sofort offen auf den Schauplatz. Bei der
Frage der Königswahl hatte er sich noch zurückgehalten und insgeheim gewühlt;
jetzt erschien es ihm richtiger, über seine Absichten keinen Zweifel bestehen zu
lassen; es war möglich, daß man durch Furcht die Unentschlossenen bestimmte.
Als ihm Karl I. durch ein Schreiben kuudthat, daß er die Kaiserkrone zu er¬
langen wünsche, da erwiederte er: der gleiche Wunsch beseele ihn selbst; er soll
hinzugefügt haben: er und Karl seien zwei Freunde, die um die Gunst einer
Fran würden; als solchen gezieme ihnen keine Feindschaft gegeneinander; wem
sie auch endlich ihre Gunst schenke, sie wollten deshalb nicht aufhören, Freunde
zu sein.

Alsbald wurde Deutschland mit französischen Agenten übersät, welche überall
mit jedem Mittel für ihren König wirkten; offiziell erschienen in seinem Namen
drei Gesandte: Jean d'Albret, Herr von Orvcch dann Charles Guillard, Pra-


Die Kaiserwahl von: Jahre !^5^9 und Uarls V. Anfänge.

So erlebte man es, daß 1319 die zwei mächtigsten Herrscher von West¬
europa gleichzeitig nach der erledigten Krone strebten, Karl I. von Spanien und
Franz I. von Frankreich. Sie waren freilich nicht die einzigen, welche in Be¬
tracht kamen; Maximilian I. hatte selbst seinem Bundesgenossen Heinrich VIII.
von England wiederholt Aussichten gemacht, daß er, da sein Enkel Karl aus
Furcht vor einem Zerwürfnis mit Frankreich den Titel nicht annehmen wolle,
ihm dazu verhelfen werde, und der König hatte die Unterstützung des Kaisers
in Oberitalien nach der Schlacht von Marigncmo sich anderthalb Millionen
Kronen kosten lassen. Später hatte der geriebene alte Kaiser auch den König
Ludwig von Ungarn mit ähnlichen Vorspiegelungen gekirrt: aber am Ende
blieben doch jene beiden Bewerber allein übrig, weil weder der Engländer noch
der Ungar ejue solche Bedeutung sür Deutschland besaßen wie Karl und Franz:
sie wurden zu leicht befunden und schieden aus dem Spiele aus, Heinrich VIII.
zur großen Genugthuung seiner einsichtigeren Ratgeber selbst, von denen Tuustall
mit Recht bemerkte: die englische Krone sei mehr wert als die deutsche, werde
aber eventuell doch nur ein Anhängsel der letztern bilden.

Wir wissen, daß Maximilian auf dem Augsburger Reichstage im August
1518 am Ende es durchgesetzt hatte, daß vier Kurfürsten seinen Enkel Karl I.
von Kastilien zum römischen Könige erwählen zu wollen verhießen. Triumphirend
konnte Hütten an Joachim von Maltzau schreiben: alle Stimmen seien gegen König
Franz; selbst die böhmische Stimme, welche König Sigismund von Polen in
vormuudschaftlichcr Stellung vertrat, ward gewonnen. Aber indem Maximilian
n»i 12. Januar 1619 unerwartet früh starb, zerrann der ganze dhuastische Er¬
folg wieder in nichts; der Kampf begann aufs neue: diesmal nicht um die
Würde des römischen Königs, sondern um die des Kaisers selbst.

„Nun ist der tot — klagte Heinrich von Nassau —, der die Dinge leiten und
bestimmen konnte, der geliebt und gefürchtet war; nun hat die Sache eine andre
Gestalt."

Der König von Frankreich trat sofort offen auf den Schauplatz. Bei der
Frage der Königswahl hatte er sich noch zurückgehalten und insgeheim gewühlt;
jetzt erschien es ihm richtiger, über seine Absichten keinen Zweifel bestehen zu
lassen; es war möglich, daß man durch Furcht die Unentschlossenen bestimmte.
Als ihm Karl I. durch ein Schreiben kuudthat, daß er die Kaiserkrone zu er¬
langen wünsche, da erwiederte er: der gleiche Wunsch beseele ihn selbst; er soll
hinzugefügt haben: er und Karl seien zwei Freunde, die um die Gunst einer
Fran würden; als solchen gezieme ihnen keine Feindschaft gegeneinander; wem
sie auch endlich ihre Gunst schenke, sie wollten deshalb nicht aufhören, Freunde
zu sein.

