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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal.

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Lamoens.

einem fieberhaften Leben gewichen, Cmuoens hatte das Gefühl, so oft er sich
durch eine der wehklagenden, zürnenden und schwatzenden Schciaren hindurchwand,
als seien alle Menschen von einem Taumel der Furcht und des Schmerzes er¬
griffen. Er selbst war am wenigsten frei davon, von Zeit zu Zeit merkte er,
daß er durch Straßen irre, die nicht an seinem Wege lagen, und dann fragte
er sich bitter, was denn sein Weg sei. Den Gedanken, in die einsame, dürftige
Wohnung zu flüchten, in der er verborgen dahingelebt hatte, seit er wieder in
Lissabon war, wies er weit von sich. Wie ein Traum am hellen Tage überkam
ihn eine plötzliche Sehnsucht nach dem Schatten von König Diniz' Platane und
dem hellen Springbrunnen von Almoeegema, ein Verlangen, Barreto die ganze
Pein zu enthüllen, in der er zur Stunde lebte. Sobald er ernst darüber nach¬
dachte, wußte er auch, daß er um nichts in der Welt dem Freunde hätte be¬
gegnen mögen, jetzt, wo jede dunkle Vorhersagung desselben in Erfüllung ging
und wo sein eignes Gewissen ihn hart anklagte. In der Nähe der Kirche da
Carmo traf der Dichter auf einen Volkshaufen, welcher eine Gruppe älterer
Bürger umgab, die laut um ihre erschlagnen Söhne jammerten und grimmige
Verwünschungen auf die Häupter aller herabrieselt, welche zu dem Zuge nach
Afrika geraten hatten. Er sah betroffen auf die schmerzerregten, thränenüber¬
strömtem Gesichter, die wild erhobnen Arme und Fäuste, er hörte, zusammen¬
schauernd, die wilden Drohungen wider Dom Jocio von Belem, wider Pedro
Aleacova und die Räte, denen der König die Regierung des Landes vertraut
hatte. Ihn selbst kannte hier niemand, er brauchte, mitten durch die Wütenden
hindurchschreitend, keine Furcht zu hegen. Aber es war ihm, als seien in dem
wilden Aufschrei, den Klagerufen und Flüchen der Masse nur die tausend
Stimmen laut geworden, die in der eignen Seele wider ihn aufschrieen. Jene
Verse seiner Lusiaden, in denen er König Sebastian zum Kampf wider die Heiden
aufgerufen, dröhnten strafend in ihm wieder, und er wußte, daß er sie nicht
zum Schweigen bringen könne!

Endlich stand er vor der geschlossenen Pforte zum Profeßhcms der Jesuiten,
in welchem er während des vorjährigen Herbstes Fray Tellez Alucita mehr
als einmal besucht hatte. Er zog auch heute, wie er es gewöhnt war, die
Thorglocke, und erst nachdem er dies gethan, kam ihm, wie eine Eingebung, der
Gedanke, nach Fray Rafael, Tellez' Vorgänger, zu fragen, ihm zu berichten, was
er über das Ende des jüngern Ordensbruders vor wenigen Stunden auf dem
Steindamm beim alten Wnchtturme vernommen hatte. Als der Pförtner ihm
nach einigem Zögern öffnete und er die kühle, hohe Vorhalle mit ihren Heiligen¬
bildern betrat, beklemmte ihn die ungestörte, feierliche Stille, welche hier herrschte.
Auf sein Verlangen, Früh Rafael zu sprechen, ward er bedeutet, daß sämtliche
Bewohner des Hauses eben zu Toteugebeten für Dom Sebastian vereinigt seien
und er daher im Sprechzimmer warten möge. Er selbst hatte seit dem Zu¬
sammentreffen mit den Flüchtlingen von Aleaeer nicht mehr am Tode des Königs


Lamoens.

einem fieberhaften Leben gewichen, Cmuoens hatte das Gefühl, so oft er sich
durch eine der wehklagenden, zürnenden und schwatzenden Schciaren hindurchwand,
als seien alle Menschen von einem Taumel der Furcht und des Schmerzes er¬
griffen. Er selbst war am wenigsten frei davon, von Zeit zu Zeit merkte er,
daß er durch Straßen irre, die nicht an seinem Wege lagen, und dann fragte
er sich bitter, was denn sein Weg sei. Den Gedanken, in die einsame, dürftige
Wohnung zu flüchten, in der er verborgen dahingelebt hatte, seit er wieder in
Lissabon war, wies er weit von sich. Wie ein Traum am hellen Tage überkam
ihn eine plötzliche Sehnsucht nach dem Schatten von König Diniz' Platane und
dem hellen Springbrunnen von Almoeegema, ein Verlangen, Barreto die ganze
Pein zu enthüllen, in der er zur Stunde lebte. Sobald er ernst darüber nach¬
dachte, wußte er auch, daß er um nichts in der Welt dem Freunde hätte be¬
gegnen mögen, jetzt, wo jede dunkle Vorhersagung desselben in Erfüllung ging
und wo sein eignes Gewissen ihn hart anklagte. In der Nähe der Kirche da
Carmo traf der Dichter auf einen Volkshaufen, welcher eine Gruppe älterer
Bürger umgab, die laut um ihre erschlagnen Söhne jammerten und grimmige
Verwünschungen auf die Häupter aller herabrieselt, welche zu dem Zuge nach
Afrika geraten hatten. Er sah betroffen auf die schmerzerregten, thränenüber¬
strömtem Gesichter, die wild erhobnen Arme und Fäuste, er hörte, zusammen¬
schauernd, die wilden Drohungen wider Dom Jocio von Belem, wider Pedro
Aleacova und die Räte, denen der König die Regierung des Landes vertraut
hatte. Ihn selbst kannte hier niemand, er brauchte, mitten durch die Wütenden
hindurchschreitend, keine Furcht zu hegen. Aber es war ihm, als seien in dem
wilden Aufschrei, den Klagerufen und Flüchen der Masse nur die tausend
Stimmen laut geworden, die in der eignen Seele wider ihn aufschrieen. Jene
Verse seiner Lusiaden, in denen er König Sebastian zum Kampf wider die Heiden
aufgerufen, dröhnten strafend in ihm wieder, und er wußte, daß er sie nicht
zum Schweigen bringen könne!

