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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal.

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Zcharnhorsts Leben bis zu seinem Eintritt in den preußischen Dienst,

für den Unterricht der Zöglinge auf seiner Anstalt verfaßte; auf ihn gehen
somit gewissermaßen die Anfänge der Generalstabswissenschaft zurück. Die
Grundlage des Unterrichts bildete die Mathematik; außer ihr wurde Feuer-
werkerei, Chemie, Festungsbau, Geographie, etwas Geschichte, Zeichnen, Ver¬
messen und Nivellirer gelehrt; auch stand eine reiche Bibliothek den Zöglingen
zu Gebote,

In diese Schule, welche sich auf der im Steinhuder Meere romantisch
gelegnen Festung Wilhelmftcin befand, wurde der junge Scharnhorst gedacht.
Er verbrachte dort vier Jahre, "den Teil des Lebens, in welchem sich der
Charakter des Menschen sür immer zu bestimmen pflegt," Durch seinen Fleiß,
durch seine herrliche", immer mehr sich entwickelnden Anlagen erregte er bald die
Aufmerksamkeit des Grafen, dem er bis an sein Lebensende die größte Dankbar¬
keit zollte. Und er hatte auch Grund, demselben dankbar zu sein: erlangte er doch
ans dem Wilhclmstein statt der frühern Halbbildung eine feste Geistesdisziplin,
lernte er doch dort "die Schwierigkeiten, mit denen das Aufsteigen aus den
niedern Schichten der Gesellschaft in die höhern allezeit verbunden gewesen ist,"
überwinden und "konnte mit vollen Zügen einschlürfen, was den Menschen des
achtzehnten Jahrhunderts das Leben erst lebenswert erscheinen ließ." Doch nur
zu bald, noch ehe Scharnhorst Offizier geworden war, wurde seinem Aufent-
halte auf dem Wilhelmstein, während dessen er eine Freundschaft fürs Leben
mit Heinrich Wilhelm von Zeschau schloß. ein Ziel gesetzt: Graf Wilhelm starb
plötzlich am 10, September 1777; die Seitenlinie, der sein Ländchen zufiel,
hatte kein Verständnis für seine Schöpfungen, sie löste daher auch die Kriegs¬
schule auf.

Aus der Verlegenheit, wohin sich Scharnhorst wenden sollte, riß ihn bald
ein Freund des verstorbnen Grafen Wilhelm, der hannöverische General Estorpf,
indem er ihn bewog, als Fähndrich in sein zu Nordheim ftatiouirtes Dragoner¬
regiment einzutreten. Estorpf hatte darin große Ähnlichkeit mit Graf Wilhelm,
daß er unermüdlich bemüht war, die geistige Ausbildung seiner Offiziere zu
fördern; auch er hatte zu diesem Zwecke sogar eine förmliche Regimentsschule
eingerichtet, in welcher Geometrie, Zeichnen, die Anfangsgründe der Artillerie¬
wissenschaft und die französische Sprache gelehrt wurden. Scharnhorst, der auf
dem Wilhelmstein eine vortreffliche Schulung genossen hatte, mußte auf Wunsch
Estorpfs den Unterricht in allen jenen Gegenständen mit Ausnahme der fran¬
zösischen Sprache, später sogar noch den Unterricht in der Geschichte und
Geographie übernehmen.

In dieser Stellung blieb er vier Jahre. Hervorzuheben ist aus diesem
Nvrtheimer Aufenthalt auch sein erstes literarisches Auftreten, sowie die glückliche
Verbesserung, welche er am Mikrometerfernrohr anbrachte. "Auf die Dauer
aber vermochte den Artilleristen der Dienst bei der Kavallerie, den rastlos Fort-
arbeitenden der Aufenthalt in einer kleinen, der literarischen Hilfsmittel ent-


Grenzbotm III. 1886. 2
Zcharnhorsts Leben bis zu seinem Eintritt in den preußischen Dienst,

für den Unterricht der Zöglinge auf seiner Anstalt verfaßte; auf ihn gehen
somit gewissermaßen die Anfänge der Generalstabswissenschaft zurück. Die
Grundlage des Unterrichts bildete die Mathematik; außer ihr wurde Feuer-
werkerei, Chemie, Festungsbau, Geographie, etwas Geschichte, Zeichnen, Ver¬
messen und Nivellirer gelehrt; auch stand eine reiche Bibliothek den Zöglingen
zu Gebote,

In diese Schule, welche sich auf der im Steinhuder Meere romantisch
gelegnen Festung Wilhelmftcin befand, wurde der junge Scharnhorst gedacht.
Er verbrachte dort vier Jahre, „den Teil des Lebens, in welchem sich der
Charakter des Menschen sür immer zu bestimmen pflegt," Durch seinen Fleiß,
durch seine herrliche», immer mehr sich entwickelnden Anlagen erregte er bald die
Aufmerksamkeit des Grafen, dem er bis an sein Lebensende die größte Dankbar¬
keit zollte. Und er hatte auch Grund, demselben dankbar zu sein: erlangte er doch
ans dem Wilhclmstein statt der frühern Halbbildung eine feste Geistesdisziplin,
lernte er doch dort „die Schwierigkeiten, mit denen das Aufsteigen aus den
niedern Schichten der Gesellschaft in die höhern allezeit verbunden gewesen ist,"
überwinden und „konnte mit vollen Zügen einschlürfen, was den Menschen des
achtzehnten Jahrhunderts das Leben erst lebenswert erscheinen ließ." Doch nur
zu bald, noch ehe Scharnhorst Offizier geworden war, wurde seinem Aufent-
halte auf dem Wilhelmstein, während dessen er eine Freundschaft fürs Leben
mit Heinrich Wilhelm von Zeschau schloß. ein Ziel gesetzt: Graf Wilhelm starb
plötzlich am 10, September 1777; die Seitenlinie, der sein Ländchen zufiel,
hatte kein Verständnis für seine Schöpfungen, sie löste daher auch die Kriegs¬
schule auf.

