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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal.

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Etwas über Sklaverei.

Mail sollte sich vor eilten darüber klar werden: Wollen wir die Neger
zu Arbeit und Kultur zwingen oder nicht? Ich habe gegen diejenigen nichts
zu sagen, welche der Meinung sind: lieber mögen die Neger in ihrer Wildheit
bleiben, ehe wir ihnen mit Gewalt die Kultur aufzwingen. Das ist klare Sache;
dabei hat man einfach alle Kolonisation in den Tropen und in dem größten
Teile des subtropischen Afrikas, Asiens und der Südsee für lange hinaus auf¬
zugeben. Diese Leute wollen eben keine Kultur der Neger und andrer Wilden.
Ich aber will dieselbe. Ich bin meinesteils keineswegs jener Meinung von der Un-
sittlichkeit der Gewalt, sondern halte Gewalt für ein vortreffliches und sehr sitt¬
liches Mittel, um Neger, Papuas u. s. w. in unsre europäischen Interessen hinein-
zuzwingen. Es kommt nur auf die Weise an, wie die Gewalt geübt wird.

Sehe man sich doch ein wenig um in einigen Ländern, wo man mit großer
Selbstzufriedenheit die Sklaverei seit einigen Jahrzehnten verfehMt hat, und
prüfe genau die Folge". Sind denn wirklich Gewalt, Rohheit, Grausamkeit
überall verschwunden, indem man die Sklaverei verbot? Ist die Kultur dadurch
gefördert, sind die arbeitenden oder die besitzenden Klassen sittlich oder materiell
gebessert worden? Keineswegs! Die Südstaaten von Nordamerika sind ruinirt
worden, Brasiliens Plantagen verfallen, Hahtis Reichtum ist geschwunden, Liberia
ist eine Dicbshöhle geworden, kurz, in den Tropen ist die Kultur überall dort
zurückgegangen, wo man die Sklaverei rechtlich oder thatsächlich abgeschafft hat,
ohne daß man den Sklaven zuvor zur Freiheit erzogen, das Land für freie
Arbeit vorbereitet hätte. Wie es in den freien Negerstaaten aussieht, gestehen
die Engländer, welche sie frei machten, heute selbst mit Kopfschütteln ein. In
der ^.trieM ^inuzs vom 1. Januar d. I. werden aus einem andern Blatte
(dooä voräs) die Äußerungen eines Herrn Thomson angeführt, welcher die
Küste von Westafrika bereist hat. Er sagt: "Meine Reise längs der afrikanischen
Küste und meine Besuche in allen Hanptplätzen haben mich tief erschreckt. Ich
bereitete mich mit Freuden auf das Studium des Einflusses vor, welchen ein
Jahrhundert der Berührung mit der Zivilisation auf die wilde" Stämme der
Küste werde geübt haben. Das Ergebnis ist eine unaussprechliche Enttäuschung
gewesen. Von den Städten Sierra Leone und Lagos abgesehen, wo die Be¬
dingungen abnorme gewesen sind, ist überall die Tendenz in der Richtung ans
Verschlechterung gewesen. Es giebt absolut keinen einzigen Ort, wo die Ein-
gebornen ihrem eignen freien Wille" überlassen waren, an welchem sich das
leiseste Zeiche" eiues Wunsches nach Besserung der Dinge gezeigt hätte. Die
schlimmsten Laster und Krankheiten Europas haben einen fruchtbaren Boden ge¬
funden, und der Geschmack für Spirituosen ist außer allem Verhältnis zu dem
Wunsche nach Bekleidung gestiegen -- für viele das Kriterium des Wachstums
in der Gnade----In diesen Dörfern folgen euch Männer, Weiber und Kinder,
mit kaum einem Fetzen auf dem Leibe, um etwas Gin oder Tabak bettelnd.
Ewig Gin, Tabak oder Pulver! Das sind die einzigen Bedürfnisse, welche ein


Etwas über Sklaverei.

