Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Lamoöns.

so oft war der geheimnisvolle Gast des alten Turmmächtcrs den Steinwall
eilends zurückgcstürmt, um zuerst am Landungsplatze des Bootes zu stehen.
Seit nunmehr zehn Tagen hatte er übrigens umsonst seine Blicke stunden¬
lang über das Meer geschickt; kein Schiff, das die kleine purpurne Flagge
mit den goldnen Kastellen trug, hatte sich je gezeigt. Als heute der Edel¬
mann gar mit einem Begleiter, der sich Bartolomeo Okaz von Cintra nannte,
wieder bei dem Wachtturme erschienen war, hatte der alte Wächter in sich
hincingelacht: Drei Augen sehen freilich besser als eines, doch wo nichts zu
erspähen ist, kann auch das eine schon zu viel sein! Und jetzt dehnte er sich
gleichmütig in der Kühle des Turmes, ohne sich um seine Gäste weiter zu be¬
kümmern.

Draußen aber, ans dem wenige Schritte breiten, mit rohen Steinplatten
belegten Raume zwischen Turm und Meer, tauschten Luis Camoens und sein
Begleiter, nachdem sie zum hundertsten male seit dem Morgen die Flut über¬
schaut und sich versichert hatten, daß kein Fahrzeug der erwünschten Art heran¬
komme, ihre Besorgnisse und ihre geheimsten Gedanken: Du siehst, Bartolomeo,
daß leider kein Segel in Sicht ist. Ich gebe dir mein Wort, daß ich jeden
Tag, seit wir die Nachricht erhielten, daß der König mit der Flotte Tanger
verlassen habe, hier verweilte und die Ankunft eines der Postschiffe, die von
Afrika herüberkommen, hätte wahrnehmen müssen! Die Sorge, die mich daheim
nicht ruhen läßt, treibt mich mehr hierher, als mir lieb ist. Die Regentschaft
kann keine neuern und am wenigsten schlimme Nachrichten haben, und was sich
gestern in Cintra herumgeflüstert hat, sind die düstern Gerüchte, die seit Wochen
wie Vampyre durchs Land schnurren, unser letztes Herzblut heischend!

Der Herbergswirt von Cintra sah Camoens mit Mienen an, in denen sich
die alte scheue Ehrfurcht und Vefremdung und schlecht verhehltes Mitleid selt¬
sam mischten. Er bemerkte, während er scheinbar den Abstand zwischen der
Flut und dem Gemäuer maß, daß mit Camoens, seit derselbe im vorigen Jahre
so oft sein Gast gewesen war, eine entschiedne Veränderung vorgegangen war.
Die stattliche Haltung des ritterlichen Dichters war in eine leicht gebeugte ver¬
wandelt, sein Gesicht von geheimem Gram tief gefurcht, ja der wackere Okaz
wehrte sich vergebens gegen die Besorgnis, daß Senhor Luis Not leide. Gleich¬
wohl vermochte er nichts andres zu erwiedern als: Gott gebe, daß Ihr Euch
nicht täuscht, Herr! Die schlimmen Nachrichten vom Heere, wegen deren ich
nach Lissabon gekommen bin, können jedoch von Ceuta nach Gibraltar und über
Land zu uns gelangt sein. Die Herzogin von Braganza, welche für sich selbst
schon seit der Abfahrt des Königs und ihrer schönen Pflegetochter, von der
man sagt, daß sie mit dem Könige entflohen sei, in tiefer Trauer gewesen ist, hat
gestern Briefe von ihren spanischen Vettern erhalten, die bei San Lucar sitzen,
und gleich darnach angeordnet, daß ihre sämtliche Dienerschaft in Trauer ge¬
kleidet werden soll. Unsre Regenten haben vielleicht dennoch Botschaften und


Lamoöns.

