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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal.

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Der oberösterreichische Bauernphilosoph.

Feuerbachs und Nvßmäßlcrs, wird durch das Jahr 1848 in eine mehr politische
Richtung gezogen, hilft nach dem Scheitern der Revolution politischen Flücht¬
lingen durch, hält und verbreitet radikale Zeitschriften und verbotene Bücher.
Vom Jahre 1850 an soll er polizeilich überwacht worden sein, und zwar in
Folge eines Artikels des berüchtigten sogenannten Humoristen Saphir. Der
Herausgeber ist geneigt, in diesem Artikel eine absichtliche Denunziation zu er¬
blicken, irrt aber ganz bestimmt. Saphir ist der eigentliche Ahnherr jener Sorte
jüdischer Journalisten, welche einer pikanten Notiz oder einem Witz alles opfern.
Er war zufällig nach Goisern gekommen, wo Deubler damals ein Wirtshaus
hielt; der hatte ihm seine Bücher, seine Briefe von Philosophen und Natur-
forschern gezeigt, ihm sogar -- eitel und unbesonnen genug -- die Briefe von
Zschokke und Strauß zum Abdruck überlassen. Konnte Saphir es sich entgehen
lassen, der Welt von diesem frcigcistigen Bauern, den er gewissermaßen entdeckt
hatte, zu erzähle", obwohl in jenen Tagen die Befürchtung nur zu nahe lag,
daß dem Manne daraus Unannehmlichkeiten erwachsen würde"?'") Genug, man
wurde auf Deubler aufmerksam, beobachtete ihn und glaubte "ach drei Jahren
Material genug für eine Anklage ans Hochverrat und Religionsstörung gegen
ihn in den Händen zu haben. Er und elf Genossen wurden verhaftet und nach
Gratz gebracht.

Für diesen Prozeß ist es allerdings schwer, die rechte Bezeichnung zu finden,
und wenn der Staatsanwalt von Waser, der die vom 6. Juni 1854 datirte
Anklageschrift verfaßt hat, derselbe Herr von Waser sein sollte, der zur Zeit
Schmerlings zu den Führern der "Liberalen" ii" österreichischen Reichstage
gehörte, so würden wir da einen köstlichen Beleg zu dem Satze erhalten, daß
die Menschen sich mit den Zeiten ändern. In den Jahren der Reaktion ist von
Polizeimännern und Staatsanwälten viel Ungeheuerliches geleistet worden, um
Mißliebige zu Verbrechern zu stempeln, doch zu dieser Anklageakte wird man
schwerlich ein Seitenstück beibringen können. Sie ist zu umfangreich, um hier
im Wortlaute abgedruckt zu werdeu, einige Proben müssen wir aber doch (mich
zur Charakteristik des Stils) mitteile".

"Wenngleich aus der abgeführten Untersuchung ein förmliches und auf
bestimmte staatsgefährliche Unternehmung abzielendes Komplott sich nicht nach¬
weisen läßt, so ist doch durch die aufgefundenen Briefe und dnrch die teilweise"
Geständnisse so viel außer Zweifel gestellt, daß unter denselben eine Genossen¬
schaft bestanden, daß sie mit einander in Verkehr standen und auf gegenseitigen
Beistand rechneten; alle waren Republikaner und Naturalisten oder Deutsch¬
katholiken, und ihre Mittel zur Ausbreitung ihrer Gesinnungen und zur Ge¬
winnung neuer Genossen waren überall die gleichen, nämlich: Schmähung des



*) Der "dumme Brief," wie Saphir den Aussatz genannt hat, ist angeblich an eine Dame
ans Baiern gerichtet, und das genügt dem Professur Döbel-Port, um in der Adressatin uu-
qlaublicherweise die Erzherzogin Sophie, die Mutter des Kaisers von Österreich, zu mutmaßen!
Der oberösterreichische Bauernphilosoph.

Feuerbachs und Nvßmäßlcrs, wird durch das Jahr 1848 in eine mehr politische
Richtung gezogen, hilft nach dem Scheitern der Revolution politischen Flücht¬
lingen durch, hält und verbreitet radikale Zeitschriften und verbotene Bücher.
Vom Jahre 1850 an soll er polizeilich überwacht worden sein, und zwar in
Folge eines Artikels des berüchtigten sogenannten Humoristen Saphir. Der
Herausgeber ist geneigt, in diesem Artikel eine absichtliche Denunziation zu er¬
blicken, irrt aber ganz bestimmt. Saphir ist der eigentliche Ahnherr jener Sorte
jüdischer Journalisten, welche einer pikanten Notiz oder einem Witz alles opfern.
Er war zufällig nach Goisern gekommen, wo Deubler damals ein Wirtshaus
hielt; der hatte ihm seine Bücher, seine Briefe von Philosophen und Natur-
forschern gezeigt, ihm sogar — eitel und unbesonnen genug — die Briefe von
Zschokke und Strauß zum Abdruck überlassen. Konnte Saphir es sich entgehen
lassen, der Welt von diesem frcigcistigen Bauern, den er gewissermaßen entdeckt
hatte, zu erzähle», obwohl in jenen Tagen die Befürchtung nur zu nahe lag,
daß dem Manne daraus Unannehmlichkeiten erwachsen würde»?'") Genug, man
wurde auf Deubler aufmerksam, beobachtete ihn und glaubte «ach drei Jahren
Material genug für eine Anklage ans Hochverrat und Religionsstörung gegen
ihn in den Händen zu haben. Er und elf Genossen wurden verhaftet und nach
Gratz gebracht.

