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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal.

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Scharnhorst? Leben bis zu seinem Eintritt in den preußischen Dienst.

Kehrenden Stadt nicht zu befriedigen. Mit Freuden ergriff er daher die Ge¬
legenheit, an die neuerrichtete Artillerieschule in Hannover zu kommen."

Bevor er aber seine neue Stellung antrat, besuchte er noch die meisten
deutschen Artillerieschulen von Ruf, um deren Einrichtungen kennen zu lerne".
So interessant auch seine Bemerkungen über die derartigen Institute zu München,
Wien, Prag und Freiberg, wie überhaupt über die bäuerische, österreichische und
sächsische Artillerie siud, so können wir doch hier darauf nicht näher eingehen und
wollen uns nur seine Äußerungen über die preußische Artillerie vergegenwärtigen.
Daß hier fast jeder Chef Veränderungen in der Einrichtung des Geschützes vor¬
genommen hatte, erregte mit Recht seine Verwunderung. Er fand aber für
diesen sonderbaren Zustand eine Erklärung darin, daß der große König sich um
die Einrichtungen dieser Waffengattung nicht speziell habe bekümmern können;
deshalb sei es "jedem, der nur einigermaßen die Vorteile seiner Abänderung
ins Licht zu setzen gemußt habe, leicht gewesen, dieselbe bei dem Könige durch¬
zubringe"." Sehr mißlich erschien es ihm auch, daß während der Friedenszeit
ein großer Teil der Bespannung den Baktern zur Bestellung ihrer Felder an¬
vertraut wurde; die Art der Bewaffnung und die Übungen der preußischen
Artillerie fanden aber seinen Beifall. Natürlich konzentrirte sich sein Interesse
auf die Lehreinrichtnngcn; auch hier fand sein scharfer Blick manches auszu¬
setzen: er sprach sich dahin aus, daß die sogenannten Fenerwerkleutnants, welche
keinen Dienst thaten, sondern nur die Bombardiere und Unteroffiziere unterwiesen,
meistenteils sehr geschickte und fähige Leute seien, daß sich auch gegen die
Tüchtigkeit der beiden bei jedem Regimente befindlichen Professoren, welche über
reine Mathematik und Mechanik Vorträge zu halten hatten, nichts eiumenden
lasse, da sie ja eine Prüfung vor der Akademie der Wissenschaften abgelegt
hätten; trotzdem würden "bei der Artillerie wenig geschickte Leute gezogen, teils
weil kein Wetteifer erregt werde, teils weil -- und dies sei das übelste -- bei
den Bombardiers und Unteroffizieren das Avancement uach Konnexion ginge
und nicht nach Kenntnissen, Einsicht, Fleiß und Wissenschaften."

Nachdem Scharnhorst noch die preußischen Gewehrfabriken in Potsdam
und Spandciu eingehend besichtigt hatte, reiste er über Magdeburg nach Hannover,
um hier sein neues Lehramt anzutreten.

An der hannöverschen Artillerieschule, wo außer Scharnhorst nur noch zwei
andre Lehrkräfte wirkten, sollten gleichzeitig die Unteroffiziere und die Offiziere
ihre Ausbildung erhalten. Für erstere bestand ein einjähriger Kursus, der sich
auf die praktischen Teile der Arithmetik, Geometrie, Artillerie und Mechanik,
sowie auf Zeichne" mit Zirkel und Lineal erstreckte. Dagegen war die Aus¬
bildungszeit der Offiziersaspirantcn und derjenigen Offiziere, "welche die ih"en
nötigen gründlichen Kenntnisse noch nicht besitzen sollten," ans drei Jahre be¬
rechnet: im erstell wurden sie hauptsächlich in der reinen Mathematik, in den
beiden letzten Jahren in Mechanik, Artillerie, Taktik, Fvrtifikativ" u"d in den


Scharnhorst? Leben bis zu seinem Eintritt in den preußischen Dienst.

Kehrenden Stadt nicht zu befriedigen. Mit Freuden ergriff er daher die Ge¬
legenheit, an die neuerrichtete Artillerieschule in Hannover zu kommen."

Bevor er aber seine neue Stellung antrat, besuchte er noch die meisten
deutschen Artillerieschulen von Ruf, um deren Einrichtungen kennen zu lerne».
So interessant auch seine Bemerkungen über die derartigen Institute zu München,
Wien, Prag und Freiberg, wie überhaupt über die bäuerische, österreichische und
sächsische Artillerie siud, so können wir doch hier darauf nicht näher eingehen und
wollen uns nur seine Äußerungen über die preußische Artillerie vergegenwärtigen.
Daß hier fast jeder Chef Veränderungen in der Einrichtung des Geschützes vor¬
genommen hatte, erregte mit Recht seine Verwunderung. Er fand aber für
diesen sonderbaren Zustand eine Erklärung darin, daß der große König sich um
die Einrichtungen dieser Waffengattung nicht speziell habe bekümmern können;
deshalb sei es „jedem, der nur einigermaßen die Vorteile seiner Abänderung
ins Licht zu setzen gemußt habe, leicht gewesen, dieselbe bei dem Könige durch¬
zubringe»." Sehr mißlich erschien es ihm auch, daß während der Friedenszeit
ein großer Teil der Bespannung den Baktern zur Bestellung ihrer Felder an¬
vertraut wurde; die Art der Bewaffnung und die Übungen der preußischen
Artillerie fanden aber seinen Beifall. Natürlich konzentrirte sich sein Interesse
auf die Lehreinrichtnngcn; auch hier fand sein scharfer Blick manches auszu¬
setzen: er sprach sich dahin aus, daß die sogenannten Fenerwerkleutnants, welche
keinen Dienst thaten, sondern nur die Bombardiere und Unteroffiziere unterwiesen,
meistenteils sehr geschickte und fähige Leute seien, daß sich auch gegen die
Tüchtigkeit der beiden bei jedem Regimente befindlichen Professoren, welche über
reine Mathematik und Mechanik Vorträge zu halten hatten, nichts eiumenden
lasse, da sie ja eine Prüfung vor der Akademie der Wissenschaften abgelegt
hätten; trotzdem würden „bei der Artillerie wenig geschickte Leute gezogen, teils
weil kein Wetteifer erregt werde, teils weil — und dies sei das übelste — bei
den Bombardiers und Unteroffizieren das Avancement uach Konnexion ginge
und nicht nach Kenntnissen, Einsicht, Fleiß und Wissenschaften."