so oft war der geheimnisvolle Gast des alten Turmmächtcrs den Steinwall
eilends zurückgcstürmt, um zuerst am Landungsplatze des Bootes zu stehen.
Seit nunmehr zehn Tagen hatte er übrigens umsonst seine Blicke stunden¬
lang über das Meer geschickt; kein Schiff, das die kleine purpurne Flagge
mit den goldnen Kastellen trug, hatte sich je gezeigt. Als heute der Edel¬
mann gar mit einem Begleiter, der sich Bartolomeo Okaz von Cintra nannte,
wieder bei dem Wachtturme erschienen war, hatte der alte Wächter in sich
hincingelacht: Drei Augen sehen freilich besser als eines, doch wo nichts zu
erspähen ist, kann auch das eine schon zu viel sein! Und jetzt dehnte er sich
gleichmütig in der Kühle des Turmes, ohne sich um seine Gäste weiter zu be¬
kümmern.

Draußen aber, ans dem wenige Schritte breiten, mit rohen Steinplatten
belegten Raume zwischen Turm und Meer, tauschten Luis Camoens und sein
Begleiter, nachdem sie zum hundertsten male seit dem Morgen die Flut über¬
schaut und sich versichert hatten, daß kein Fahrzeug der erwünschten Art heran¬
komme, ihre Besorgnisse und ihre geheimsten Gedanken: Du siehst, Bartolomeo,
daß leider kein Segel in Sicht ist. Ich gebe dir mein Wort, daß ich jeden
Tag, seit wir die Nachricht erhielten, daß der König mit der Flotte Tanger
verlassen habe, hier verweilte und die Ankunft eines der Postschiffe, die von
Afrika herüberkommen, hätte wahrnehmen müssen! Die Sorge, die mich daheim
nicht ruhen läßt, treibt mich mehr hierher, als mir lieb ist. Die Regentschaft
kann keine neuern und am wenigsten schlimme Nachrichten haben, und was sich
gestern in Cintra herumgeflüstert hat, sind die düstern Gerüchte, die seit Wochen
wie Vampyre durchs Land schnurren, unser letztes Herzblut heischend!

Der Herbergswirt von Cintra sah Camoens mit Mienen an, in denen sich
die alte scheue Ehrfurcht und Vefremdung und schlecht verhehltes Mitleid selt¬
sam mischten. Er bemerkte, während er scheinbar den Abstand zwischen der
Flut und dem Gemäuer maß, daß mit Camoens, seit derselbe im vorigen Jahre
so oft sein Gast gewesen war, eine entschiedne Veränderung vorgegangen war.
Die stattliche Haltung des ritterlichen Dichters war in eine leicht gebeugte ver¬
wandelt, sein Gesicht von geheimem Gram tief gefurcht, ja der wackere Okaz
wehrte sich vergebens gegen die Besorgnis, daß Senhor Luis Not leide. Gleich¬
wohl vermochte er nichts andres zu erwiedern als: Gott gebe, daß Ihr Euch
nicht täuscht, Herr! Die schlimmen Nachrichten vom Heere, wegen deren ich
nach Lissabon gekommen bin, können jedoch von Ceuta nach Gibraltar und über
Land zu uns gelangt sein. Die Herzogin von Braganza, welche für sich selbst
schon seit der Abfahrt des Königs und ihrer schönen Pflegetochter, von der
man sagt, daß sie mit dem Könige entflohen sei, in tiefer Trauer gewesen ist, hat
gestern Briefe von ihren spanischen Vettern erhalten, die bei San Lucar sitzen,
und gleich darnach angeordnet, daß ihre sämtliche Dienerschaft in Trauer ge¬
kleidet werden soll. Unsre Regenten haben vielleicht dennoch Botschaften und