Mail sollte sich vor eilten darüber klar werden: Wollen wir die Neger
zu Arbeit und Kultur zwingen oder nicht? Ich habe gegen diejenigen nichts
zu sagen, welche der Meinung sind: lieber mögen die Neger in ihrer Wildheit
bleiben, ehe wir ihnen mit Gewalt die Kultur aufzwingen. Das ist klare Sache;
dabei hat man einfach alle Kolonisation in den Tropen und in dem größten
Teile des subtropischen Afrikas, Asiens und der Südsee für lange hinaus auf¬
zugeben. Diese Leute wollen eben keine Kultur der Neger und andrer Wilden.
Ich aber will dieselbe. Ich bin meinesteils keineswegs jener Meinung von der Un-
sittlichkeit der Gewalt, sondern halte Gewalt für ein vortreffliches und sehr sitt¬
liches Mittel, um Neger, Papuas u. s. w. in unsre europäischen Interessen hinein-
zuzwingen. Es kommt nur auf die Weise an, wie die Gewalt geübt wird.

Sehe man sich doch ein wenig um in einigen Ländern, wo man mit großer
Selbstzufriedenheit die Sklaverei seit einigen Jahrzehnten verfehMt hat, und
prüfe genau die Folge». Sind denn wirklich Gewalt, Rohheit, Grausamkeit
überall verschwunden, indem man die Sklaverei verbot? Ist die Kultur dadurch
gefördert, sind die arbeitenden oder die besitzenden Klassen sittlich oder materiell
gebessert worden? Keineswegs! Die Südstaaten von Nordamerika sind ruinirt
worden, Brasiliens Plantagen verfallen, Hahtis Reichtum ist geschwunden, Liberia
ist eine Dicbshöhle geworden, kurz, in den Tropen ist die Kultur überall dort
zurückgegangen, wo man die Sklaverei rechtlich oder thatsächlich abgeschafft hat,
ohne daß man den Sklaven zuvor zur Freiheit erzogen, das Land für freie
Arbeit vorbereitet hätte. Wie es in den freien Negerstaaten aussieht, gestehen
die Engländer, welche sie frei machten, heute selbst mit Kopfschütteln ein. In
der ^.trieM ^inuzs vom 1. Januar d. I. werden aus einem andern Blatte
(dooä voräs) die Äußerungen eines Herrn Thomson angeführt, welcher die
Küste von Westafrika bereist hat. Er sagt: „Meine Reise längs der afrikanischen
Küste und meine Besuche in allen Hanptplätzen haben mich tief erschreckt. Ich
bereitete mich mit Freuden auf das Studium des Einflusses vor, welchen ein
Jahrhundert der Berührung mit der Zivilisation auf die wilde» Stämme der
Küste werde geübt haben. Das Ergebnis ist eine unaussprechliche Enttäuschung
gewesen. Von den Städten Sierra Leone und Lagos abgesehen, wo die Be¬
dingungen abnorme gewesen sind, ist überall die Tendenz in der Richtung ans
Verschlechterung gewesen. Es giebt absolut keinen einzigen Ort, wo die Ein-
gebornen ihrem eignen freien Wille» überlassen waren, an welchem sich das
leiseste Zeiche» eiues Wunsches nach Besserung der Dinge gezeigt hätte. Die
schlimmsten Laster und Krankheiten Europas haben einen fruchtbaren Boden ge¬
funden, und der Geschmack für Spirituosen ist außer allem Verhältnis zu dem
Wunsche nach Bekleidung gestiegen — für viele das Kriterium des Wachstums
in der Gnade----In diesen Dörfern folgen euch Männer, Weiber und Kinder,
mit kaum einem Fetzen auf dem Leibe, um etwas Gin oder Tabak bettelnd.
Ewig Gin, Tabak oder Pulver! Das sind die einzigen Bedürfnisse, welche ein


