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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal.

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Schiller der Demokrat.

Jahrhunderts! Der Tell übertreibt ja fast seine Versicherungen, daß er mit
dem Landvogt eine Privatsache auszufechten habe, daß er ihm nicht anders her¬
kommen könne, "dem Herzen des Todfeindes, der ihn will verderben." Dein Ge¬
schoß, das er so unmenschlich herausgefordert, muß der Unmensch erliegen, der
Unmensch, nicht der Landvogt. Das ist der dramatische Mord im "Tell." Sollen
wir uns in Ausführungen ergehen, wie Tell im Stücke auftritt, welche Stellung
er dem Bunde gegenüber einnimmt, sollen wir das Gespräch mit Walter breit¬
treten? Kennt man den "Tell" etwa nicht, oder ist der "Tell" unklar, daß
er des Kommentars bedürfte? Leider, er wird an diesem Punkte fast undra¬
matisch klar. War es wirklich, wie Goethe meint, der Einfluß der Frauen, oder
war es wieder Schillers peinliche Gewissenhaftigkeit, der wir den traurigen Ge¬
sellen, den Parricida, verdanken? Er tritt auf, um sich sagen zu lassen:


Unglücklicher!
Darfst du der Ehrsucht blut'ge Schuld vermengen
Mit der gerechten Notwehr eines Vaters?
Hast du der Kinder liebes Haupt verteidigt?
Des Herdes Heiligtum beschützt? Das Schrecklichste,
Das Letzte van den Deinen abgewehrt?

Nicht umsonst hat Schiller seinen Tyrannen Geßler mit jenen Zügen per¬
sönlicher Grausamkeit ausgestattet. Hier finde unsre obige Andeutung Beach¬
tung, daß der Druck, welcher auf seiner Jngend lastete, in seiner dramatischen
Dichtung zur glücklichen Lösung gelangte. Einen Zug zum Harten und Grau¬
samen, mindestens Abhärtung dagegen haben feinsinnige Kunstphilosophen (i>e-
sondcrs Schopenhauer) stets als integrirenden Bestandteil des dramatischen Ta¬
lents erkannt. Goethe, der doch so wohl erkannte, weshalb es ihm unmöglich
sei, eine wirkliche Tragödie zu schaffen, stand diesem Zuge bei Schiller trotzdem mit
Befremden gegenüber. Daß Schiller in der Egmontbearbeituug den Herzog Alba
maskirt der Verurteilung beiwohnen lassen wollte, erschien ihm als unerklärliche
Verirrung. Daher kann er auch Schillers Geßler den seinen so ruhig entgegen¬
setzen, wie er ihn für das Tell>Epos plante: "Einen Tyrannen, aber von der
behaglichen Sorte, der gelegentlich Gutes thut, wenn es ihm Spaß macht, und
gelegentlich Schlechtes thut, wenn es ihm Spaß macht, und dem übrigens das
Volk und dessen Wohl und Wehe so gleichgiltige Dinge sind, als ob sie gar¬
nicht existirten." Nein, der tragische Konflikt kann solche Tyrannen nicht brauchen.
Er braucht grausame Tyrannen, Tyrannen, die menschlich fehlen und menschlich
dafür büßen. Nur der darf Hand an sie legen, der ein Recht auf sie hat als
Mensch. Giebt es einen zwingenderen Beleg dafür als Shakespeares Macduff?
Aber wozu Belege, da dies uns im Gegenteil eine Regel scheint, an der man
jedes derartige Drama prüfen kann. Es ist fehr bedenklich, wenn eines diese
Probe nicht besteht.

Dann ist es aber auch gleichgiltig, wer das Attentat verübt, ob ein Ad-


Schiller der Demokrat.

Jahrhunderts! Der Tell übertreibt ja fast seine Versicherungen, daß er mit
dem Landvogt eine Privatsache auszufechten habe, daß er ihm nicht anders her¬
kommen könne, „dem Herzen des Todfeindes, der ihn will verderben." Dein Ge¬
schoß, das er so unmenschlich herausgefordert, muß der Unmensch erliegen, der
Unmensch, nicht der Landvogt. Das ist der dramatische Mord im „Tell." Sollen
wir uns in Ausführungen ergehen, wie Tell im Stücke auftritt, welche Stellung
er dem Bunde gegenüber einnimmt, sollen wir das Gespräch mit Walter breit¬
treten? Kennt man den „Tell" etwa nicht, oder ist der „Tell" unklar, daß
er des Kommentars bedürfte? Leider, er wird an diesem Punkte fast undra¬
matisch klar. War es wirklich, wie Goethe meint, der Einfluß der Frauen, oder
war es wieder Schillers peinliche Gewissenhaftigkeit, der wir den traurigen Ge¬
sellen, den Parricida, verdanken? Er tritt auf, um sich sagen zu lassen:


Unglücklicher!
Darfst du der Ehrsucht blut'ge Schuld vermengen
Mit der gerechten Notwehr eines Vaters?
Hast du der Kinder liebes Haupt verteidigt?
Des Herdes Heiligtum beschützt? Das Schrecklichste,
Das Letzte van den Deinen abgewehrt?

