Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Etwas über Sklaverei.

Jahrhundert des Handels und der Berührung mit Europäern hervorgebracht
hat. Und wie wird dennoch dieses Gebiet in England geschildert? Nun, als
ein Feld "reif zur Ernte." Der Afrikaner wird geschildert als von unsrer Re¬
gierung eine mehr geordnete Verwaltung erwartend; als zu den Kirchen rufend:
"Kommt herüber und Helftuns"; zu den Kaufleuten: "Wir haben Öl, Kautschuk
und Elfenbein, gebt uns zum Tausch Eure Kleider und Schmiedewaaren" --
"Ihr sehet uns nackend und kleidet uns nicht"; zu den Philanthropen: "Wir
sind fähig und willig zur Arbeit, kommt nur und weist uns den Weg." Ich
bitte, bannt all solchen Schutt aus euerm Denken. Es ist einfach Fabel."

Nicht viel anders sind die Zustände in dem zweiten aus und mit mi߬
verstandener Humanität gegründeten freien Negerstaate, in Hapel. Diese herrliche,
einst reiche Insel ist unter der Negerregierung allmählich zu den elendesten Zu¬
stünden herabgesunken, verwildert immer mehr und steht jedem weißen Er¬
oberer offen, der sie ohne Rücksicht auf die Eifersucht andrer Staaten etwa
nehmen wollte. Und doch waren diese Neger wenigstens einmal schon "zur
Kultur erzogen," hatten wenigstens als Sklaven Kulturzustände kennen gelernt.
Wo die Emanzipation stattgefunden hat, da hat man bisher diesen Erfolg ge¬
habt, daß der Neger, sich selbst überlassen, unter den sittlichen Zustand zurück¬
sank, den er in völliger Wildheit einnahm. Und wo er nicht ganz sich selbst
überlassen war, da sank wenigstens die Kultur des Landes durch Arbeitsmangel
herab. Freilich, die klugen Engländer, die den Ruhm dieser Sklavenemanzipation
eingestrichen haben, die wissen sich zu helfen, indem sie Kukis benutzen. Beileibe
nur keine Sklaven! heißt es da, das wäre sündhaft, Englands unwürdig! Aber
Kukis, freie, würdige Männer, die auf freien Kontrakt sich als Arbeiter ver¬
dingen, die darf man gebrauchen und mißbrauchen, wie es jedem gefällt. Trotz
mancher Erlasse gegen den Kulihandel wird in vielen Kolonien Englands der¬
selbe munter fortgetrieben. In der Südsee, in Neuholland, in Jamaika, Indien,
Afrika arbeitet der indische oder chinesische Kuli unter englischer Herrschaft. Und
wer hat es besser, der Kuli oder der schwarze Sklave? Wir haben leider stets
die Schauerbilder aus Onkel Toms Hütte noch im Kopf. Aber wollte man
heute solch einen Roman aus dem Kulileben schreiben, so könnte er sicher ebenso
schaurig werden. Ist denn das nicht wieder eine freche Lüge, daß der Kuli ein
freier Mann sei? Ist denn die Gewalt, welche Geld und Kontrakt dem Farmer
oder Fabrikanten in Tasmanien, Kalifornien, Jamaika über den Kuli gewähren,
nicht ebenso groß wie die Gewalt des Sklavenhalters? Und der Sklavenhalter
hat wenigstens ein Interesse an Leben und Wohlergehen seiner Sklaven; der
Kuli aber mag verröcheln, seinem Herrn bringt das geringen oder keinen Schaden.
Es hat stets gute und schlechte Sklavenhalter gegeben, und gute und schlechte
Herren ihrer Kuliarbeiter. Aber das Institut der Sklaverei war wahrlich nicht
grausamer als die moderne Kuliwirtschaft. Viele verlangen, man solle die Neger
zur Arbeit erziehen, indem man ihre Bedürfnisse steigere. Das kann doch unter


Etwas über Sklaverei.

