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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal.

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Lcnnoens.

geblieben ist. Gott tröste Euch, wenn Ihr einen Sohn unter ihnen hattet, es
werden sich viel tausend Väter in Portugal trösten müssen. Und nun haltet
uns nicht länger auf, wir wollen von hier aus die Straße nach Setubal ein¬
schlagen, wo wir im Hospital der barmherzigen Brüder Unterkunft und Hilfe
zu finden hoffen. Wir sind nicht die Leute, die auf Straßen und Plätzen von
Lissabon verkünden mögen, was geschehen ist; der erste Bote von einem großen
Unheile läuft stets Gefahr für sich selbst, und die frommen Brüder in Setubal
werden schon sorgen, daß unsre Nachrichten zu den Ohren der Regenten kommen.

Wenn Ihr etwas für uns habt, zu einem Trunk unterwegs, so gebt es uns
nur! unsre Löhnung wird mit dem Seckelmeister ans dein Felde von Alcacer verloren
sein, mischte sich der braune Seemann, Camoens vertraulich zunickend, ius Gespräch.

Camoens griff hastig und verlegen in die Taschen seines Wamses und
legte einige Geldstücke in die entgegengestreckten Hände. Es thut mir leid, daß
ich Euch nur wenig geben kann, ich bin selbst arm -- doch zu einem Trunke
reicht es wohl! Er verstummte und wandte sich von den Flüchtlingen hinweg,
die ihrerseits den Damm hinnbeilten und dann eine Seitenstraße einschlugen.

Der Soldat, welcher die Schlucht geschildert hatte, schien sie zu führen,
er war auch der einzige, der noch einen Blick nach Camoens zurücksandte und
dessen Gesicht dem Erschütterten, Verstörten zum cmdernmale die Gewißheit er¬
weckte, daß er keine wilden Lügen, keine phantastischen Schiffergeschichten, sondern
grausige, niederschmetternde Wahrheit gehört habe. Camoens lechzte umsonst
nach einem freien Atemzuge, ihm war zu Mute, als könne er auf derselben Stelle,
auf der er das Entsetzliche vernommen hatte, enden, und doch trieb es ihn ge¬
waltsam hinweg, hinein zur Stadt, an jeden Ort hin, an dem er hoffen konnte,
Näheres und vielleicht ein Wort über das Schicksal Catarinas zu vernehmen.
Wie eine neue Last zu der alten, die seine Seele schon trug, überfiel ihn der
Gedanke, daß er vergessen habe, nach Mulei Muhamed, dem Emir, zu fragen,
welcher bei Alcacer an der Seite König Sebastians und seines Heeres gefochten
hatte. Wehe der Ärmsten, wenn sie in dessen, wehe ihr, wenn sie überhaupt
in die Hände seiner Landsleute gefallen war! Er mußte alles versuchen, von
ihr zu hören, und gestand sich doch zugleich ein, wie aussichtslos jeder Ver¬
such sein würde. Durch sein Hirn zuckten wilde, wechselnde Bilder, er sah Ca-
tarina Palmeirim klagend und verzweifelnd über das Schlachtfeld irren, sah sie
auf elender Flucht oder in maurischer Gefangenschaft -- mit dem Könige zu¬
gleich oder ohne ihn, und dann ergriff ihn wild das Gefühl seiner Ohnmacht,
er schlug sich vor die fieberheiße Stirn und murmelte vor sich hin: Da gähnt
die Kluft wieder, die ich Thor vergaß! Selbst wenn ich das letzte, was ich
habe, Leib und Leben für sie hingeben wollte, die Mohren würden des schlechten
Tausches spotten -- ein alternder Mann für ein blühendes junges Weib! Doch
das überlebt sie nicht, es kann nicht Gottes Wille sein, sie in neue, tiefere Schmach
zu stürzen, um mich zu treffen.


