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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal.

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Camoens.

In seiner dumpfen Verzweiflung eilte Camoens noch einmal nach dem
Wachtturme zurück, um dem alten Wächter, seinem Genossen an so vielen Tagen,
in leidenschaftlich fliegenden Worten die erschütternden Nachrichten mitzuteilen.
Mit stumpfer Neugier lauschte der Alte der Unheilskunde; dann sagte er: Es
wird nicht so schlimm sein, wie die Flüchtlinge berichten. Der König und die
großen Herren haben sicher Mittel gefunden, sich zu retten oder zu lösen, die
armen Bursche Pflegen es allein zu sein, welche die Zeche bei solchem Kriegs¬
gelage zahlen. Ist es aber wahr, ist König Sebastian wirklich tot, so haben
wir die Spanier im Lande, ehe viel Zeit hingeht.

Camoens folgte diesen lauten Betrachtungen schon nicht mehr. Sowie er
sah, daß der Hafenwächter ruhig blieb, hatte er sich von ihm hinweggcwcmdt
und den Weg über den Molo nach dem Jnnenhafen und von dort zur Stadt
eingeschlagen. Den ersten Mensche", denen er begegnete, sah er es an, daß er
nicht der Alleinwisser eines schweren Geheimnisses sei, wie er im Anfange
seines Weges geträumt hatte. Wo der Steindamm an den Jnnenhafen stieß,
waren eben ein paar Schiffe ausgerüstet worden, die dem König nachgeschickt
werden sollten. Jetzt hatten Schiffsleute und Lastträger die Arbeit eingestellt,
standen in dichten Gruppen, rufend, flüsternd, heftig gestikulirend, zum Teil laut
weinend beisammen, Camoens wußte im Vorübergehen schon, wovon sie sprachen.
Sie riefen ihn an, ohne ihn zu kennen: Wißt Ihr schon, Senhor? Er konnte
nur stumm nicken, sie sahen an seinen Zügen, daß er alles wußte. Je weiter
er kam, umso deutlicher ward es, daß inzwischen noch andre Boten der ver¬
nichtende!? Niederlage nach Lissabon gelangt seien als die Flüchtlinge, welche
gegen Setubal hin abgezogen waren. Ein brausender, verworrener Lärm, in
welchen sich die Tranerglocken zahlreicher Kapellen und Klöster mischten, scholl
dem näherkommende" entgegen, an dem prächtigen Quai, an dem sich vor nicht
zwei Monden König Sebastian und sein glänzendes Gefolge eingeschifft hatten,
drängten sich Hunderte von wilderregten Menschen um einen Mann zusammen,
der laut redend auf jeuer steinernen Erhöhung stand, welche die Hafenmaucr
von der Straße für Fuhrwerke trennte. Die schmerzvollen Ausrufe: Der König!
König Sebastian! Unser tapferes armes Heer! die in Camoens' Ohr drangen,
ließen ihn über das, was der Unbekannte verkündete, nicht im Zweifel. Zum
Überflüsse entdeckte er unter der Menge, welche dort dicht gedrängt stand, den
wackern Herbergswirt von Ciutra, von welchem er sich vor wenigen Stunden
getrennt hatte. Camoens brachte es nicht übers Herz, an dem Einzigen in
dieser Masse vorüberzugehen, den er aus bessern Tagen kannte. Er faßte
schweigend seine Hand, und Okaz wandte sich hastig zu ihn, herum: Ihr seht,
Senhor Luis, daß ich keine Gespenster sah! Wollte der Himmel, ich hätte sie
gesehen, denn daß es so, so ganz vernichtend, so trostlos riede.rschmettcrud
kommen sollte, als ob Gottes härtester Zorn über Portugal wäre, das habe auch
ich nicht gefürchtet! Herr, was foll aus uns, aus diesem armen Lande werden?


Camoens.

In seiner dumpfen Verzweiflung eilte Camoens noch einmal nach dem
Wachtturme zurück, um dem alten Wächter, seinem Genossen an so vielen Tagen,
in leidenschaftlich fliegenden Worten die erschütternden Nachrichten mitzuteilen.
Mit stumpfer Neugier lauschte der Alte der Unheilskunde; dann sagte er: Es
wird nicht so schlimm sein, wie die Flüchtlinge berichten. Der König und die
großen Herren haben sicher Mittel gefunden, sich zu retten oder zu lösen, die
armen Bursche Pflegen es allein zu sein, welche die Zeche bei solchem Kriegs¬
gelage zahlen. Ist es aber wahr, ist König Sebastian wirklich tot, so haben
wir die Spanier im Lande, ehe viel Zeit hingeht.