Jahrhundert des Handels und der Berührung mit Europäern hervorgebracht
hat. Und wie wird dennoch dieses Gebiet in England geschildert? Nun, als
ein Feld »reif zur Ernte.« Der Afrikaner wird geschildert als von unsrer Re¬
gierung eine mehr geordnete Verwaltung erwartend; als zu den Kirchen rufend:
»Kommt herüber und Helftuns«; zu den Kaufleuten: »Wir haben Öl, Kautschuk
und Elfenbein, gebt uns zum Tausch Eure Kleider und Schmiedewaaren« —
»Ihr sehet uns nackend und kleidet uns nicht«; zu den Philanthropen: »Wir
sind fähig und willig zur Arbeit, kommt nur und weist uns den Weg.« Ich
bitte, bannt all solchen Schutt aus euerm Denken. Es ist einfach Fabel."

Nicht viel anders sind die Zustände in dem zweiten aus und mit mi߬
verstandener Humanität gegründeten freien Negerstaate, in Hapel. Diese herrliche,
einst reiche Insel ist unter der Negerregierung allmählich zu den elendesten Zu¬
stünden herabgesunken, verwildert immer mehr und steht jedem weißen Er¬
oberer offen, der sie ohne Rücksicht auf die Eifersucht andrer Staaten etwa
nehmen wollte. Und doch waren diese Neger wenigstens einmal schon „zur
Kultur erzogen," hatten wenigstens als Sklaven Kulturzustände kennen gelernt.
Wo die Emanzipation stattgefunden hat, da hat man bisher diesen Erfolg ge¬
habt, daß der Neger, sich selbst überlassen, unter den sittlichen Zustand zurück¬
sank, den er in völliger Wildheit einnahm. Und wo er nicht ganz sich selbst
überlassen war, da sank wenigstens die Kultur des Landes durch Arbeitsmangel
herab. Freilich, die klugen Engländer, die den Ruhm dieser Sklavenemanzipation
eingestrichen haben, die wissen sich zu helfen, indem sie Kukis benutzen. Beileibe
nur keine Sklaven! heißt es da, das wäre sündhaft, Englands unwürdig! Aber
Kukis, freie, würdige Männer, die auf freien Kontrakt sich als Arbeiter ver¬
dingen, die darf man gebrauchen und mißbrauchen, wie es jedem gefällt. Trotz
mancher Erlasse gegen den Kulihandel wird in vielen Kolonien Englands der¬
selbe munter fortgetrieben. In der Südsee, in Neuholland, in Jamaika, Indien,
Afrika arbeitet der indische oder chinesische Kuli unter englischer Herrschaft. Und
wer hat es besser, der Kuli oder der schwarze Sklave? Wir haben leider stets
die Schauerbilder aus Onkel Toms Hütte noch im Kopf. Aber wollte man
heute solch einen Roman aus dem Kulileben schreiben, so könnte er sicher ebenso
schaurig werden. Ist denn das nicht wieder eine freche Lüge, daß der Kuli ein
freier Mann sei? Ist denn die Gewalt, welche Geld und Kontrakt dem Farmer
oder Fabrikanten in Tasmanien, Kalifornien, Jamaika über den Kuli gewähren,
nicht ebenso groß wie die Gewalt des Sklavenhalters? Und der Sklavenhalter
hat wenigstens ein Interesse an Leben und Wohlergehen seiner Sklaven; der
Kuli aber mag verröcheln, seinem Herrn bringt das geringen oder keinen Schaden.
Es hat stets gute und schlechte Sklavenhalter gegeben, und gute und schlechte
Herren ihrer Kuliarbeiter. Aber das Institut der Sklaverei war wahrlich nicht
grausamer als die moderne Kuliwirtschaft. Viele verlangen, man solle die Neger
zur Arbeit erziehen, indem man ihre Bedürfnisse steigere. Das kann doch unter