Für diesen Prozeß ist es allerdings schwer, die rechte Bezeichnung zu finden,
und wenn der Staatsanwalt von Waser, der die vom 6. Juni 1854 datirte
Anklageschrift verfaßt hat, derselbe Herr von Waser sein sollte, der zur Zeit
Schmerlings zu den Führern der „Liberalen" ii» österreichischen Reichstage
gehörte, so würden wir da einen köstlichen Beleg zu dem Satze erhalten, daß
die Menschen sich mit den Zeiten ändern. In den Jahren der Reaktion ist von
Polizeimännern und Staatsanwälten viel Ungeheuerliches geleistet worden, um
Mißliebige zu Verbrechern zu stempeln, doch zu dieser Anklageakte wird man
schwerlich ein Seitenstück beibringen können. Sie ist zu umfangreich, um hier
im Wortlaute abgedruckt zu werdeu, einige Proben müssen wir aber doch (mich
zur Charakteristik des Stils) mitteile».

„Wenngleich aus der abgeführten Untersuchung ein förmliches und auf
bestimmte staatsgefährliche Unternehmung abzielendes Komplott sich nicht nach¬
weisen läßt, so ist doch durch die aufgefundenen Briefe und dnrch die teilweise«
Geständnisse so viel außer Zweifel gestellt, daß unter denselben eine Genossen¬
schaft bestanden, daß sie mit einander in Verkehr standen und auf gegenseitigen
Beistand rechneten; alle waren Republikaner und Naturalisten oder Deutsch¬
katholiken, und ihre Mittel zur Ausbreitung ihrer Gesinnungen und zur Ge¬
winnung neuer Genossen waren überall die gleichen, nämlich: Schmähung des



*) Der „dumme Brief," wie Saphir den Aussatz genannt hat, ist angeblich an eine Dame
ans Baiern gerichtet, und das genügt dem Professur Döbel-Port, um in der Adressatin uu-
qlaublicherweise die Erzherzogin Sophie, die Mutter des Kaisers von Österreich, zu mutmaßen!
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[0026] Der oberösterreichische Bauernphilosoph. Feuerbachs und Nvßmäßlcrs, wird durch das Jahr 1848 in eine mehr politische Richtung gezogen, hilft nach dem Scheitern der Revolution politischen Flücht¬ lingen durch, hält und verbreitet radikale Zeitschriften und verbotene Bücher. Vom Jahre 1850 an soll er polizeilich überwacht worden sein, und zwar in Folge eines Artikels des berüchtigten sogenannten Humoristen Saphir. Der Herausgeber ist geneigt, in diesem Artikel eine absichtliche Denunziation zu er¬ blicken, irrt aber ganz bestimmt. Saphir ist der eigentliche Ahnherr jener Sorte jüdischer Journalisten, welche einer pikanten Notiz oder einem Witz alles opfern. Er war zufällig nach Goisern gekommen, wo Deubler damals ein Wirtshaus hielt; der hatte ihm seine Bücher, seine Briefe von Philosophen und Natur- forschern gezeigt, ihm sogar — eitel und unbesonnen genug — die Briefe von Zschokke und Strauß zum Abdruck überlassen. Konnte Saphir es sich entgehen lassen, der Welt von diesem frcigcistigen Bauern, den er gewissermaßen entdeckt hatte, zu erzähle», obwohl in jenen Tagen die Befürchtung nur zu nahe lag, daß dem Manne daraus Unannehmlichkeiten erwachsen würde»?'") Genug, man wurde auf Deubler aufmerksam, beobachtete ihn und glaubte «ach drei Jahren Material genug für eine Anklage ans Hochverrat und Religionsstörung gegen ihn in den Händen zu haben. Er und elf Genossen wurden verhaftet und nach Gratz gebracht. Für diesen Prozeß ist es allerdings schwer, die rechte Bezeichnung zu finden, und wenn der Staatsanwalt von Waser, der die vom 6. Juni 1854 datirte Anklageschrift verfaßt hat, derselbe Herr von Waser sein sollte, der zur Zeit Schmerlings zu den Führern der „Liberalen" ii» österreichischen Reichstage gehörte, so würden wir da einen köstlichen Beleg zu dem Satze erhalten, daß die Menschen sich mit den Zeiten ändern. In den Jahren der Reaktion ist von Polizeimännern und Staatsanwälten viel Ungeheuerliches geleistet worden, um Mißliebige zu Verbrechern zu stempeln, doch zu dieser Anklageakte wird man schwerlich ein Seitenstück beibringen können. Sie ist zu umfangreich, um hier im Wortlaute abgedruckt zu werdeu, einige Proben müssen wir aber doch (mich zur Charakteristik des Stils) mitteile». „Wenngleich aus der abgeführten Untersuchung ein förmliches und auf bestimmte staatsgefährliche Unternehmung abzielendes Komplott sich nicht nach¬ weisen läßt, so ist doch durch die aufgefundenen Briefe und dnrch die teilweise« Geständnisse so viel außer Zweifel gestellt, daß unter denselben eine Genossen¬ schaft bestanden, daß sie mit einander in Verkehr standen und auf gegenseitigen Beistand rechneten; alle waren Republikaner und Naturalisten oder Deutsch¬ katholiken, und ihre Mittel zur Ausbreitung ihrer Gesinnungen und zur Ge¬ winnung neuer Genossen waren überall die gleichen, nämlich: Schmähung des *) Der „dumme Brief," wie Saphir den Aussatz genannt hat, ist angeblich an eine Dame ans Baiern gerichtet, und das genügt dem Professur Döbel-Port, um in der Adressatin uu- qlaublicherweise die Erzherzogin Sophie, die Mutter des Kaisers von Österreich, zu mutmaßen!

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198719/26>, abgerufen am 22.07.2024.