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0194" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/198914"/>
          <fw type="header" place="top"> Lamoöns.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_540" prev="#ID_539"> so oft war der geheimnisvolle Gast des alten Turmmächtcrs den Steinwall<lb/>
eilends zurückgcstürmt, um zuerst am Landungsplatze des Bootes zu stehen.<lb/>
Seit nunmehr zehn Tagen hatte er übrigens umsonst seine Blicke stunden¬<lb/>
lang über das Meer geschickt; kein Schiff, das die kleine purpurne Flagge<lb/>
mit den goldnen Kastellen trug, hatte sich je gezeigt. Als heute der Edel¬<lb/>
mann gar mit einem Begleiter, der sich Bartolomeo Okaz von Cintra nannte,<lb/>
wieder bei dem Wachtturme erschienen war, hatte der alte Wächter in sich<lb/>
hincingelacht: Drei Augen sehen freilich besser als eines, doch wo nichts zu<lb/>
erspähen ist, kann auch das eine schon zu viel sein! Und jetzt dehnte er sich<lb/>
gleichmütig in der Kühle des Turmes, ohne sich um seine Gäste weiter zu be¬<lb/>
kümmern.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_541"> Draußen aber, ans dem wenige Schritte breiten, mit rohen Steinplatten<lb/>
belegten Raume zwischen Turm und Meer, tauschten Luis Camoens und sein<lb/>
Begleiter, nachdem sie zum hundertsten male seit dem Morgen die Flut über¬<lb/>
schaut und sich versichert hatten, daß kein Fahrzeug der erwünschten Art heran¬<lb/>
komme, ihre Besorgnisse und ihre geheimsten Gedanken: Du siehst, Bartolomeo,<lb/>
daß leider kein Segel in Sicht ist. Ich gebe dir mein Wort, daß ich jeden<lb/>
Tag, seit wir die Nachricht erhielten, daß der König mit der Flotte Tanger<lb/>
verlassen habe, hier verweilte und die Ankunft eines der Postschiffe, die von<lb/>
Afrika herüberkommen, hätte wahrnehmen müssen! Die Sorge, die mich daheim<lb/>
nicht ruhen läßt, treibt mich mehr hierher, als mir lieb ist. Die Regentschaft<lb/>
kann keine neuern und am wenigsten schlimme Nachrichten haben, und was sich<lb/>
gestern in Cintra herumgeflüstert hat, sind die düstern Gerüchte, die seit Wochen<lb/>
wie Vampyre durchs Land schnurren, unser letztes Herzblut heischend!</p><lb/>
          <p xml:id="ID_542" next="#ID_543"> Der Herbergswirt von Cintra sah Camoens mit Mienen an, in denen sich<lb/>
die alte scheue Ehrfurcht und Vefremdung und schlecht verhehltes Mitleid selt¬<lb/>
sam mischten. Er bemerkte, während er scheinbar den Abstand zwischen der<lb/>
Flut und dem Gemäuer maß, daß mit Camoens, seit derselbe im vorigen Jahre<lb/>
so oft sein Gast gewesen war, eine entschiedne Veränderung vorgegangen war.<lb/>
Die stattliche Haltung des ritterlichen Dichters war in eine leicht gebeugte ver¬<lb/>
wandelt, sein Gesicht von geheimem Gram tief gefurcht, ja der wackere Okaz<lb/>
wehrte sich vergebens gegen die Besorgnis, daß Senhor Luis Not leide. Gleich¬<lb/>
wohl vermochte er nichts andres zu erwiedern als: Gott gebe, daß Ihr Euch<lb/>
nicht täuscht, Herr! Die schlimmen Nachrichten vom Heere, wegen deren ich<lb/>
nach Lissabon gekommen bin, können jedoch von Ceuta nach Gibraltar und über<lb/>
Land zu uns gelangt sein. Die Herzogin von Braganza, welche für sich selbst<lb/>
schon seit der Abfahrt des Königs und ihrer schönen Pflegetochter, von der<lb/>
man sagt, daß sie mit dem Könige entflohen sei, in tiefer Trauer gewesen ist, hat<lb/>
gestern Briefe von ihren spanischen Vettern erhalten, die bei San Lucar sitzen,<lb/>
