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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal.

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Chauvinisten und Regierung in Rußland.

gebern des Zaren nicht schwer, ihn zu dem bekannten Kaiserwvrte in Moskau
zu bewegen, das, obwohl es noch keine bestimmte Erklärung kriegerischer Ab¬
sichten enthielt, doch einen großen Erfolg der Chauvinisten einschloß. Sie
konnten jetzt die Bemühungen, mit denen sie die Nation in den Krieg hinein¬
drängte", als im Einklange mit der obersten Staatsleitung stehend darstellen,
und kriegerische Adressen, die auf Weisung des Ministeriums des Innern von
den Gouverneuren angeregt wurden, nahmen den Charakter von Danlbczengungcn
für jene Moskaner Kundgebung des Souveräns an. Schlag auf Schlag folgte"
jetzt Maßregeln zur Einleitung des Feldzuges, ein Beweis, daß alles von langer
Hand vorgesehen war. Die Rede Aksnkvsfs hatte also nur das Zeichen zum
Ausbrüche der Verschwörung gegeben, welche der russische Chauvinismus im
Einverständnisse mit der russischen Regierung gegen den Monarchen in Szene
gesetzt hatte. Da es indes bekannt war, daß der letztere noch immer die Erhal¬
tung des Friedens wünschte, wurde von den Chauvinisten weiter gedroht und
gedrängt. Zunächst gehörte vermutlich der Nihilistenkrawall, der am 18. De¬
zember vor der Kasanschen Kirche stattfand, in dieses System von Pressionen.
Im folgenden Frühjahre aber bekämpfte man die Friedensliebe des Zaren in
weniger zweideutiger Weise. Die Konferenz in Konstantinopel hatte sich resultat-
los aufgelöst, Gortschakvsfs Depesche vom 31. Januar wenig gewirkt, Jgnatieffs
Rundreise, die sie unterstützen sollte, gleichfalls nicht viel geholfen; die russische
Presse fing an, Verminst zu predigen, und Serbien schloß am 1. März 1877
Frieden mit der Pforte. Es schien, als hätte der russische Chauvinismus ver¬
geblich gearbeitet, und als wollte die von ihm aufgewühlte Flut sich in Ebbe
verwandeln. Da griff man zu einem drastischen Mittel, und wieder that es
seine Wirkung. Am 18. März schoß Atsakoff eine zweite oratorische Brand¬
rakete im Moskaner Slawenkomitee ab. Zar Alexanders Sorge für die Er¬
haltung des Weltfriedens wurde hier als verächtlich bezeichnet, die Haltung
Rußlands gegenüber dem Westen als Verrat an der Nation, die darüber vor
Scham und Entrüstung erröte. "Wir -- so ließ sich der Redner vernehmen,
indem er seine Partei meinte -- haben das Volk hinter uns, und vor uns die
Worte, die der Zar vom Kreml herab gesprochen hat," und, so durfte man
weiter schließen, wenn er sie nicht einlöst, werden wir mit dem Volke hinter
uns den Krieg ohne und gegen ihn führen. Das war offenbar Hochverrat,
aber Katkoff brachte die Rede getrost in seiner "Moskaner Zeitung," und siehe
da, es erfolgte darauf nichts als die Beschlagnahme der betreffenden Nummer
und auch die erst, nachdem Tausende von Exemplaren schon das in ihnen ent¬
haltene Gift ius Publikum getragen hatten. Zu gleicher Zeit wurde mit Varia¬
tionen des von Alsalosf behandelten Themas: "Die Dynastie ist in Gefahr"
auf den Kaiser durch dessen nächste Umgebung, dessen Familie, gewirkt und der
Einfluß Baschauosfs, seines geistlichen Gewisfensrates, benutzt. Die geistlichen
Helfer versuchten durch die fromme Kaiserin zu wirken. Diese hatte zwar keinen


Chauvinisten und Regierung in Rußland.

