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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal.

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Schiller der Demokrat,

motivs bemächtigt, wie rücksichtslos hätte er es herausgearbeitet -- für uns,
die wir jetzt, von Goethes novellistischen und lyrischem Detail verwöhnt, gern das
Drama der Dichtung opfern! Schillers Egmontbearbeitnng von diesem Gesichts¬
punkte betrachtet würde manches verständlicher machen, vieles milder erscheinen
lassen, was den rein poetischen Beurteiler (Goethe nicht am wenigsten) verletzte.

Man kann jedoch nicht genug betonen, daß diese Stvffwcihl das einzige
Zugeständnis ist, welches Schiller dem Geiste der Zeit bis an sein Ende dar¬
brachte. Sein dramatisches Gefühl macht es ihm unmöglich, die Bühne zur
Kanzel zu benutzen wie Lessing, oder sich in Charakteren und Situationen, wie
er, von anßcrpoctischcn Tendenzen bestimmen zu lassen. Es würde zu weit führen,
darauf näher einzugehen, man vergleiche selbst daraufhin das Schillersche Jugend¬
stück "Kabale und Liebe" mit dem Lessingschen Pendant "Emilia Galotti,"
Gustav Freytag hat in der "Technik des Dramas" die rein poetische Krystal-
lisiruug des Stoffes der "Luise Millerin" zur Tragödie so auseinandergesetzt,
wie sie war, wie sie beim dramatischen Dichter nicht anders sein kann. Schiller
war als Dichter "immer gerecht," wie die Natur, die jener herrliche Chorgesang
in der "Braut von Messina" deswegen feiert. Schon in den Jugeuddrcimen ist
es erhebend, zu bemerken, wie sicher das poetische Urteil dnrch den Sturm und
Drang des aufgeregten jugendlichen Geistes steuert. Alles wirklich Entscheidende
ist doch schon hier ins Gebiet des rein Menschlichen verlegt, nicht ins Syste¬
matische und Doktrinäre. Schon hier das echt poetische Abwägen in der drama¬
tischen Vorsehung, Point für Point, Schuld und Sühne, Ethos und Pathos,
In jenem merkwürdigen Übergangsstücke, das man eine dramatische Konfession
nennen könnte, jenem Stücke, in dem der dramatische Gedanke doch Herrscher
bleibt über eine ganze andersartige Welt und das darum wie kein andres die
Unzerstörbarkeit des dramatischen Genies beweist, im "Don Carlos" steigert
sich dies Abwägen bis zur Ängstlichkeit, Philipp steigt, je mehr Carlos fällt,
und Posa-Schiller hält die Wage. Wer dramatisch fein empfindet, wird es
unterlassen, sich über die Jungfrau zu moguiren, die "sich furchtbar schnell ver¬
liebt in den britischen Lord."

Es ist unter solchen Umständen nichts unsinniger, als einen Dramatiker
wie Schiller der "Verherrlichung des politischen Mordes" zu zeihen. Der dok¬
trinäre politische Mord ist eben kein poetischer Vormurs. Es ist gleichfalls
ans diesem Grunde ungerechtfertigt, seine Verherrlichung der antiken poetischen
Legende unterzuschieben. Die Alten wären nicht die Alten, wenn sie nicht feine
Empfindung genug besessen hätten, solche an rein private Vorkommnisse anzu¬
knüpfen, auf rein menschliche Motive zurückzuführen. Harmodios und Aristogeiton,
Brutus, Virginins! Und vollends der Tell! Kann man ein unglücklicheres
Beispiel wählen? Der Tell, den der weit schärfer blickende Börne gerade des¬
wegen einen Feigling und Philister schalt, weil er unglücklicherweise bloß eine
poetische ÄrWucki" xorsmm ist und kein Demokrat im Kostüm des vierzehnten


Schiller der Demokrat,

motivs bemächtigt, wie rücksichtslos hätte er es herausgearbeitet — für uns,
die wir jetzt, von Goethes novellistischen und lyrischem Detail verwöhnt, gern das
Drama der Dichtung opfern! Schillers Egmontbearbeitnng von diesem Gesichts¬
punkte betrachtet würde manches verständlicher machen, vieles milder erscheinen
lassen, was den rein poetischen Beurteiler (Goethe nicht am wenigsten) verletzte.

Man kann jedoch nicht genug betonen, daß diese Stvffwcihl das einzige
Zugeständnis ist, welches Schiller dem Geiste der Zeit bis an sein Ende dar¬
brachte. Sein dramatisches Gefühl macht es ihm unmöglich, die Bühne zur
Kanzel zu benutzen wie Lessing, oder sich in Charakteren und Situationen, wie
er, von anßcrpoctischcn Tendenzen bestimmen zu lassen. Es würde zu weit führen,
darauf näher einzugehen, man vergleiche selbst daraufhin das Schillersche Jugend¬
stück „Kabale und Liebe" mit dem Lessingschen Pendant „Emilia Galotti,"
Gustav Freytag hat in der „Technik des Dramas" die rein poetische Krystal-
lisiruug des Stoffes der „Luise Millerin" zur Tragödie so auseinandergesetzt,
wie sie war, wie sie beim dramatischen Dichter nicht anders sein kann. Schiller
war als Dichter „immer gerecht," wie die Natur, die jener herrliche Chorgesang
in der „Braut von Messina" deswegen feiert. Schon in den Jugeuddrcimen ist
es erhebend, zu bemerken, wie sicher das poetische Urteil dnrch den Sturm und
Drang des aufgeregten jugendlichen Geistes steuert. Alles wirklich Entscheidende
ist doch schon hier ins Gebiet des rein Menschlichen verlegt, nicht ins Syste¬
matische und Doktrinäre. Schon hier das echt poetische Abwägen in der drama¬
tischen Vorsehung, Point für Point, Schuld und Sühne, Ethos und Pathos,
In jenem merkwürdigen Übergangsstücke, das man eine dramatische Konfession
nennen könnte, jenem Stücke, in dem der dramatische Gedanke doch Herrscher
bleibt über eine ganze andersartige Welt und das darum wie kein andres die
Unzerstörbarkeit des dramatischen Genies beweist, im „Don Carlos" steigert
sich dies Abwägen bis zur Ängstlichkeit, Philipp steigt, je mehr Carlos fällt,
und Posa-Schiller hält die Wage. Wer dramatisch fein empfindet, wird es
unterlassen, sich über die Jungfrau zu moguiren, die „sich furchtbar schnell ver¬
liebt in den britischen Lord."

Es ist unter solchen Umständen nichts unsinniger, als einen Dramatiker
wie Schiller der „Verherrlichung des politischen Mordes" zu zeihen. Der dok¬
trinäre politische Mord ist eben kein poetischer Vormurs. Es ist gleichfalls
ans diesem Grunde ungerechtfertigt, seine Verherrlichung der antiken poetischen
Legende unterzuschieben. Die Alten wären nicht die Alten, wenn sie nicht feine
Empfindung genug besessen hätten, solche an rein private Vorkommnisse anzu¬
knüpfen, auf rein menschliche Motive zurückzuführen. Harmodios und Aristogeiton,
Brutus, Virginins! Und vollends der Tell! Kann man ein unglücklicheres
Beispiel wählen? Der Tell, den der weit schärfer blickende Börne gerade des¬
wegen einen Feigling und Philister schalt, weil er unglücklicherweise bloß eine
poetische ÄrWucki» xorsmm ist und kein Demokrat im Kostüm des vierzehnten


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198719/166>, abgerufen am 22.07.2024.