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[0308] Etwas über Sklaverei. Mail sollte sich vor eilten darüber klar werden: Wollen wir die Neger zu Arbeit und Kultur zwingen oder nicht? Ich habe gegen diejenigen nichts zu sagen, welche der Meinung sind: lieber mögen die Neger in ihrer Wildheit bleiben, ehe wir ihnen mit Gewalt die Kultur aufzwingen. Das ist klare Sache; dabei hat man einfach alle Kolonisation in den Tropen und in dem größten Teile des subtropischen Afrikas, Asiens und der Südsee für lange hinaus auf¬ zugeben. Diese Leute wollen eben keine Kultur der Neger und andrer Wilden. Ich aber will dieselbe. Ich bin meinesteils keineswegs jener Meinung von der Un- sittlichkeit der Gewalt, sondern halte Gewalt für ein vortreffliches und sehr sitt¬ liches Mittel, um Neger, Papuas u. s. w. in unsre europäischen Interessen hinein- zuzwingen. Es kommt nur auf die Weise an, wie die Gewalt geübt wird. Sehe man sich doch ein wenig um in einigen Ländern, wo man mit großer Selbstzufriedenheit die Sklaverei seit einigen Jahrzehnten verfehMt hat, und prüfe genau die Folge». Sind denn wirklich Gewalt, Rohheit, Grausamkeit überall verschwunden, indem man die Sklaverei verbot? Ist die Kultur dadurch gefördert, sind die arbeitenden oder die besitzenden Klassen sittlich oder materiell gebessert worden? Keineswegs! Die Südstaaten von Nordamerika sind ruinirt worden, Brasiliens Plantagen verfallen, Hahtis Reichtum ist geschwunden, Liberia ist eine Dicbshöhle geworden, kurz, in den Tropen ist die Kultur überall dort zurückgegangen, wo man die Sklaverei rechtlich oder thatsächlich abgeschafft hat, ohne daß man den Sklaven zuvor zur Freiheit erzogen, das Land für freie Arbeit vorbereitet hätte. Wie es in den freien Negerstaaten aussieht, gestehen die Engländer, welche sie frei machten, heute selbst mit Kopfschütteln ein. In der ^.trieM ^inuzs vom 1. Januar d. I. werden aus einem andern Blatte (dooä voräs) die Äußerungen eines Herrn Thomson angeführt, welcher die Küste von Westafrika bereist hat. Er sagt: „Meine Reise längs der afrikanischen Küste und meine Besuche in allen Hanptplätzen haben mich tief erschreckt. Ich bereitete mich mit Freuden auf das Studium des Einflusses vor, welchen ein Jahrhundert der Berührung mit der Zivilisation auf die wilde» Stämme der Küste werde geübt haben. Das Ergebnis ist eine unaussprechliche Enttäuschung gewesen. Von den Städten Sierra Leone und Lagos abgesehen, wo die Be¬ dingungen abnorme gewesen sind, ist überall die Tendenz in der Richtung ans Verschlechterung gewesen. Es giebt absolut keinen einzigen Ort, wo die Ein- gebornen ihrem eignen freien Wille» überlassen waren, an welchem sich das leiseste Zeiche» eiues Wunsches nach Besserung der Dinge gezeigt hätte. Die schlimmsten Laster und Krankheiten Europas haben einen fruchtbaren Boden ge¬ funden, und der Geschmack für Spirituosen ist außer allem Verhältnis zu dem Wunsche nach Bekleidung gestiegen — für viele das Kriterium des Wachstums in der Gnade----In diesen Dörfern folgen euch Männer, Weiber und Kinder, mit kaum einem Fetzen auf dem Leibe, um etwas Gin oder Tabak bettelnd. Ewig Gin, Tabak oder Pulver! Das sind die einzigen Bedürfnisse, welche ein

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198719/308>, abgerufen am 22.07.2024.