Grenzboten III. 1836- 30
Lcnnoens.

geblieben ist. Gott tröste Euch, wenn Ihr einen Sohn unter ihnen hattet, es
werden sich viel tausend Väter in Portugal trösten müssen. Und nun haltet
uns nicht länger auf, wir wollen von hier aus die Straße nach Setubal ein¬
schlagen, wo wir im Hospital der barmherzigen Brüder Unterkunft und Hilfe
zu finden hoffen. Wir sind nicht die Leute, die auf Straßen und Plätzen von
Lissabon verkünden mögen, was geschehen ist; der erste Bote von einem großen
Unheile läuft stets Gefahr für sich selbst, und die frommen Brüder in Setubal
werden schon sorgen, daß unsre Nachrichten zu den Ohren der Regenten kommen.

Wenn Ihr etwas für uns habt, zu einem Trunk unterwegs, so gebt es uns
nur! unsre Löhnung wird mit dem Seckelmeister ans dein Felde von Alcacer verloren
sein, mischte sich der braune Seemann, Camoens vertraulich zunickend, ius Gespräch.

Camoens griff hastig und verlegen in die Taschen seines Wamses und
legte einige Geldstücke in die entgegengestreckten Hände. Es thut mir leid, daß
ich Euch nur wenig geben kann, ich bin selbst arm — doch zu einem Trunke
reicht es wohl! Er verstummte und wandte sich von den Flüchtlingen hinweg,
die ihrerseits den Damm hinnbeilten und dann eine Seitenstraße einschlugen.

Der Soldat, welcher die Schlucht geschildert hatte, schien sie zu führen,
er war auch der einzige, der noch einen Blick nach Camoens zurücksandte und
dessen Gesicht dem Erschütterten, Verstörten zum cmdernmale die Gewißheit er¬
weckte, daß er keine wilden Lügen, keine phantastischen Schiffergeschichten, sondern
grausige, niederschmetternde Wahrheit gehört habe. Camoens lechzte umsonst
nach einem freien Atemzuge, ihm war zu Mute, als könne er auf derselben Stelle,
auf der er das Entsetzliche vernommen hatte, enden, und doch trieb es ihn ge¬
waltsam hinweg, hinein zur Stadt, an jeden Ort hin, an dem er hoffen konnte,
Näheres und vielleicht ein Wort über das Schicksal Catarinas zu vernehmen.
Wie eine neue Last zu der alten, die seine Seele schon trug, überfiel ihn der
Gedanke, daß er vergessen habe, nach Mulei Muhamed, dem Emir, zu fragen,
welcher bei Alcacer an der Seite König Sebastians und seines Heeres gefochten
hatte. Wehe der Ärmsten, wenn sie in dessen, wehe ihr, wenn sie überhaupt
in die Hände seiner Landsleute gefallen war! Er mußte alles versuchen, von
ihr zu hören, und gestand sich doch zugleich ein, wie aussichtslos jeder Ver¬
such sein würde. Durch sein Hirn zuckten wilde, wechselnde Bilder, er sah Ca-
tarina Palmeirim klagend und verzweifelnd über das Schlachtfeld irren, sah sie
auf elender Flucht oder in maurischer Gefangenschaft — mit dem Könige zu¬
gleich oder ohne ihn, und dann ergriff ihn wild das Gefühl seiner Ohnmacht,
er schlug sich vor die fieberheiße Stirn und murmelte vor sich hin: Da gähnt
die Kluft wieder, die ich Thor vergaß! Selbst wenn ich das letzte, was ich
habe, Leib und Leben für sie hingeben wollte, die Mohren würden des schlechten
Tausches spotten — ein alternder Mann für ein blühendes junges Weib! Doch
das überlebt sie nicht, es kann nicht Gottes Wille sein, sie in neue, tiefere Schmach
zu stürzen, um mich zu treffen.


Grenzboten III. 1836- 30
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198719/241>, abgerufen am 23.07.2024.