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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal.

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Chauvinisten und Regiern"", in Rußland.

Einfluß auf ihren Gemahl, wußte aber, daß dessen Mätresse, die Dvlgoruckh,
ihn umstimmen könne, und gewann sie dazu, indem sie die Dame selbst und
ihre Kinder empfing und letztere segnete. So trat die russische Armee denn am
13. April den Marsch uach dem Pruth an, und am 21. erfolgte die Kriegs-
erklärung. Timaschcff, der Minister des Innern, und Potapoff, der Chef der
Staatspolizei, deren dienstliche Pflicht es gewesen wäre, gegen Aksakoff und
Katloff als Hochverräter einzuschreiten, ließen sie gewähre", entweder weil sie
ihre Politik billigten, oder weil sie eingeschüchtert Ware". Potapoffs Vertreter,
der General Mesenzoff, der am 13. März dem Kaiser Vortrag über die Slawcn-
lomitces gehalten und dabei energisches Vorgehen gegen deren Treiben empfohlen
hatte, war damit nicht durchgedrungen. Erregt hatte er beim Heraustreten aus
dem Zimmer des Monarchen zu dem diensthabenden Gcneraladjntantcn geäußert
"Könnte ich nur alle Slaweukvmitees in die Festung sperren, so hätten wir
weder Krieg, noch würden wir Nihilisten haben." Als Chef der geheime":
Polizei konnte er wissen, ob zwischen der Partei Aksakosfs und Katkvffs und
den Nihilisten ein Zusammenhang bestand, nud diesem Wissen und seiner ent¬
schlossenen Feindschaft gegen beide galt seine spätere Ermordung.

Kein Zweifel kann jetzt mehr darüber walten, daß der Krieg von 1877
von einer Gruppe verwegener nud keine Mittel schenendcr Chauvinisten erzwungen
worden ist, die unter der Führung Aksakosfs und Katkvffs und unter der Mit¬
wirkung der Geistlichkeit ihre eigne Politik trieben, in schroffem Gegensatze gegen
die Neigungen ihres Monarchen und keineswegs im Einklange mit den breiten
Schichten der Nation, aber dennoch erfolgreich, weil sie energisch und konsequent
verfuhren und sich gegenüber Charaktere hatten, deren Wesen und Handeln diese
Eigenschaften vermissen ließ.

Die Anfänge des Krieges waren kläglicher Art. Schon die Beschaffung
der finanzielle" Mittel dazu stieß ans Schwierigkeiten. Der Versuch, eine Anleihe
im Auslande aufzunehmen, gelang nur, als man sich einen Emissionskurs von
74- gefallen ließ. Die militärischen Operationen, die hierauf begannen, recht¬
fertigten zuerst die Siegeszuversicht wenig, mit der man ausgezogen war. Ju
Armenien russische Schlappen, in Bulgarien Gefahr, gänzlich von der Donau
abgeschnitten zu werden, wenn die türkischen Korps gut zusammenwirkten, dau"
mehrere vergebliche Stürme auf die improvisirten Schanzen von Plewna und
geringe Aussicht auf bessere Erfolge. Sofort waren die Chauvinisten mit der
Behauptung bei der Hand, die absolutistische Regierungsform habe sich ohn¬
mächtig gezeigt, und so müsse das Volk an der Negierung beteiligt werden. Der
"russische Staatsgedanke" Katkoffs, dem die Slawophilen sich angeschlossen hatten,
verlangte zu seiner Verwirklichung die unbeschränkteste Autokratie, aber jetzt
waren diese schillernden Opportunisten ans einmal wieder die alten Demokraten.
Wieder ergriff Aksakoff in ihrem Namen das Wort zu einer Brandrede. Am
8. Oktober klagte er in öffentlicher Sitzung des Moskaner Slawcnlomitecs über


Chauvinisten und Regiern»«, in Rußland.

Einfluß auf ihren Gemahl, wußte aber, daß dessen Mätresse, die Dvlgoruckh,
ihn umstimmen könne, und gewann sie dazu, indem sie die Dame selbst und
ihre Kinder empfing und letztere segnete. So trat die russische Armee denn am
13. April den Marsch uach dem Pruth an, und am 21. erfolgte die Kriegs-
erklärung. Timaschcff, der Minister des Innern, und Potapoff, der Chef der
Staatspolizei, deren dienstliche Pflicht es gewesen wäre, gegen Aksakoff und
Katloff als Hochverräter einzuschreiten, ließen sie gewähre», entweder weil sie
ihre Politik billigten, oder weil sie eingeschüchtert Ware». Potapoffs Vertreter,
der General Mesenzoff, der am 13. März dem Kaiser Vortrag über die Slawcn-
lomitces gehalten und dabei energisches Vorgehen gegen deren Treiben empfohlen
hatte, war damit nicht durchgedrungen. Erregt hatte er beim Heraustreten aus
dem Zimmer des Monarchen zu dem diensthabenden Gcneraladjntantcn geäußert
„Könnte ich nur alle Slaweukvmitees in die Festung sperren, so hätten wir
weder Krieg, noch würden wir Nihilisten haben." Als Chef der geheime«:
Polizei konnte er wissen, ob zwischen der Partei Aksakosfs und Katkvffs und
den Nihilisten ein Zusammenhang bestand, nud diesem Wissen und seiner ent¬
schlossenen Feindschaft gegen beide galt seine spätere Ermordung.