Endlich stand er vor der geschlossenen Pforte zum Profeßhcms der Jesuiten,
in welchem er während des vorjährigen Herbstes Fray Tellez Alucita mehr
als einmal besucht hatte. Er zog auch heute, wie er es gewöhnt war, die
Thorglocke, und erst nachdem er dies gethan, kam ihm, wie eine Eingebung, der
Gedanke, nach Fray Rafael, Tellez' Vorgänger, zu fragen, ihm zu berichten, was
er über das Ende des jüngern Ordensbruders vor wenigen Stunden auf dem
Steindamm beim alten Wnchtturme vernommen hatte. Als der Pförtner ihm
nach einigem Zögern öffnete und er die kühle, hohe Vorhalle mit ihren Heiligen¬
bildern betrat, beklemmte ihn die ungestörte, feierliche Stille, welche hier herrschte.
Auf sein Verlangen, Früh Rafael zu sprechen, ward er bedeutet, daß sämtliche
Bewohner des Hauses eben zu Toteugebeten für Dom Sebastian vereinigt seien
und er daher im Sprechzimmer warten möge. Er selbst hatte seit dem Zu¬
sammentreffen mit den Flüchtlingen von Aleaeer nicht mehr am Tode des Königs


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[0244] Lamoens. einem fieberhaften Leben gewichen, Cmuoens hatte das Gefühl, so oft er sich durch eine der wehklagenden, zürnenden und schwatzenden Schciaren hindurchwand, als seien alle Menschen von einem Taumel der Furcht und des Schmerzes er¬ griffen. Er selbst war am wenigsten frei davon, von Zeit zu Zeit merkte er, daß er durch Straßen irre, die nicht an seinem Wege lagen, und dann fragte er sich bitter, was denn sein Weg sei. Den Gedanken, in die einsame, dürftige Wohnung zu flüchten, in der er verborgen dahingelebt hatte, seit er wieder in Lissabon war, wies er weit von sich. Wie ein Traum am hellen Tage überkam ihn eine plötzliche Sehnsucht nach dem Schatten von König Diniz' Platane und dem hellen Springbrunnen von Almoeegema, ein Verlangen, Barreto die ganze Pein zu enthüllen, in der er zur Stunde lebte. Sobald er ernst darüber nach¬ dachte, wußte er auch, daß er um nichts in der Welt dem Freunde hätte be¬ gegnen mögen, jetzt, wo jede dunkle Vorhersagung desselben in Erfüllung ging und wo sein eignes Gewissen ihn hart anklagte. In der Nähe der Kirche da Carmo traf der Dichter auf einen Volkshaufen, welcher eine Gruppe älterer Bürger umgab, die laut um ihre erschlagnen Söhne jammerten und grimmige Verwünschungen auf die Häupter aller herabrieselt, welche zu dem Zuge nach Afrika geraten hatten. Er sah betroffen auf die schmerzerregten, thränenüber¬ strömtem Gesichter, die wild erhobnen Arme und Fäuste, er hörte, zusammen¬ schauernd, die wilden Drohungen wider Dom Jocio von Belem, wider Pedro Aleacova und die Räte, denen der König die Regierung des Landes vertraut hatte. Ihn selbst kannte hier niemand, er brauchte, mitten durch die Wütenden hindurchschreitend, keine Furcht zu hegen. Aber es war ihm, als seien in dem wilden Aufschrei, den Klagerufen und Flüchen der Masse nur die tausend Stimmen laut geworden, die in der eignen Seele wider ihn aufschrieen. Jene Verse seiner Lusiaden, in denen er König Sebastian zum Kampf wider die Heiden aufgerufen, dröhnten strafend in ihm wieder, und er wußte, daß er sie nicht zum Schweigen bringen könne! Endlich stand er vor der geschlossenen Pforte zum Profeßhcms der Jesuiten, in welchem er während des vorjährigen Herbstes Fray Tellez Alucita mehr als einmal besucht hatte. Er zog auch heute, wie er es gewöhnt war, die Thorglocke, und erst nachdem er dies gethan, kam ihm, wie eine Eingebung, der Gedanke, nach Fray Rafael, Tellez' Vorgänger, zu fragen, ihm zu berichten, was er über das Ende des jüngern Ordensbruders vor wenigen Stunden auf dem Steindamm beim alten Wnchtturme vernommen hatte. Als der Pförtner ihm nach einigem Zögern öffnete und er die kühle, hohe Vorhalle mit ihren Heiligen¬ bildern betrat, beklemmte ihn die ungestörte, feierliche Stille, welche hier herrschte. Auf sein Verlangen, Früh Rafael zu sprechen, ward er bedeutet, daß sämtliche Bewohner des Hauses eben zu Toteugebeten für Dom Sebastian vereinigt seien und er daher im Sprechzimmer warten möge. Er selbst hatte seit dem Zu¬ sammentreffen mit den Flüchtlingen von Aleaeer nicht mehr am Tode des Königs

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198719/244>, abgerufen am 03.07.2024.