gebern des Zaren nicht schwer, ihn zu dem bekannten Kaiserwvrte in Moskau
zu bewegen, das, obwohl es noch keine bestimmte Erklärung kriegerischer Ab¬
sichten enthielt, doch einen großen Erfolg der Chauvinisten einschloß. Sie
konnten jetzt die Bemühungen, mit denen sie die Nation in den Krieg hinein¬
drängte», als im Einklange mit der obersten Staatsleitung stehend darstellen,
und kriegerische Adressen, die auf Weisung des Ministeriums des Innern von
den Gouverneuren angeregt wurden, nahmen den Charakter von Danlbczengungcn
für jene Moskaner Kundgebung des Souveräns an. Schlag auf Schlag folgte»
jetzt Maßregeln zur Einleitung des Feldzuges, ein Beweis, daß alles von langer
Hand vorgesehen war. Die Rede Aksnkvsfs hatte also nur das Zeichen zum
Ausbrüche der Verschwörung gegeben, welche der russische Chauvinismus im
Einverständnisse mit der russischen Regierung gegen den Monarchen in Szene
gesetzt hatte. Da es indes bekannt war, daß der letztere noch immer die Erhal¬
tung des Friedens wünschte, wurde von den Chauvinisten weiter gedroht und
gedrängt. Zunächst gehörte vermutlich der Nihilistenkrawall, der am 18. De¬
zember vor der Kasanschen Kirche stattfand, in dieses System von Pressionen.
Im folgenden Frühjahre aber bekämpfte man die Friedensliebe des Zaren in
weniger zweideutiger Weise. Die Konferenz in Konstantinopel hatte sich resultat-
los aufgelöst, Gortschakvsfs Depesche vom 31. Januar wenig gewirkt, Jgnatieffs
Rundreise, die sie unterstützen sollte, gleichfalls nicht viel geholfen; die russische
Presse fing an, Verminst zu predigen, und Serbien schloß am 1. März 1877
Frieden mit der Pforte. Es schien, als hätte der russische Chauvinismus ver¬
geblich gearbeitet, und als wollte die von ihm aufgewühlte Flut sich in Ebbe
verwandeln. Da griff man zu einem drastischen Mittel, und wieder that es
seine Wirkung. Am 18. März schoß Atsakoff eine zweite oratorische Brand¬
rakete im Moskaner Slawenkomitee ab. Zar Alexanders Sorge für die Er¬
haltung des Weltfriedens wurde hier als verächtlich bezeichnet, die Haltung
Rußlands gegenüber dem Westen als Verrat an der Nation, die darüber vor
Scham und Entrüstung erröte. „Wir — so ließ sich der Redner vernehmen,
indem er seine Partei meinte — haben das Volk hinter uns, und vor uns die
Worte, die der Zar vom Kreml herab gesprochen hat," und, so durfte man
weiter schließen, wenn er sie nicht einlöst, werden wir mit dem Volke hinter
uns den Krieg ohne und gegen ihn führen. Das war offenbar Hochverrat,
aber Katkoff brachte die Rede getrost in seiner „Moskaner Zeitung," und siehe
da, es erfolgte darauf nichts als die Beschlagnahme der betreffenden Nummer
und auch die erst, nachdem Tausende von Exemplaren schon das in ihnen ent¬
haltene Gift ius Publikum getragen hatten. Zu gleicher Zeit wurde mit Varia¬
tionen des von Alsalosf behandelten Themas: „Die Dynastie ist in Gefahr"
auf den Kaiser durch dessen nächste Umgebung, dessen Familie, gewirkt und der
Einfluß Baschauosfs, seines geistlichen Gewisfensrates, benutzt. Die geistlichen
Helfer versuchten durch die fromme Kaiserin zu wirken. Diese hatte zwar keinen


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[0301] Chauvinisten und Regierung in Rußland. gebern des Zaren nicht schwer, ihn zu dem bekannten Kaiserwvrte in Moskau zu bewegen, das, obwohl es noch keine bestimmte Erklärung kriegerischer Ab¬ sichten enthielt, doch einen großen Erfolg der Chauvinisten einschloß. Sie konnten jetzt die Bemühungen, mit denen sie die Nation in den Krieg hinein¬ drängte», als im Einklange mit der obersten Staatsleitung stehend darstellen, und kriegerische Adressen, die auf Weisung des Ministeriums des Innern von den Gouverneuren angeregt wurden, nahmen den Charakter von Danlbczengungcn für jene Moskaner Kundgebung des Souveräns an. Schlag auf Schlag folgte» jetzt Maßregeln zur Einleitung des Feldzuges, ein Beweis, daß alles von langer Hand vorgesehen war. Die Rede Aksnkvsfs hatte also nur das Zeichen zum Ausbrüche der Verschwörung gegeben, welche der russische Chauvinismus im Einverständnisse mit der russischen Regierung gegen den Monarchen in Szene gesetzt hatte. Da es indes bekannt war, daß der letztere noch immer die Erhal¬ tung des Friedens wünschte, wurde von den Chauvinisten weiter gedroht und gedrängt. Zunächst gehörte vermutlich der Nihilistenkrawall, der am 18. De¬ zember vor der Kasanschen Kirche stattfand, in dieses System von Pressionen. Im folgenden Frühjahre aber bekämpfte man die Friedensliebe des Zaren in weniger zweideutiger Weise. Die Konferenz in Konstantinopel hatte sich resultat- los aufgelöst, Gortschakvsfs Depesche vom 31. Januar wenig gewirkt, Jgnatieffs Rundreise, die sie unterstützen sollte, gleichfalls nicht viel geholfen; die russische Presse fing an, Verminst zu predigen, und Serbien schloß am 1. März 1877 Frieden mit der Pforte. Es schien, als hätte der russische Chauvinismus ver¬ geblich gearbeitet, und als wollte die von ihm aufgewühlte Flut sich in Ebbe verwandeln. Da griff man zu einem drastischen Mittel, und wieder that es seine Wirkung. Am 18. März schoß Atsakoff eine zweite oratorische Brand¬ rakete im Moskaner Slawenkomitee ab. Zar Alexanders Sorge für die Er¬ haltung des Weltfriedens wurde hier als verächtlich bezeichnet, die Haltung Rußlands gegenüber dem Westen als Verrat an der Nation, die darüber vor Scham und Entrüstung erröte. „Wir — so ließ sich der Redner vernehmen, indem er seine Partei meinte — haben das Volk hinter uns, und vor uns die Worte, die der Zar vom Kreml herab gesprochen hat," und, so durfte man weiter schließen, wenn er sie nicht einlöst, werden wir mit dem Volke hinter uns den Krieg ohne und gegen ihn führen. Das war offenbar Hochverrat, aber Katkoff brachte die Rede getrost in seiner „Moskaner Zeitung," und siehe da, es erfolgte darauf nichts als die Beschlagnahme der betreffenden Nummer und auch die erst, nachdem Tausende von Exemplaren schon das in ihnen ent¬ haltene Gift ius Publikum getragen hatten. Zu gleicher Zeit wurde mit Varia¬ tionen des von Alsalosf behandelten Themas: „Die Dynastie ist in Gefahr" auf den Kaiser durch dessen nächste Umgebung, dessen Familie, gewirkt und der Einfluß Baschauosfs, seines geistlichen Gewisfensrates, benutzt. Die geistlichen Helfer versuchten durch die fromme Kaiserin zu wirken. Diese hatte zwar keinen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198719/301>, abgerufen am 03.07.2024.