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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal.

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Lamoöns.

Wer ist der dort auf dem Steine? Was erzählt er? Wie hat sich die Un-
glückskunde mit einemmale verbreitet? unterbrach Camoens den schluchzenden.

Es ist einer von den reitenden Boten, welche der spanische Gouverneur
von Cadiz mit dem Berichte von der Unglücksschlacht hierher gesandt hat. Er
ist aber nicht der einzige! Wie aus der Erde steigen die Unheilsboten mit
einemmale auf, es ist, als hätten sie alle auf einen Tag und eine Stunde ge¬
wartet. In Lagos sind zwei Schiffe eingelaufen, welche drei Tage nach der
Schlacht in Tanger abgesegelt waren. Sie haben ein paar Versprengte von
Aleaecr und einige aus des Königs Dienerschaft gebracht, welche er in Tanger
zurückgelassen hatte! Sie wissen von dem entsetzlichen Ende nicht mehr als
jetzt wir alle!

Weißt du nicht, Bartolomeo, wo ich einen von diesen Dienern finden, ihn
selbst hören konnte? fragte Camoens, welcher bei Okaz' letzten Worten aus
seiner schmerzlichen Betäubung für einen Augenblick erwachte.

Ich habe nur erfahren, daß sie mit den aus der Schlacht entronnenen
und unserm Regenten nach dem Schlosse des Dom Henrique geeilt sind, des
Kardinal-Infanten, der unser König sein wird, wenn Dom Sebastian wirklich
in der Schlacht gefallen ist. Ob nicht doch einer von ihnen in Lissabon ge¬
blieben ist, weiß ich Euch nicht zu sagen, Senhor. Die Leute vom Schlacht¬
felde widersprechen einander in allem, was sie sagen; unter dem Volke will
noch keiner an den Tod des Königs glauben.

Camoens hörte schon nicht mehr, was Bartolomeo ihm nachrief. Ihn trieb
es weiter, zum Palast, zum Profeßhaus der Gesellschaft Jesu, zum Franziskaner-
kloster, zur Admiralität, in der die Regentschaft ihren Sitz genommen hatte,
überallhin, wo er eine schwache Hoffnung hegen durfte, Nachrichten und irgend¬
eine Gewißheit über Gräfin Catarina zu erlangen. Völlig unbekümmert um
das Gedränge, in das er geriet, ließ er sich von den Massen, welche in wilder
Erregung vom Hafen gegen das Königsschloß hinwogten, forttragen. Ganz
Lissabon war jetzt in Aufruhr, die Unheilskunde, welche am Morgen noch scheu
und leise durch die Hauptstadt geschlichen war, scholl jetzt von tausend Lippen,
abenteuerliche Gerüchte, ja Wundercrzählungen, wie der König gerettet worden,
wohin er geflüchtet sei, wurden von den Entsteinen derselben Straßen laut ver¬
kündet, durch welche eine feierliche Prozession von Lissaboner Ratsherren mit
schwarzen Bannern zog und nach alter Sitte um den Tod des Königs feierlich
wehklagte. Die nächsten auf- und abwogenden Volkshaufen vernahmen die ein¬
tönigen Rufe des Ratsherren, stimmten in die schmerzlichen Klagelaute ein,
wiederholten murmelnd die kurzen Gebete für des Königs Seele und lauschten
dann wieder den Berichten unbekannter, welche genau wissen wollten, daß Dom
Sebastian in der Nacht nach der Mohrenschlacht die Festung Arzilla erreicht
habe und mit der gerettete" Flotte in den Tcijo zurückkehren werde. Die dumpfe
Stille, welche seit Wochen über der großen Hauptstadt gelegen hatte, war plötzlich


Lamoöns.

Wer ist der dort auf dem Steine? Was erzählt er? Wie hat sich die Un-
glückskunde mit einemmale verbreitet? unterbrach Camoens den schluchzenden.

Es ist einer von den reitenden Boten, welche der spanische Gouverneur
von Cadiz mit dem Berichte von der Unglücksschlacht hierher gesandt hat. Er
ist aber nicht der einzige! Wie aus der Erde steigen die Unheilsboten mit
einemmale auf, es ist, als hätten sie alle auf einen Tag und eine Stunde ge¬
wartet. In Lagos sind zwei Schiffe eingelaufen, welche drei Tage nach der
Schlacht in Tanger abgesegelt waren. Sie haben ein paar Versprengte von
Aleaecr und einige aus des Königs Dienerschaft gebracht, welche er in Tanger
zurückgelassen hatte! Sie wissen von dem entsetzlichen Ende nicht mehr als
jetzt wir alle!

Weißt du nicht, Bartolomeo, wo ich einen von diesen Dienern finden, ihn
selbst hören konnte? fragte Camoens, welcher bei Okaz' letzten Worten aus
seiner schmerzlichen Betäubung für einen Augenblick erwachte.

Ich habe nur erfahren, daß sie mit den aus der Schlacht entronnenen
und unserm Regenten nach dem Schlosse des Dom Henrique geeilt sind, des
Kardinal-Infanten, der unser König sein wird, wenn Dom Sebastian wirklich
in der Schlacht gefallen ist. Ob nicht doch einer von ihnen in Lissabon ge¬
blieben ist, weiß ich Euch nicht zu sagen, Senhor. Die Leute vom Schlacht¬
felde widersprechen einander in allem, was sie sagen; unter dem Volke will
noch keiner an den Tod des Königs glauben.