Alsbald wurde Deutschland mit französischen Agenten übersät, welche überall
mit jedem Mittel für ihren König wirkten; offiziell erschienen in seinem Namen
drei Gesandte: Jean d'Albret, Herr von Orvcch dann Charles Guillard, Pra-


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[0317] Die Kaiserwahl von: Jahre !^5^9 und Uarls V. Anfänge. So erlebte man es, daß 1319 die zwei mächtigsten Herrscher von West¬ europa gleichzeitig nach der erledigten Krone strebten, Karl I. von Spanien und Franz I. von Frankreich. Sie waren freilich nicht die einzigen, welche in Be¬ tracht kamen; Maximilian I. hatte selbst seinem Bundesgenossen Heinrich VIII. von England wiederholt Aussichten gemacht, daß er, da sein Enkel Karl aus Furcht vor einem Zerwürfnis mit Frankreich den Titel nicht annehmen wolle, ihm dazu verhelfen werde, und der König hatte die Unterstützung des Kaisers in Oberitalien nach der Schlacht von Marigncmo sich anderthalb Millionen Kronen kosten lassen. Später hatte der geriebene alte Kaiser auch den König Ludwig von Ungarn mit ähnlichen Vorspiegelungen gekirrt: aber am Ende blieben doch jene beiden Bewerber allein übrig, weil weder der Engländer noch der Ungar ejue solche Bedeutung sür Deutschland besaßen wie Karl und Franz: sie wurden zu leicht befunden und schieden aus dem Spiele aus, Heinrich VIII. zur großen Genugthuung seiner einsichtigeren Ratgeber selbst, von denen Tuustall mit Recht bemerkte: die englische Krone sei mehr wert als die deutsche, werde aber eventuell doch nur ein Anhängsel der letztern bilden. Wir wissen, daß Maximilian auf dem Augsburger Reichstage im August 1518 am Ende es durchgesetzt hatte, daß vier Kurfürsten seinen Enkel Karl I. von Kastilien zum römischen Könige erwählen zu wollen verhießen. Triumphirend konnte Hütten an Joachim von Maltzau schreiben: alle Stimmen seien gegen König Franz; selbst die böhmische Stimme, welche König Sigismund von Polen in vormuudschaftlichcr Stellung vertrat, ward gewonnen. Aber indem Maximilian n»i 12. Januar 1619 unerwartet früh starb, zerrann der ganze dhuastische Er¬ folg wieder in nichts; der Kampf begann aufs neue: diesmal nicht um die Würde des römischen Königs, sondern um die des Kaisers selbst. „Nun ist der tot — klagte Heinrich von Nassau —, der die Dinge leiten und bestimmen konnte, der geliebt und gefürchtet war; nun hat die Sache eine andre Gestalt." Der König von Frankreich trat sofort offen auf den Schauplatz. Bei der Frage der Königswahl hatte er sich noch zurückgehalten und insgeheim gewühlt; jetzt erschien es ihm richtiger, über seine Absichten keinen Zweifel bestehen zu lassen; es war möglich, daß man durch Furcht die Unentschlossenen bestimmte. Als ihm Karl I. durch ein Schreiben kuudthat, daß er die Kaiserkrone zu er¬ langen wünsche, da erwiederte er: der gleiche Wunsch beseele ihn selbst; er soll hinzugefügt haben: er und Karl seien zwei Freunde, die um die Gunst einer Fran würden; als solchen gezieme ihnen keine Feindschaft gegeneinander; wem sie auch endlich ihre Gunst schenke, sie wollten deshalb nicht aufhören, Freunde zu sein. Alsbald wurde Deutschland mit französischen Agenten übersät, welche überall mit jedem Mittel für ihren König wirkten; offiziell erschienen in seinem Namen drei Gesandte: Jean d'Albret, Herr von Orvcch dann Charles Guillard, Pra-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198719/317>, abgerufen am 22.07.2024.