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0309" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/199029"/>
          <fw type="header" place="top"> Etwas über Sklaverei.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_855" prev="#ID_854"> Jahrhundert des Handels und der Berührung mit Europäern hervorgebracht<lb/>
hat. Und wie wird dennoch dieses Gebiet in England geschildert? Nun, als<lb/>
ein Feld »reif zur Ernte.« Der Afrikaner wird geschildert als von unsrer Re¬<lb/>
gierung eine mehr geordnete Verwaltung erwartend; als zu den Kirchen rufend:<lb/>
»Kommt herüber und Helftuns«; zu den Kaufleuten: »Wir haben Öl, Kautschuk<lb/>
und Elfenbein, gebt uns zum Tausch Eure Kleider und Schmiedewaaren« &#x2014;<lb/>
»Ihr sehet uns nackend und kleidet uns nicht«; zu den Philanthropen: »Wir<lb/>
sind fähig und willig zur Arbeit, kommt nur und weist uns den Weg.« Ich<lb/>
bitte, bannt all solchen Schutt aus euerm Denken.  Es ist einfach Fabel."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_856" next="#ID_857"> Nicht viel anders sind die Zustände in dem zweiten aus und mit mi߬<lb/>
verstandener Humanität gegründeten freien Negerstaate, in Hapel. Diese herrliche,<lb/>
einst reiche Insel ist unter der Negerregierung allmählich zu den elendesten Zu¬<lb/>
stünden herabgesunken, verwildert immer mehr und steht jedem weißen Er¬<lb/>
oberer offen, der sie ohne Rücksicht auf die Eifersucht andrer Staaten etwa<lb/>
nehmen wollte. Und doch waren diese Neger wenigstens einmal schon &#x201E;zur<lb/>
Kultur erzogen," hatten wenigstens als Sklaven Kulturzustände kennen gelernt.<lb/>
Wo die Emanzipation stattgefunden hat, da hat man bisher diesen Erfolg ge¬<lb/>
habt, daß der Neger, sich selbst überlassen, unter den sittlichen Zustand zurück¬<lb/>
sank, den er in völliger Wildheit einnahm. Und wo er nicht ganz sich selbst<lb/>
überlassen war, da sank wenigstens die Kultur des Landes durch Arbeitsmangel<lb/>
herab. Freilich, die klugen Engländer, die den Ruhm dieser Sklavenemanzipation<lb/>
eingestrichen haben, die wissen sich zu helfen, indem sie Kukis benutzen. Beileibe<lb/>
nur keine Sklaven! heißt es da, das wäre sündhaft, Englands unwürdig! Aber<lb/>
Kukis, freie, würdige Männer, die auf freien Kontrakt sich als Arbeiter ver¬<lb/>
dingen, die darf man gebrauchen und mißbrauchen, wie es jedem gefällt. Trotz<lb/>
mancher Erlasse gegen den Kulihandel wird in vielen Kolonien Englands der¬<lb/>
selbe munter fortgetrieben. In der Südsee, in Neuholland, in Jamaika, Indien,<lb/>
Afrika arbeitet der indische oder chinesische Kuli unter englischer Herrschaft. Und<lb/>
wer hat es besser, der Kuli oder der schwarze Sklave? Wir haben leider stets<lb/>
die Schauerbilder aus Onkel Toms Hütte noch im Kopf. Aber wollte man<lb/>
heute solch einen Roman aus dem Kulileben schreiben, so könnte er sicher ebenso<lb/>
schaurig werden. Ist denn das nicht wieder eine freche Lüge, daß der Kuli ein<lb/>
freier Mann sei? Ist denn die Gewalt, welche Geld und Kontrakt dem Farmer<lb/>
oder Fabrikanten in Tasmanien, Kalifornien, Jamaika über den Kuli gewähren,<lb/>
nicht ebenso groß wie die Gewalt des Sklavenhalters? Und der Sklavenhalter<lb/>
hat wenigstens ein Interesse an Leben und Wohlergehen seiner Sklaven; der<lb/>
Kuli aber mag verröcheln, seinem Herrn bringt das geringen oder keinen Schaden.<lb/>
Es hat stets gute und schlechte Sklavenhalter gegeben, und gute und schlechte<lb/>
Herren ihrer Kuliarbeiter. Aber das Institut der Sklaverei war wahrlich nicht<lb/>
