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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal.

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es schon zu einer ganz anerkennenswerten Fertigkeit gebracht. Daß den Menschen
metaphysischer Drang angeboren sei, leugnet er auf der einen Seite, und muß
doch ausführlich darthun, wie sein Held nach und nach alle "metaphysischen
Anwandlungen" abgestreift habe; waren sie demselben vielleicht anerzogen worden?
Und wie wäre er ohne sie überhaupt zur Philosophie gekommen? In den Briefen
Denblers aus dem Zuchthause kommen häufig Äußerungen des Vertrauens auf
Gott und des Glaubens an Unsterblichkeit vor. Was soll der arme Heraus¬
geber damit beginnen? Einen Rückfall annehmen, das geht doch unmöglich.
Also hat Dcubler geheuchelt? Beileibe nicht. "Er haßte die gemeine Lüge
und den Heuchelschein." Er war nur "schlau," solange er unter polizeilicher
Aufsicht korrespvndirte. Aber in sein Taschenbuch hat er zwischen Notizen über
seine Ausgaben, während er uicht mehr Sträfling, sondern nur "internirt" war,
spazieren gehen, das Theater besuchen konnte u. s. w., eingetragen: "Ich vertraue
auf Gott und meinen guten Kaiser. Herr, dein Wille geschehe." Das schrieb
er nicht unter Kontrole, wozu denn noch die "Schlauheit"? Merkwürdiger¬
weise macht der Herausgeber zu dieser Stelle keine Anmerkung, es müßte sich
denn die Äußerung hierauf beziehen, Deubler sei in manchen Momenten "kaum
mehr zurechnungsfähig" gewesen!

Doch genug von Herrn Döbel-Port.

Die Geschichte Konrad Dcublers liefert in der That eine merkwürdige Illu¬
stration zur neuern Geschichte Österreichs. In einer jener armen Protestauten-
gemeinden, welche namentlich im Salzkammc^gut alle Verfolgungen überdauert
haben, wurde er 1814 als Sohn eines Bergarbeiters geboren, genoß uur wenig
Schulunterricht, verriet aber schon frühzeitig drei Eigenschaften, die ihm sein
Leben lang treu geblieben sind, in ungewöhnlichem Grade: Lesegier, Forscher¬
trieb und Wanderlust. Er wurde Müller in der Nähe von Ischl, dann in Hall-
statt, heiratete, um der Militärpflicht zu entgehen, schon mit achtzehn Jahren,
las, was ihm in die Hände fiel, Jung-Stilling und Zschokke, Klopstock und
Claudius, Byron und Thomas Paine, bvtanisirte und machte Reisen nach Wien,
Oberitalien, Dresden. Über die Zeit bis 1L47 giebt er selbst in einer unbe-
endigten Selbstbiographie und in Tagebuchnotizen Rechenschaft, und diese Schrift¬
stücke sind in mancher Hinsicht höchst anziehend, unsers Erachtens viel an¬
ziehender als seiue spätern Briefe. Denn hier ist er wirklich noch naiv, was
sich von der Zeit seines Verkehrs mit mese oder weniger berühmten Leuten
nnr mit großer Einschränkung behaupten läßt. Er reflektirt über alles, beobachtet
scharf, schildert sehr anschaulich die damalige Art zu reisen, die in der Fremde
empfangenen Eindrücke. Als Bergführer wurde er mit Naturforschern bekannt,
"ut diese scheinen es sich bald zum Geschüft gemacht zu haben, ihn vom Glauben
zu befreien. Er wird Rationalist, Pantheist, wendet sich brieflich an Zschokke
etwas später an David Strauß (mit der dringenden Bitte um eine populäre
Bearbeitung des Lebens Jesu), an Leopold Schefer. er gerät über die Schriften


Gu-uMm lit, 1886. 3

es schon zu einer ganz anerkennenswerten Fertigkeit gebracht. Daß den Menschen
metaphysischer Drang angeboren sei, leugnet er auf der einen Seite, und muß
doch ausführlich darthun, wie sein Held nach und nach alle „metaphysischen
Anwandlungen" abgestreift habe; waren sie demselben vielleicht anerzogen worden?
Und wie wäre er ohne sie überhaupt zur Philosophie gekommen? In den Briefen
Denblers aus dem Zuchthause kommen häufig Äußerungen des Vertrauens auf
Gott und des Glaubens an Unsterblichkeit vor. Was soll der arme Heraus¬
geber damit beginnen? Einen Rückfall annehmen, das geht doch unmöglich.
Also hat Dcubler geheuchelt? Beileibe nicht. „Er haßte die gemeine Lüge
und den Heuchelschein." Er war nur „schlau," solange er unter polizeilicher
Aufsicht korrespvndirte. Aber in sein Taschenbuch hat er zwischen Notizen über
seine Ausgaben, während er uicht mehr Sträfling, sondern nur „internirt" war,
spazieren gehen, das Theater besuchen konnte u. s. w., eingetragen: „Ich vertraue
auf Gott und meinen guten Kaiser. Herr, dein Wille geschehe." Das schrieb
er nicht unter Kontrole, wozu denn noch die „Schlauheit"? Merkwürdiger¬
weise macht der Herausgeber zu dieser Stelle keine Anmerkung, es müßte sich
denn die Äußerung hierauf beziehen, Deubler sei in manchen Momenten „kaum
mehr zurechnungsfähig" gewesen!

Doch genug von Herrn Döbel-Port.

Die Geschichte Konrad Dcublers liefert in der That eine merkwürdige Illu¬
stration zur neuern Geschichte Österreichs. In einer jener armen Protestauten-
gemeinden, welche namentlich im Salzkammc^gut alle Verfolgungen überdauert
haben, wurde er 1814 als Sohn eines Bergarbeiters geboren, genoß uur wenig
Schulunterricht, verriet aber schon frühzeitig drei Eigenschaften, die ihm sein
Leben lang treu geblieben sind, in ungewöhnlichem Grade: Lesegier, Forscher¬
trieb und Wanderlust. Er wurde Müller in der Nähe von Ischl, dann in Hall-
statt, heiratete, um der Militärpflicht zu entgehen, schon mit achtzehn Jahren,
las, was ihm in die Hände fiel, Jung-Stilling und Zschokke, Klopstock und
Claudius, Byron und Thomas Paine, bvtanisirte und machte Reisen nach Wien,
Oberitalien, Dresden. Über die Zeit bis 1L47 giebt er selbst in einer unbe-
endigten Selbstbiographie und in Tagebuchnotizen Rechenschaft, und diese Schrift¬
stücke sind in mancher Hinsicht höchst anziehend, unsers Erachtens viel an¬
ziehender als seiue spätern Briefe. Denn hier ist er wirklich noch naiv, was
sich von der Zeit seines Verkehrs mit mese oder weniger berühmten Leuten
nnr mit großer Einschränkung behaupten läßt. Er reflektirt über alles, beobachtet
scharf, schildert sehr anschaulich die damalige Art zu reisen, die in der Fremde
empfangenen Eindrücke. Als Bergführer wurde er mit Naturforschern bekannt,
»ut diese scheinen es sich bald zum Geschüft gemacht zu haben, ihn vom Glauben
zu befreien. Er wird Rationalist, Pantheist, wendet sich brieflich an Zschokke
etwas später an David Strauß (mit der dringenden Bitte um eine populäre
Bearbeitung des Lebens Jesu), an Leopold Schefer. er gerät über die Schriften


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198719/25>, abgerufen am 03.07.2024.