und gleich darnach angeordnet, daß ihre sämtliche Dienerschaft in Trauer ge¬<lb/>
kleidet werden soll.  Unsre Regenten haben vielleicht dennoch Botschaften und</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0194] Lamoöns. so oft war der geheimnisvolle Gast des alten Turmmächtcrs den Steinwall eilends zurückgcstürmt, um zuerst am Landungsplatze des Bootes zu stehen. Seit nunmehr zehn Tagen hatte er übrigens umsonst seine Blicke stunden¬ lang über das Meer geschickt; kein Schiff, das die kleine purpurne Flagge mit den goldnen Kastellen trug, hatte sich je gezeigt. Als heute der Edel¬ mann gar mit einem Begleiter, der sich Bartolomeo Okaz von Cintra nannte, wieder bei dem Wachtturme erschienen war, hatte der alte Wächter in sich hincingelacht: Drei Augen sehen freilich besser als eines, doch wo nichts zu erspähen ist, kann auch das eine schon zu viel sein! Und jetzt dehnte er sich gleichmütig in der Kühle des Turmes, ohne sich um seine Gäste weiter zu be¬ kümmern. Draußen aber, ans dem wenige Schritte breiten, mit rohen Steinplatten belegten Raume zwischen Turm und Meer, tauschten Luis Camoens und sein Begleiter, nachdem sie zum hundertsten male seit dem Morgen die Flut über¬ schaut und sich versichert hatten, daß kein Fahrzeug der erwünschten Art heran¬ komme, ihre Besorgnisse und ihre geheimsten Gedanken: Du siehst, Bartolomeo, daß leider kein Segel in Sicht ist. Ich gebe dir mein Wort, daß ich jeden Tag, seit wir die Nachricht erhielten, daß der König mit der Flotte Tanger verlassen habe, hier verweilte und die Ankunft eines der Postschiffe, die von Afrika herüberkommen, hätte wahrnehmen müssen! Die Sorge, die mich daheim nicht ruhen läßt, treibt mich mehr hierher, als mir lieb ist. Die Regentschaft kann keine neuern und am wenigsten schlimme Nachrichten haben, und was sich gestern in Cintra herumgeflüstert hat, sind die düstern Gerüchte, die seit Wochen wie Vampyre durchs Land schnurren, unser letztes Herzblut heischend! Der Herbergswirt von Cintra sah Camoens mit Mienen an, in denen sich die alte scheue Ehrfurcht und Vefremdung und schlecht verhehltes Mitleid selt¬ sam mischten. Er bemerkte, während er scheinbar den Abstand zwischen der Flut und dem Gemäuer maß, daß mit Camoens, seit derselbe im vorigen Jahre so oft sein Gast gewesen war, eine entschiedne Veränderung vorgegangen war. Die stattliche Haltung des ritterlichen Dichters war in eine leicht gebeugte ver¬ wandelt, sein Gesicht von geheimem Gram tief gefurcht, ja der wackere Okaz wehrte sich vergebens gegen die Besorgnis, daß Senhor Luis Not leide. Gleich¬ wohl vermochte er nichts andres zu erwiedern als: Gott gebe, daß Ihr Euch nicht täuscht, Herr! Die schlimmen Nachrichten vom Heere, wegen deren ich nach Lissabon gekommen bin, können jedoch von Ceuta nach Gibraltar und über Land zu uns gelangt sein. Die Herzogin von Braganza, welche für sich selbst schon seit der Abfahrt des Königs und ihrer schönen Pflegetochter, von der man sagt, daß sie mit dem Könige entflohen sei, in tiefer Trauer gewesen ist, hat gestern Briefe von ihren spanischen Vettern erhalten, die bei San Lucar sitzen, und gleich darnach angeordnet, daß ihre sämtliche Dienerschaft in Trauer ge¬ kleidet werden soll. Unsre Regenten haben vielleicht dennoch Botschaften und

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198719
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198719/194
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198719/194>, abgerufen am 03.07.2024.