Camoens folgte diesen lauten Betrachtungen schon nicht mehr. Sowie er
sah, daß der Hafenwächter ruhig blieb, hatte er sich von ihm hinweggcwcmdt
und den Weg über den Molo nach dem Jnnenhafen und von dort zur Stadt
eingeschlagen. Den ersten Mensche», denen er begegnete, sah er es an, daß er
nicht der Alleinwisser eines schweren Geheimnisses sei, wie er im Anfange
seines Weges geträumt hatte. Wo der Steindamm an den Jnnenhafen stieß,
waren eben ein paar Schiffe ausgerüstet worden, die dem König nachgeschickt
werden sollten. Jetzt hatten Schiffsleute und Lastträger die Arbeit eingestellt,
standen in dichten Gruppen, rufend, flüsternd, heftig gestikulirend, zum Teil laut
weinend beisammen, Camoens wußte im Vorübergehen schon, wovon sie sprachen.
Sie riefen ihn an, ohne ihn zu kennen: Wißt Ihr schon, Senhor? Er konnte
nur stumm nicken, sie sahen an seinen Zügen, daß er alles wußte. Je weiter
er kam, umso deutlicher ward es, daß inzwischen noch andre Boten der ver¬
nichtende!? Niederlage nach Lissabon gelangt seien als die Flüchtlinge, welche
gegen Setubal hin abgezogen waren. Ein brausender, verworrener Lärm, in
welchen sich die Tranerglocken zahlreicher Kapellen und Klöster mischten, scholl
dem näherkommende» entgegen, an dem prächtigen Quai, an dem sich vor nicht
zwei Monden König Sebastian und sein glänzendes Gefolge eingeschifft hatten,
drängten sich Hunderte von wilderregten Menschen um einen Mann zusammen,
der laut redend auf jeuer steinernen Erhöhung stand, welche die Hafenmaucr
von der Straße für Fuhrwerke trennte. Die schmerzvollen Ausrufe: Der König!
König Sebastian! Unser tapferes armes Heer! die in Camoens' Ohr drangen,
ließen ihn über das, was der Unbekannte verkündete, nicht im Zweifel. Zum
Überflüsse entdeckte er unter der Menge, welche dort dicht gedrängt stand, den
wackern Herbergswirt von Ciutra, von welchem er sich vor wenigen Stunden
getrennt hatte. Camoens brachte es nicht übers Herz, an dem Einzigen in
dieser Masse vorüberzugehen, den er aus bessern Tagen kannte. Er faßte
schweigend seine Hand, und Okaz wandte sich hastig zu ihn, herum: Ihr seht,
Senhor Luis, daß ich keine Gespenster sah! Wollte der Himmel, ich hätte sie
gesehen, denn daß es so, so ganz vernichtend, so trostlos riede.rschmettcrud
kommen sollte, als ob Gottes härtester Zorn über Portugal wäre, das habe auch
ich nicht gefürchtet! Herr, was foll aus uns, aus diesem armen Lande werden?


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[0242] Camoens. In seiner dumpfen Verzweiflung eilte Camoens noch einmal nach dem Wachtturme zurück, um dem alten Wächter, seinem Genossen an so vielen Tagen, in leidenschaftlich fliegenden Worten die erschütternden Nachrichten mitzuteilen. Mit stumpfer Neugier lauschte der Alte der Unheilskunde; dann sagte er: Es wird nicht so schlimm sein, wie die Flüchtlinge berichten. Der König und die großen Herren haben sicher Mittel gefunden, sich zu retten oder zu lösen, die armen Bursche Pflegen es allein zu sein, welche die Zeche bei solchem Kriegs¬ gelage zahlen. Ist es aber wahr, ist König Sebastian wirklich tot, so haben wir die Spanier im Lande, ehe viel Zeit hingeht. Camoens folgte diesen lauten Betrachtungen schon nicht mehr. Sowie er sah, daß der Hafenwächter ruhig blieb, hatte er sich von ihm hinweggcwcmdt und den Weg über den Molo nach dem Jnnenhafen und von dort zur Stadt eingeschlagen. Den ersten Mensche», denen er begegnete, sah er es an, daß er nicht der Alleinwisser eines schweren Geheimnisses sei, wie er im Anfange seines Weges geträumt hatte. Wo der Steindamm an den Jnnenhafen stieß, waren eben ein paar Schiffe ausgerüstet worden, die dem König nachgeschickt werden sollten. Jetzt hatten Schiffsleute und Lastträger die Arbeit eingestellt, standen in dichten Gruppen, rufend, flüsternd, heftig gestikulirend, zum Teil laut weinend beisammen, Camoens wußte im Vorübergehen schon, wovon sie sprachen. Sie riefen ihn an, ohne ihn zu kennen: Wißt Ihr schon, Senhor? Er konnte nur stumm nicken, sie sahen an seinen Zügen, daß er alles wußte. Je weiter er kam, umso deutlicher ward es, daß inzwischen noch andre Boten der ver¬ nichtende!? Niederlage nach Lissabon gelangt seien als die Flüchtlinge, welche gegen Setubal hin abgezogen waren. Ein brausender, verworrener Lärm, in welchen sich die Tranerglocken zahlreicher Kapellen und Klöster mischten, scholl dem näherkommende» entgegen, an dem prächtigen Quai, an dem sich vor nicht zwei Monden König Sebastian und sein glänzendes Gefolge eingeschifft hatten, drängten sich Hunderte von wilderregten Menschen um einen Mann zusammen, der laut redend auf jeuer steinernen Erhöhung stand, welche die Hafenmaucr von der Straße für Fuhrwerke trennte. Die schmerzvollen Ausrufe: Der König! König Sebastian! Unser tapferes armes Heer! die in Camoens' Ohr drangen, ließen ihn über das, was der Unbekannte verkündete, nicht im Zweifel. Zum Überflüsse entdeckte er unter der Menge, welche dort dicht gedrängt stand, den wackern Herbergswirt von Ciutra, von welchem er sich vor wenigen Stunden getrennt hatte. Camoens brachte es nicht übers Herz, an dem Einzigen in dieser Masse vorüberzugehen, den er aus bessern Tagen kannte. Er faßte schweigend seine Hand, und Okaz wandte sich hastig zu ihn, herum: Ihr seht, Senhor Luis, daß ich keine Gespenster sah! Wollte der Himmel, ich hätte sie gesehen, denn daß es so, so ganz vernichtend, so trostlos riede.rschmettcrud kommen sollte, als ob Gottes härtester Zorn über Portugal wäre, das habe auch ich nicht gefürchtet! Herr, was foll aus uns, aus diesem armen Lande werden?

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198719/242>, abgerufen am 03.07.2024.