Nicht umsonst hat Schiller seinen Tyrannen Geßler mit jenen Zügen per¬
sönlicher Grausamkeit ausgestattet. Hier finde unsre obige Andeutung Beach¬
tung, daß der Druck, welcher auf seiner Jngend lastete, in seiner dramatischen
Dichtung zur glücklichen Lösung gelangte. Einen Zug zum Harten und Grau¬
samen, mindestens Abhärtung dagegen haben feinsinnige Kunstphilosophen (i>e-
sondcrs Schopenhauer) stets als integrirenden Bestandteil des dramatischen Ta¬
lents erkannt. Goethe, der doch so wohl erkannte, weshalb es ihm unmöglich
sei, eine wirkliche Tragödie zu schaffen, stand diesem Zuge bei Schiller trotzdem mit
Befremden gegenüber. Daß Schiller in der Egmontbearbeituug den Herzog Alba
maskirt der Verurteilung beiwohnen lassen wollte, erschien ihm als unerklärliche
Verirrung. Daher kann er auch Schillers Geßler den seinen so ruhig entgegen¬
setzen, wie er ihn für das Tell>Epos plante: „Einen Tyrannen, aber von der
behaglichen Sorte, der gelegentlich Gutes thut, wenn es ihm Spaß macht, und
gelegentlich Schlechtes thut, wenn es ihm Spaß macht, und dem übrigens das
Volk und dessen Wohl und Wehe so gleichgiltige Dinge sind, als ob sie gar¬
nicht existirten." Nein, der tragische Konflikt kann solche Tyrannen nicht brauchen.
Er braucht grausame Tyrannen, Tyrannen, die menschlich fehlen und menschlich
dafür büßen. Nur der darf Hand an sie legen, der ein Recht auf sie hat als
Mensch. Giebt es einen zwingenderen Beleg dafür als Shakespeares Macduff?
Aber wozu Belege, da dies uns im Gegenteil eine Regel scheint, an der man
jedes derartige Drama prüfen kann. Es ist fehr bedenklich, wenn eines diese
Probe nicht besteht.

Dann ist es aber auch gleichgiltig, wer das Attentat verübt, ob ein Ad-


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[0167] Schiller der Demokrat. Jahrhunderts! Der Tell übertreibt ja fast seine Versicherungen, daß er mit dem Landvogt eine Privatsache auszufechten habe, daß er ihm nicht anders her¬ kommen könne, „dem Herzen des Todfeindes, der ihn will verderben." Dein Ge¬ schoß, das er so unmenschlich herausgefordert, muß der Unmensch erliegen, der Unmensch, nicht der Landvogt. Das ist der dramatische Mord im „Tell." Sollen wir uns in Ausführungen ergehen, wie Tell im Stücke auftritt, welche Stellung er dem Bunde gegenüber einnimmt, sollen wir das Gespräch mit Walter breit¬ treten? Kennt man den „Tell" etwa nicht, oder ist der „Tell" unklar, daß er des Kommentars bedürfte? Leider, er wird an diesem Punkte fast undra¬ matisch klar. War es wirklich, wie Goethe meint, der Einfluß der Frauen, oder war es wieder Schillers peinliche Gewissenhaftigkeit, der wir den traurigen Ge¬ sellen, den Parricida, verdanken? Er tritt auf, um sich sagen zu lassen: Unglücklicher! Darfst du der Ehrsucht blut'ge Schuld vermengen Mit der gerechten Notwehr eines Vaters? Hast du der Kinder liebes Haupt verteidigt? Des Herdes Heiligtum beschützt? Das Schrecklichste, Das Letzte van den Deinen abgewehrt? Nicht umsonst hat Schiller seinen Tyrannen Geßler mit jenen Zügen per¬ sönlicher Grausamkeit ausgestattet. Hier finde unsre obige Andeutung Beach¬ tung, daß der Druck, welcher auf seiner Jngend lastete, in seiner dramatischen Dichtung zur glücklichen Lösung gelangte. Einen Zug zum Harten und Grau¬ samen, mindestens Abhärtung dagegen haben feinsinnige Kunstphilosophen (i>e- sondcrs Schopenhauer) stets als integrirenden Bestandteil des dramatischen Ta¬ lents erkannt. Goethe, der doch so wohl erkannte, weshalb es ihm unmöglich sei, eine wirkliche Tragödie zu schaffen, stand diesem Zuge bei Schiller trotzdem mit Befremden gegenüber. Daß Schiller in der Egmontbearbeituug den Herzog Alba maskirt der Verurteilung beiwohnen lassen wollte, erschien ihm als unerklärliche Verirrung. Daher kann er auch Schillers Geßler den seinen so ruhig entgegen¬ setzen, wie er ihn für das Tell>Epos plante: „Einen Tyrannen, aber von der behaglichen Sorte, der gelegentlich Gutes thut, wenn es ihm Spaß macht, und gelegentlich Schlechtes thut, wenn es ihm Spaß macht, und dem übrigens das Volk und dessen Wohl und Wehe so gleichgiltige Dinge sind, als ob sie gar¬ nicht existirten." Nein, der tragische Konflikt kann solche Tyrannen nicht brauchen. Er braucht grausame Tyrannen, Tyrannen, die menschlich fehlen und menschlich dafür büßen. Nur der darf Hand an sie legen, der ein Recht auf sie hat als Mensch. Giebt es einen zwingenderen Beleg dafür als Shakespeares Macduff? Aber wozu Belege, da dies uns im Gegenteil eine Regel scheint, an der man jedes derartige Drama prüfen kann. Es ist fehr bedenklich, wenn eines diese Probe nicht besteht. Dann ist es aber auch gleichgiltig, wer das Attentat verübt, ob ein Ad-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198719/167>, abgerufen am 03.07.2024.