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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal.

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Camoöns.

deutete, den sie gemeinsam gekommen waren. Gehe in Frieden heim, Barto-
lomeo, sagte er dann, und habe Dank für die gute Meinung. Ich sagte dir
beim ersten Begegnen, daß ich nicht daran denken dürfe, Lissabon zu verlassen,
bis wir Gewißheit haben; gute Gewißheit begehre ich, Okaz, nicht Trost! Du
weißt nicht, was mich bewegt, und ich kann es dir nicht erklären, doch glaube
mir auf mein Wort, daß es für mich am besten ist, wenn ich hier ausharre,
bis Botschaft kommt. Und gelobe mir noch eins: wenn du wieder in Cintra
sitzest und Manuel Barretv bei dir vorspricht, so sage ihm nicht, daß du mich
gefunden hast und wie du mich gefunden hast.

Euer Wunsch soll mir ein Gebot sein, Senhor Luis, versetzte zögernd der
Herbergswirt. Ihr müßt besser wissen als ich, was Euch frommt, ich wüßte
Euch lieber im Hause von Almvcegema oder bei mir am Bord, als hier an
diesem öden Strandtnrme. Wenn ich Euch nicht nochmals begegne, Herr, so
möge Euch die heilige Jungfrau und alle Heiligen in ihren Schutz nehmen und
es fügen, daß wir uns an bessern. Tage wiedersehen als am heutigen! Ihr
werdet leider erfahren, daß Bartolomeo Okaz kein müßiger Schwätzer ist.

Camoens reichte dem Weggehenden die Hand und geleitete ihn ein halbes
Hundert Schritte auf dem Molo zurück. Er war seit Wochen allen Menschen
ausgewichen, so viel er es nur vermocht hatte, doch heute Morgen hatte ihm
das unvermutete Zusammentreffen mit dem ehemaligen Seemanne und die herz¬
liche Ansprache desselben flüchtig wohlgethan. Darnach freilich, als er auch aus
Bartolomeos Munde die schlimmen Gerüchte vernahm, welche seit einigen Tagen
durch Lissabon liefen und beim Vorüberschreiten an schwatzenden Gruppen selbst
in sein Ohr geklungen waren, hatte ihn das Verlangen erfaßt, wiederum allein
zu sein. Und darum nickte er jetzt Bartolomeo zwar freundlich zu und blickte
ihm noch einige Minuten nach, dann aber schritt er doch nach der Rundung
zurück und setzte sich, sein Schwert neben sich legend, auf die durchglühten
Steinplatten an einer Stelle nieder, wo eben der Turm ein wenig Schatten
zu spenden begann.

Und um lag er wieder, das unabsehbare Weltmeer zu Füßen, von dem
eine Verlorne Welle von Zeit zu Zeit die steinerne Böschung und seine Sohlen
netzte, und mußte um Jahre zurückdenken, an jene Zeit, wo er an tausend Tagen
auf dem felsigen Strande des Eilands Macao gelegen und in bitterer Einsam¬
keit und dumpfer Sehnsucht in die Wasferwttste des indischen Ozeans hinauf-
geblickt hatte. Damals hatte ihn der Gedanke, daß er das große Werk seines
Lebens noch zu thun habe, und die reine Erinnerung an Catariua Alceste, seiue
Jugendliebe, aufrecht erhalten und über die trostlose Öde seiner Tage erhoben --
heute war das große Gedicht vollendet, bellte weilte er im Vaterlande, das er
damals mit heißen Thränen ersehnt hatte, nud dennoch war es in seiner Seele
nächtiger als in den dunkeln Tagen der Verbannung! Er hatte den Einklang
mit sich selbst, hatte die Freundschaft mit Manuel Barreto dem heißen Ver-


Camoöns.

deutete, den sie gemeinsam gekommen waren. Gehe in Frieden heim, Barto-
lomeo, sagte er dann, und habe Dank für die gute Meinung. Ich sagte dir
beim ersten Begegnen, daß ich nicht daran denken dürfe, Lissabon zu verlassen,
bis wir Gewißheit haben; gute Gewißheit begehre ich, Okaz, nicht Trost! Du
weißt nicht, was mich bewegt, und ich kann es dir nicht erklären, doch glaube
mir auf mein Wort, daß es für mich am besten ist, wenn ich hier ausharre,
bis Botschaft kommt. Und gelobe mir noch eins: wenn du wieder in Cintra
sitzest und Manuel Barretv bei dir vorspricht, so sage ihm nicht, daß du mich
gefunden hast und wie du mich gefunden hast.

Euer Wunsch soll mir ein Gebot sein, Senhor Luis, versetzte zögernd der
Herbergswirt. Ihr müßt besser wissen als ich, was Euch frommt, ich wüßte
Euch lieber im Hause von Almvcegema oder bei mir am Bord, als hier an
diesem öden Strandtnrme. Wenn ich Euch nicht nochmals begegne, Herr, so
möge Euch die heilige Jungfrau und alle Heiligen in ihren Schutz nehmen und
es fügen, daß wir uns an bessern. Tage wiedersehen als am heutigen! Ihr
werdet leider erfahren, daß Bartolomeo Okaz kein müßiger Schwätzer ist.

Camoens reichte dem Weggehenden die Hand und geleitete ihn ein halbes
Hundert Schritte auf dem Molo zurück. Er war seit Wochen allen Menschen
ausgewichen, so viel er es nur vermocht hatte, doch heute Morgen hatte ihm
das unvermutete Zusammentreffen mit dem ehemaligen Seemanne und die herz¬
liche Ansprache desselben flüchtig wohlgethan. Darnach freilich, als er auch aus
Bartolomeos Munde die schlimmen Gerüchte vernahm, welche seit einigen Tagen
durch Lissabon liefen und beim Vorüberschreiten an schwatzenden Gruppen selbst
in sein Ohr geklungen waren, hatte ihn das Verlangen erfaßt, wiederum allein
zu sein. Und darum nickte er jetzt Bartolomeo zwar freundlich zu und blickte
ihm noch einige Minuten nach, dann aber schritt er doch nach der Rundung
zurück und setzte sich, sein Schwert neben sich legend, auf die durchglühten
Steinplatten an einer Stelle nieder, wo eben der Turm ein wenig Schatten
zu spenden begann.

Und um lag er wieder, das unabsehbare Weltmeer zu Füßen, von dem
eine Verlorne Welle von Zeit zu Zeit die steinerne Böschung und seine Sohlen
netzte, und mußte um Jahre zurückdenken, an jene Zeit, wo er an tausend Tagen
auf dem felsigen Strande des Eilands Macao gelegen und in bitterer Einsam¬
keit und dumpfer Sehnsucht in die Wasferwttste des indischen Ozeans hinauf-
geblickt hatte. Damals hatte ihn der Gedanke, daß er das große Werk seines
Lebens noch zu thun habe, und die reine Erinnerung an Catariua Alceste, seiue
Jugendliebe, aufrecht erhalten und über die trostlose Öde seiner Tage erhoben —
heute war das große Gedicht vollendet, bellte weilte er im Vaterlande, das er
damals mit heißen Thränen ersehnt hatte, nud dennoch war es in seiner Seele
nächtiger als in den dunkeln Tagen der Verbannung! Er hatte den Einklang
mit sich selbst, hatte die Freundschaft mit Manuel Barreto dem heißen Ver-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198719/196>, abgerufen am 22.07.2024.