Nachdem Scharnhorst noch die preußischen Gewehrfabriken in Potsdam
und Spandciu eingehend besichtigt hatte, reiste er über Magdeburg nach Hannover,
um hier sein neues Lehramt anzutreten.

An der hannöverschen Artillerieschule, wo außer Scharnhorst nur noch zwei
andre Lehrkräfte wirkten, sollten gleichzeitig die Unteroffiziere und die Offiziere
ihre Ausbildung erhalten. Für erstere bestand ein einjähriger Kursus, der sich
auf die praktischen Teile der Arithmetik, Geometrie, Artillerie und Mechanik,
sowie auf Zeichne» mit Zirkel und Lineal erstreckte. Dagegen war die Aus¬
bildungszeit der Offiziersaspirantcn und derjenigen Offiziere, „welche die ih»en
nötigen gründlichen Kenntnisse noch nicht besitzen sollten," ans drei Jahre be¬
rechnet: im erstell wurden sie hauptsächlich in der reinen Mathematik, in den
beiden letzten Jahren in Mechanik, Artillerie, Taktik, Fvrtifikativ» u»d in den


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[0018] Scharnhorst? Leben bis zu seinem Eintritt in den preußischen Dienst. Kehrenden Stadt nicht zu befriedigen. Mit Freuden ergriff er daher die Ge¬ legenheit, an die neuerrichtete Artillerieschule in Hannover zu kommen." Bevor er aber seine neue Stellung antrat, besuchte er noch die meisten deutschen Artillerieschulen von Ruf, um deren Einrichtungen kennen zu lerne». So interessant auch seine Bemerkungen über die derartigen Institute zu München, Wien, Prag und Freiberg, wie überhaupt über die bäuerische, österreichische und sächsische Artillerie siud, so können wir doch hier darauf nicht näher eingehen und wollen uns nur seine Äußerungen über die preußische Artillerie vergegenwärtigen. Daß hier fast jeder Chef Veränderungen in der Einrichtung des Geschützes vor¬ genommen hatte, erregte mit Recht seine Verwunderung. Er fand aber für diesen sonderbaren Zustand eine Erklärung darin, daß der große König sich um die Einrichtungen dieser Waffengattung nicht speziell habe bekümmern können; deshalb sei es „jedem, der nur einigermaßen die Vorteile seiner Abänderung ins Licht zu setzen gemußt habe, leicht gewesen, dieselbe bei dem Könige durch¬ zubringe»." Sehr mißlich erschien es ihm auch, daß während der Friedenszeit ein großer Teil der Bespannung den Baktern zur Bestellung ihrer Felder an¬ vertraut wurde; die Art der Bewaffnung und die Übungen der preußischen Artillerie fanden aber seinen Beifall. Natürlich konzentrirte sich sein Interesse auf die Lehreinrichtnngcn; auch hier fand sein scharfer Blick manches auszu¬ setzen: er sprach sich dahin aus, daß die sogenannten Fenerwerkleutnants, welche keinen Dienst thaten, sondern nur die Bombardiere und Unteroffiziere unterwiesen, meistenteils sehr geschickte und fähige Leute seien, daß sich auch gegen die Tüchtigkeit der beiden bei jedem Regimente befindlichen Professoren, welche über reine Mathematik und Mechanik Vorträge zu halten hatten, nichts eiumenden lasse, da sie ja eine Prüfung vor der Akademie der Wissenschaften abgelegt hätten; trotzdem würden „bei der Artillerie wenig geschickte Leute gezogen, teils weil kein Wetteifer erregt werde, teils weil — und dies sei das übelste — bei den Bombardiers und Unteroffizieren das Avancement uach Konnexion ginge und nicht nach Kenntnissen, Einsicht, Fleiß und Wissenschaften." Nachdem Scharnhorst noch die preußischen Gewehrfabriken in Potsdam und Spandciu eingehend besichtigt hatte, reiste er über Magdeburg nach Hannover, um hier sein neues Lehramt anzutreten. An der hannöverschen Artillerieschule, wo außer Scharnhorst nur noch zwei andre Lehrkräfte wirkten, sollten gleichzeitig die Unteroffiziere und die Offiziere ihre Ausbildung erhalten. Für erstere bestand ein einjähriger Kursus, der sich auf die praktischen Teile der Arithmetik, Geometrie, Artillerie und Mechanik, sowie auf Zeichne» mit Zirkel und Lineal erstreckte. Dagegen war die Aus¬ bildungszeit der Offiziersaspirantcn und derjenigen Offiziere, „welche die ih»en nötigen gründlichen Kenntnisse noch nicht besitzen sollten," ans drei Jahre be¬ rechnet: im erstell wurden sie hauptsächlich in der reinen Mathematik, in den beiden letzten Jahren in Mechanik, Artillerie, Taktik, Fvrtifikativ» u»d in den

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198719/18>, abgerufen am 03.07.2024.