Aus der Verlegenheit, wohin sich Scharnhorst wenden sollte, riß ihn bald
ein Freund des verstorbnen Grafen Wilhelm, der hannöverische General Estorpf,
indem er ihn bewog, als Fähndrich in sein zu Nordheim ftatiouirtes Dragoner¬
regiment einzutreten. Estorpf hatte darin große Ähnlichkeit mit Graf Wilhelm,
daß er unermüdlich bemüht war, die geistige Ausbildung seiner Offiziere zu
fördern; auch er hatte zu diesem Zwecke sogar eine förmliche Regimentsschule
eingerichtet, in welcher Geometrie, Zeichnen, die Anfangsgründe der Artillerie¬
wissenschaft und die französische Sprache gelehrt wurden. Scharnhorst, der auf
dem Wilhelmstein eine vortreffliche Schulung genossen hatte, mußte auf Wunsch
Estorpfs den Unterricht in allen jenen Gegenständen mit Ausnahme der fran¬
zösischen Sprache, später sogar noch den Unterricht in der Geschichte und
Geographie übernehmen.

In dieser Stellung blieb er vier Jahre. Hervorzuheben ist aus diesem
Nvrtheimer Aufenthalt auch sein erstes literarisches Auftreten, sowie die glückliche
Verbesserung, welche er am Mikrometerfernrohr anbrachte. „Auf die Dauer
aber vermochte den Artilleristen der Dienst bei der Kavallerie, den rastlos Fort-
arbeitenden der Aufenthalt in einer kleinen, der literarischen Hilfsmittel ent-


Grenzbotm III. 1886. 2
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[0017] Zcharnhorsts Leben bis zu seinem Eintritt in den preußischen Dienst, für den Unterricht der Zöglinge auf seiner Anstalt verfaßte; auf ihn gehen somit gewissermaßen die Anfänge der Generalstabswissenschaft zurück. Die Grundlage des Unterrichts bildete die Mathematik; außer ihr wurde Feuer- werkerei, Chemie, Festungsbau, Geographie, etwas Geschichte, Zeichnen, Ver¬ messen und Nivellirer gelehrt; auch stand eine reiche Bibliothek den Zöglingen zu Gebote, In diese Schule, welche sich auf der im Steinhuder Meere romantisch gelegnen Festung Wilhelmftcin befand, wurde der junge Scharnhorst gedacht. Er verbrachte dort vier Jahre, „den Teil des Lebens, in welchem sich der Charakter des Menschen sür immer zu bestimmen pflegt," Durch seinen Fleiß, durch seine herrliche», immer mehr sich entwickelnden Anlagen erregte er bald die Aufmerksamkeit des Grafen, dem er bis an sein Lebensende die größte Dankbar¬ keit zollte. Und er hatte auch Grund, demselben dankbar zu sein: erlangte er doch ans dem Wilhclmstein statt der frühern Halbbildung eine feste Geistesdisziplin, lernte er doch dort „die Schwierigkeiten, mit denen das Aufsteigen aus den niedern Schichten der Gesellschaft in die höhern allezeit verbunden gewesen ist," überwinden und „konnte mit vollen Zügen einschlürfen, was den Menschen des achtzehnten Jahrhunderts das Leben erst lebenswert erscheinen ließ." Doch nur zu bald, noch ehe Scharnhorst Offizier geworden war, wurde seinem Aufent- halte auf dem Wilhelmstein, während dessen er eine Freundschaft fürs Leben mit Heinrich Wilhelm von Zeschau schloß. ein Ziel gesetzt: Graf Wilhelm starb plötzlich am 10, September 1777; die Seitenlinie, der sein Ländchen zufiel, hatte kein Verständnis für seine Schöpfungen, sie löste daher auch die Kriegs¬ schule auf. Aus der Verlegenheit, wohin sich Scharnhorst wenden sollte, riß ihn bald ein Freund des verstorbnen Grafen Wilhelm, der hannöverische General Estorpf, indem er ihn bewog, als Fähndrich in sein zu Nordheim ftatiouirtes Dragoner¬ regiment einzutreten. Estorpf hatte darin große Ähnlichkeit mit Graf Wilhelm, daß er unermüdlich bemüht war, die geistige Ausbildung seiner Offiziere zu fördern; auch er hatte zu diesem Zwecke sogar eine förmliche Regimentsschule eingerichtet, in welcher Geometrie, Zeichnen, die Anfangsgründe der Artillerie¬ wissenschaft und die französische Sprache gelehrt wurden. Scharnhorst, der auf dem Wilhelmstein eine vortreffliche Schulung genossen hatte, mußte auf Wunsch Estorpfs den Unterricht in allen jenen Gegenständen mit Ausnahme der fran¬ zösischen Sprache, später sogar noch den Unterricht in der Geschichte und Geographie übernehmen. In dieser Stellung blieb er vier Jahre. Hervorzuheben ist aus diesem Nvrtheimer Aufenthalt auch sein erstes literarisches Auftreten, sowie die glückliche Verbesserung, welche er am Mikrometerfernrohr anbrachte. „Auf die Dauer aber vermochte den Artilleristen der Dienst bei der Kavallerie, den rastlos Fort- arbeitenden der Aufenthalt in einer kleinen, der literarischen Hilfsmittel ent- Grenzbotm III. 1886. 2

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198719/17>, abgerufen am 22.07.2024.