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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal.

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Chauvinisten und Regierung in Rußland.

geben. Alls diesem Übertritte der Slawophilen in das Lager des absolutistischen
"russischen Staatsgedankens," dieser Verschmelzung sich von Natur einander
ausschließender Elemente erklärt sich das nunmehrige Schillern der Partei,
welches sie und ihre fernere Thätigkeit für den Nichtrussen so schwer verständlich
macht. Er sah vor sich Verwandte unsrer Romantiker mit byzantinischen Idealen,
die an einem durchaus modernen Werke mitarbeiteten, und er sah in ihnen
Demokraten, die ihre Zwecke unter dem Zeichen der Autokratie verfolgten. Sie
halfen bei der gewaltsamen Nnssifiziruug Polens und liefen mit Katkosfs An¬
hängern gegen die alten Einrichtungen der baltischen Provinzen Sturm. In
Gemeinschaft mit jenen nahmen sie dann nach Gründung des Norddeutschen
Blindes ihre "auswärtige Mission" wieder auf, bewirkten, daß die Moskaner
ethnologische Ausstellung den Charakter eines Kongresses mit der Bestimmung
annahm, die österreichischen "Slaweubrüder" zu Rußland herüberzuziehen, und
bereiteten den letzten Krieg mit der Türkei vor, wobei sie in Fühlung mit den
Nihilisten gerieten, indem sie die Negierung, die ihre Pläne ausführen sollte,
aber anfangs sich dagegen sträubte, gleich jenen durch Drohungen zur Aktion
zu nötigen versuchten. Dies gelang allmählich. Schon 1875 war ein auf¬
fallender Widerspruch zwischen den friedlichen Kundgebungen des Zaren und
dem Verfahren seiner von den Chauvinisten beeinflußten Räte zu bemerken.
Anfang August hatte" sich die drei Kaiser über die Beruhigung Bosniens und
der Herzegowina verständigt, und am 8. Dezember sprach Alexander II. beim
Gcvrgsfeste sein Festhalten an dieser Vereinbarung feierlich aus, nachdem in¬
zwischen, am 6. November, der "Negierungsanzeiger" in entschiednen Wider¬
spreche mit ihr die Sympathien Rußlands mit dem Aufstande der Serben
kundgegeben hatte. Im Juli 1876 wurden, abermals in schroffem Gegensatze
zu den Tendenzen des Drcikniserbünduisscs, allgemeine Kirchengebete für den
Erfolg der serbischen Waffen angeordnet. Gleichzeitig wühlten die " Slawen-
komitecs" unter den Angen der Regierung ganz unverhüllt und nahmen zuletzt
den Charakter förmlicher Werbestellen für die serbische Armee an. In der ersten
Hälfte des November fanden in Livadia Ministcrkonfcrenzcn unter Teilnahme
Jgnatiesfs, des leitenden Geistes der chauvinistische,! Partei, statt, bei denen der
Zar sich für die Wahrung des Friedens bemühte. Am 2. November ver¬
pfändete er dein englischen Botschafter Lord Loftus gegenüber sein Ehrenwort
dafür, daß diese sein Wille sei. Die Regierung aber löste dasselbe nicht ein,
sondern begann mit Kriegsvorbereitungen, und am 6. November durste Iwan
Aksakvff im Moskaner Slawenkvmitee eine Brandrede halten, in welcher der
Thron mit dem Unwillen der Nation bedroht wurde, falls er der Pforte nicht
den Krieg erklärte. Als die Zeitungen diese Rede, ohne Anstand zu finden,
wiedergaben, sah man dieselbe im Auslande als Manifest der Regierung an,
das ernstlicher zu nehmen sei als die Phrasen der russischen Diplomatie. Disraeli
antwortete darauf mit einer kriegerischen Vankettrede, und jetzt siel es den Rat-


Chauvinisten und Regierung in Rußland.

geben. Alls diesem Übertritte der Slawophilen in das Lager des absolutistischen
„russischen Staatsgedankens," dieser Verschmelzung sich von Natur einander
ausschließender Elemente erklärt sich das nunmehrige Schillern der Partei,
welches sie und ihre fernere Thätigkeit für den Nichtrussen so schwer verständlich
macht. Er sah vor sich Verwandte unsrer Romantiker mit byzantinischen Idealen,
die an einem durchaus modernen Werke mitarbeiteten, und er sah in ihnen
Demokraten, die ihre Zwecke unter dem Zeichen der Autokratie verfolgten. Sie
halfen bei der gewaltsamen Nnssifiziruug Polens und liefen mit Katkosfs An¬
hängern gegen die alten Einrichtungen der baltischen Provinzen Sturm. In
Gemeinschaft mit jenen nahmen sie dann nach Gründung des Norddeutschen
Blindes ihre „auswärtige Mission" wieder auf, bewirkten, daß die Moskaner
ethnologische Ausstellung den Charakter eines Kongresses mit der Bestimmung
annahm, die österreichischen „Slaweubrüder" zu Rußland herüberzuziehen, und
bereiteten den letzten Krieg mit der Türkei vor, wobei sie in Fühlung mit den
Nihilisten gerieten, indem sie die Negierung, die ihre Pläne ausführen sollte,
aber anfangs sich dagegen sträubte, gleich jenen durch Drohungen zur Aktion
zu nötigen versuchten. Dies gelang allmählich. Schon 1875 war ein auf¬
fallender Widerspruch zwischen den friedlichen Kundgebungen des Zaren und
dem Verfahren seiner von den Chauvinisten beeinflußten Räte zu bemerken.
Anfang August hatte» sich die drei Kaiser über die Beruhigung Bosniens und
der Herzegowina verständigt, und am 8. Dezember sprach Alexander II. beim
Gcvrgsfeste sein Festhalten an dieser Vereinbarung feierlich aus, nachdem in¬
zwischen, am 6. November, der „Negierungsanzeiger" in entschiednen Wider¬
spreche mit ihr die Sympathien Rußlands mit dem Aufstande der Serben
kundgegeben hatte. Im Juli 1876 wurden, abermals in schroffem Gegensatze
zu den Tendenzen des Drcikniserbünduisscs, allgemeine Kirchengebete für den
Erfolg der serbischen Waffen angeordnet. Gleichzeitig wühlten die „ Slawen-
komitecs" unter den Angen der Regierung ganz unverhüllt und nahmen zuletzt
den Charakter förmlicher Werbestellen für die serbische Armee an. In der ersten
Hälfte des November fanden in Livadia Ministcrkonfcrenzcn unter Teilnahme
Jgnatiesfs, des leitenden Geistes der chauvinistische,! Partei, statt, bei denen der
Zar sich für die Wahrung des Friedens bemühte. Am 2. November ver¬
pfändete er dein englischen Botschafter Lord Loftus gegenüber sein Ehrenwort
dafür, daß diese sein Wille sei. Die Regierung aber löste dasselbe nicht ein,
sondern begann mit Kriegsvorbereitungen, und am 6. November durste Iwan
Aksakvff im Moskaner Slawenkvmitee eine Brandrede halten, in welcher der
Thron mit dem Unwillen der Nation bedroht wurde, falls er der Pforte nicht
den Krieg erklärte. Als die Zeitungen diese Rede, ohne Anstand zu finden,
wiedergaben, sah man dieselbe im Auslande als Manifest der Regierung an,
das ernstlicher zu nehmen sei als die Phrasen der russischen Diplomatie. Disraeli
antwortete darauf mit einer kriegerischen Vankettrede, und jetzt siel es den Rat-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198719/300>, abgerufen am 22.07.2024.