Kein Zweifel kann jetzt mehr darüber walten, daß der Krieg von 1877
von einer Gruppe verwegener nud keine Mittel schenendcr Chauvinisten erzwungen
worden ist, die unter der Führung Aksakosfs und Katkvffs und unter der Mit¬
wirkung der Geistlichkeit ihre eigne Politik trieben, in schroffem Gegensatze gegen
die Neigungen ihres Monarchen und keineswegs im Einklange mit den breiten
Schichten der Nation, aber dennoch erfolgreich, weil sie energisch und konsequent
verfuhren und sich gegenüber Charaktere hatten, deren Wesen und Handeln diese
Eigenschaften vermissen ließ.

Die Anfänge des Krieges waren kläglicher Art. Schon die Beschaffung
der finanzielle» Mittel dazu stieß ans Schwierigkeiten. Der Versuch, eine Anleihe
im Auslande aufzunehmen, gelang nur, als man sich einen Emissionskurs von
74- gefallen ließ. Die militärischen Operationen, die hierauf begannen, recht¬
fertigten zuerst die Siegeszuversicht wenig, mit der man ausgezogen war. Ju
Armenien russische Schlappen, in Bulgarien Gefahr, gänzlich von der Donau
abgeschnitten zu werden, wenn die türkischen Korps gut zusammenwirkten, dau»
mehrere vergebliche Stürme auf die improvisirten Schanzen von Plewna und
geringe Aussicht auf bessere Erfolge. Sofort waren die Chauvinisten mit der
Behauptung bei der Hand, die absolutistische Regierungsform habe sich ohn¬
mächtig gezeigt, und so müsse das Volk an der Negierung beteiligt werden. Der
„russische Staatsgedanke" Katkoffs, dem die Slawophilen sich angeschlossen hatten,
verlangte zu seiner Verwirklichung die unbeschränkteste Autokratie, aber jetzt
waren diese schillernden Opportunisten ans einmal wieder die alten Demokraten.
Wieder ergriff Aksakoff in ihrem Namen das Wort zu einer Brandrede. Am
8. Oktober klagte er in öffentlicher Sitzung des Moskaner Slawcnlomitecs über


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[0302] Chauvinisten und Regiern»«, in Rußland. Einfluß auf ihren Gemahl, wußte aber, daß dessen Mätresse, die Dvlgoruckh, ihn umstimmen könne, und gewann sie dazu, indem sie die Dame selbst und ihre Kinder empfing und letztere segnete. So trat die russische Armee denn am 13. April den Marsch uach dem Pruth an, und am 21. erfolgte die Kriegs- erklärung. Timaschcff, der Minister des Innern, und Potapoff, der Chef der Staatspolizei, deren dienstliche Pflicht es gewesen wäre, gegen Aksakoff und Katloff als Hochverräter einzuschreiten, ließen sie gewähre», entweder weil sie ihre Politik billigten, oder weil sie eingeschüchtert Ware». Potapoffs Vertreter, der General Mesenzoff, der am 13. März dem Kaiser Vortrag über die Slawcn- lomitces gehalten und dabei energisches Vorgehen gegen deren Treiben empfohlen hatte, war damit nicht durchgedrungen. Erregt hatte er beim Heraustreten aus dem Zimmer des Monarchen zu dem diensthabenden Gcneraladjntantcn geäußert „Könnte ich nur alle Slaweukvmitees in die Festung sperren, so hätten wir weder Krieg, noch würden wir Nihilisten haben." Als Chef der geheime«: Polizei konnte er wissen, ob zwischen der Partei Aksakosfs und Katkvffs und den Nihilisten ein Zusammenhang bestand, nud diesem Wissen und seiner ent¬ schlossenen Feindschaft gegen beide galt seine spätere Ermordung. Kein Zweifel kann jetzt mehr darüber walten, daß der Krieg von 1877 von einer Gruppe verwegener nud keine Mittel schenendcr Chauvinisten erzwungen worden ist, die unter der Führung Aksakosfs und Katkvffs und unter der Mit¬ wirkung der Geistlichkeit ihre eigne Politik trieben, in schroffem Gegensatze gegen die Neigungen ihres Monarchen und keineswegs im Einklange mit den breiten Schichten der Nation, aber dennoch erfolgreich, weil sie energisch und konsequent verfuhren und sich gegenüber Charaktere hatten, deren Wesen und Handeln diese Eigenschaften vermissen ließ. Die Anfänge des Krieges waren kläglicher Art. Schon die Beschaffung der finanzielle» Mittel dazu stieß ans Schwierigkeiten. Der Versuch, eine Anleihe im Auslande aufzunehmen, gelang nur, als man sich einen Emissionskurs von 74- gefallen ließ. Die militärischen Operationen, die hierauf begannen, recht¬ fertigten zuerst die Siegeszuversicht wenig, mit der man ausgezogen war. Ju Armenien russische Schlappen, in Bulgarien Gefahr, gänzlich von der Donau abgeschnitten zu werden, wenn die türkischen Korps gut zusammenwirkten, dau» mehrere vergebliche Stürme auf die improvisirten Schanzen von Plewna und geringe Aussicht auf bessere Erfolge. Sofort waren die Chauvinisten mit der Behauptung bei der Hand, die absolutistische Regierungsform habe sich ohn¬ mächtig gezeigt, und so müsse das Volk an der Negierung beteiligt werden. Der „russische Staatsgedanke" Katkoffs, dem die Slawophilen sich angeschlossen hatten, verlangte zu seiner Verwirklichung die unbeschränkteste Autokratie, aber jetzt waren diese schillernden Opportunisten ans einmal wieder die alten Demokraten. Wieder ergriff Aksakoff in ihrem Namen das Wort zu einer Brandrede. Am 8. Oktober klagte er in öffentlicher Sitzung des Moskaner Slawcnlomitecs über

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198719/302>, abgerufen am 22.07.2024.