Camoens hörte schon nicht mehr, was Bartolomeo ihm nachrief. Ihn trieb
es weiter, zum Palast, zum Profeßhaus der Gesellschaft Jesu, zum Franziskaner-
kloster, zur Admiralität, in der die Regentschaft ihren Sitz genommen hatte,
überallhin, wo er eine schwache Hoffnung hegen durfte, Nachrichten und irgend¬
eine Gewißheit über Gräfin Catarina zu erlangen. Völlig unbekümmert um
das Gedränge, in das er geriet, ließ er sich von den Massen, welche in wilder
Erregung vom Hafen gegen das Königsschloß hinwogten, forttragen. Ganz
Lissabon war jetzt in Aufruhr, die Unheilskunde, welche am Morgen noch scheu
und leise durch die Hauptstadt geschlichen war, scholl jetzt von tausend Lippen,
abenteuerliche Gerüchte, ja Wundercrzählungen, wie der König gerettet worden,
wohin er geflüchtet sei, wurden von den Entsteinen derselben Straßen laut ver¬
kündet, durch welche eine feierliche Prozession von Lissaboner Ratsherren mit
schwarzen Bannern zog und nach alter Sitte um den Tod des Königs feierlich
wehklagte. Die nächsten auf- und abwogenden Volkshaufen vernahmen die ein¬
tönigen Rufe des Ratsherren, stimmten in die schmerzlichen Klagelaute ein,
wiederholten murmelnd die kurzen Gebete für des Königs Seele und lauschten
dann wieder den Berichten unbekannter, welche genau wissen wollten, daß Dom
Sebastian in der Nacht nach der Mohrenschlacht die Festung Arzilla erreicht
habe und mit der gerettete» Flotte in den Tcijo zurückkehren werde. Die dumpfe
Stille, welche seit Wochen über der großen Hauptstadt gelegen hatte, war plötzlich


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[0243] Lamoöns. Wer ist der dort auf dem Steine? Was erzählt er? Wie hat sich die Un- glückskunde mit einemmale verbreitet? unterbrach Camoens den schluchzenden. Es ist einer von den reitenden Boten, welche der spanische Gouverneur von Cadiz mit dem Berichte von der Unglücksschlacht hierher gesandt hat. Er ist aber nicht der einzige! Wie aus der Erde steigen die Unheilsboten mit einemmale auf, es ist, als hätten sie alle auf einen Tag und eine Stunde ge¬ wartet. In Lagos sind zwei Schiffe eingelaufen, welche drei Tage nach der Schlacht in Tanger abgesegelt waren. Sie haben ein paar Versprengte von Aleaecr und einige aus des Königs Dienerschaft gebracht, welche er in Tanger zurückgelassen hatte! Sie wissen von dem entsetzlichen Ende nicht mehr als jetzt wir alle! Weißt du nicht, Bartolomeo, wo ich einen von diesen Dienern finden, ihn selbst hören konnte? fragte Camoens, welcher bei Okaz' letzten Worten aus seiner schmerzlichen Betäubung für einen Augenblick erwachte. Ich habe nur erfahren, daß sie mit den aus der Schlacht entronnenen und unserm Regenten nach dem Schlosse des Dom Henrique geeilt sind, des Kardinal-Infanten, der unser König sein wird, wenn Dom Sebastian wirklich in der Schlacht gefallen ist. Ob nicht doch einer von ihnen in Lissabon ge¬ blieben ist, weiß ich Euch nicht zu sagen, Senhor. Die Leute vom Schlacht¬ felde widersprechen einander in allem, was sie sagen; unter dem Volke will noch keiner an den Tod des Königs glauben. Camoens hörte schon nicht mehr, was Bartolomeo ihm nachrief. Ihn trieb es weiter, zum Palast, zum Profeßhaus der Gesellschaft Jesu, zum Franziskaner- kloster, zur Admiralität, in der die Regentschaft ihren Sitz genommen hatte, überallhin, wo er eine schwache Hoffnung hegen durfte, Nachrichten und irgend¬ eine Gewißheit über Gräfin Catarina zu erlangen. Völlig unbekümmert um das Gedränge, in das er geriet, ließ er sich von den Massen, welche in wilder Erregung vom Hafen gegen das Königsschloß hinwogten, forttragen. Ganz Lissabon war jetzt in Aufruhr, die Unheilskunde, welche am Morgen noch scheu und leise durch die Hauptstadt geschlichen war, scholl jetzt von tausend Lippen, abenteuerliche Gerüchte, ja Wundercrzählungen, wie der König gerettet worden, wohin er geflüchtet sei, wurden von den Entsteinen derselben Straßen laut ver¬ kündet, durch welche eine feierliche Prozession von Lissaboner Ratsherren mit schwarzen Bannern zog und nach alter Sitte um den Tod des Königs feierlich wehklagte. Die nächsten auf- und abwogenden Volkshaufen vernahmen die ein¬ tönigen Rufe des Ratsherren, stimmten in die schmerzlichen Klagelaute ein, wiederholten murmelnd die kurzen Gebete für des Königs Seele und lauschten dann wieder den Berichten unbekannter, welche genau wissen wollten, daß Dom Sebastian in der Nacht nach der Mohrenschlacht die Festung Arzilla erreicht habe und mit der gerettete» Flotte in den Tcijo zurückkehren werde. Die dumpfe Stille, welche seit Wochen über der großen Hauptstadt gelegen hatte, war plötzlich

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198719/243>, abgerufen am 03.07.2024.