grausamer als die moderne Kuliwirtschaft. Viele verlangen, man solle die Neger<lb/>
zur Arbeit erziehen, indem man ihre Bedürfnisse steigere. Das kann doch unter</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0309] Etwas über Sklaverei. Jahrhundert des Handels und der Berührung mit Europäern hervorgebracht hat. Und wie wird dennoch dieses Gebiet in England geschildert? Nun, als ein Feld »reif zur Ernte.« Der Afrikaner wird geschildert als von unsrer Re¬ gierung eine mehr geordnete Verwaltung erwartend; als zu den Kirchen rufend: »Kommt herüber und Helftuns«; zu den Kaufleuten: »Wir haben Öl, Kautschuk und Elfenbein, gebt uns zum Tausch Eure Kleider und Schmiedewaaren« — »Ihr sehet uns nackend und kleidet uns nicht«; zu den Philanthropen: »Wir sind fähig und willig zur Arbeit, kommt nur und weist uns den Weg.« Ich bitte, bannt all solchen Schutt aus euerm Denken. Es ist einfach Fabel." Nicht viel anders sind die Zustände in dem zweiten aus und mit mi߬ verstandener Humanität gegründeten freien Negerstaate, in Hapel. Diese herrliche, einst reiche Insel ist unter der Negerregierung allmählich zu den elendesten Zu¬ stünden herabgesunken, verwildert immer mehr und steht jedem weißen Er¬ oberer offen, der sie ohne Rücksicht auf die Eifersucht andrer Staaten etwa nehmen wollte. Und doch waren diese Neger wenigstens einmal schon „zur Kultur erzogen," hatten wenigstens als Sklaven Kulturzustände kennen gelernt. Wo die Emanzipation stattgefunden hat, da hat man bisher diesen Erfolg ge¬ habt, daß der Neger, sich selbst überlassen, unter den sittlichen Zustand zurück¬ sank, den er in völliger Wildheit einnahm. Und wo er nicht ganz sich selbst überlassen war, da sank wenigstens die Kultur des Landes durch Arbeitsmangel herab. Freilich, die klugen Engländer, die den Ruhm dieser Sklavenemanzipation eingestrichen haben, die wissen sich zu helfen, indem sie Kukis benutzen. Beileibe nur keine Sklaven! heißt es da, das wäre sündhaft, Englands unwürdig! Aber Kukis, freie, würdige Männer, die auf freien Kontrakt sich als Arbeiter ver¬ dingen, die darf man gebrauchen und mißbrauchen, wie es jedem gefällt. Trotz mancher Erlasse gegen den Kulihandel wird in vielen Kolonien Englands der¬ selbe munter fortgetrieben. In der Südsee, in Neuholland, in Jamaika, Indien, Afrika arbeitet der indische oder chinesische Kuli unter englischer Herrschaft. Und wer hat es besser, der Kuli oder der schwarze Sklave? Wir haben leider stets die Schauerbilder aus Onkel Toms Hütte noch im Kopf. Aber wollte man heute solch einen Roman aus dem Kulileben schreiben, so könnte er sicher ebenso schaurig werden. Ist denn das nicht wieder eine freche Lüge, daß der Kuli ein freier Mann sei? Ist denn die Gewalt, welche Geld und Kontrakt dem Farmer oder Fabrikanten in Tasmanien, Kalifornien, Jamaika über den Kuli gewähren, nicht ebenso groß wie die Gewalt des Sklavenhalters? Und der Sklavenhalter hat wenigstens ein Interesse an Leben und Wohlergehen seiner Sklaven; der Kuli aber mag verröcheln, seinem Herrn bringt das geringen oder keinen Schaden. Es hat stets gute und schlechte Sklavenhalter gegeben, und gute und schlechte Herren ihrer Kuliarbeiter. Aber das Institut der Sklaverei war wahrlich nicht grausamer als die moderne Kuliwirtschaft. Viele verlangen, man solle die Neger zur Arbeit erziehen, indem man ihre Bedürfnisse steigere. Das kann doch unter

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198719
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198719/309
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198719/309>, abgerufen am 22.07.2024.