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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal.

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Schiller der Demokrat.

Bühnendichter in dieser Beziehung keinen einzigen Fehlgriff nachweisen kann.
In der "Braut von Messina" ist es die Form, nicht der Stoff, welcher das
Stück den Bühnen entfremdet. Der Stoff ist als Muster sogar für die Lite¬
ratur verhängnisvoll geworden, die Titelrolle noch jetzt das beliebte Meister¬
stück der "Heldenmutter." Was aber bewirkt diese glückliche Stoffwnhl anders
als ein scharfes Erfassen des dramatischen Prinzips der Zeit? Unter drama¬
tischem Prinzip im allgemeinen verstehen wir stets einen Kampf, den Kampf
des geistig Bedeutenden mit der materiellen Übermacht, der je nach dem glück¬
lichen oder unglücklichen Ausgange entweder vor oder nach der Peripetie zu
tragischen Konflikten führt. Die Alten besaßen in ihrem Kampfe gegen das
Schicksal ein eminent dramatisches Prinzip, denn diese großartige Idee mit ihrer
zweifellosen Gegebenheit erleichterte die Exposition, erhöhte die Würde und Wand¬
lungsfähigkeit der Stoffe.. Die Neuern, denen diese Idee abhanden gekommen
war, mußten sie durch ihre Rudimente (Unberechenbarkeit des Menschlichen, un¬
erbittliche Kausalität, Schuld, Wahnglaube u. s. w.) ersetzen. Es ist natürlich,
daß sich mit der größern Wandelbarkeit der dramatischen Machtidee auch die
Stoffe leichter verändern. Der Kampf der Zeit tritt in das Drama el", die
Passion des Mittelalters, die "zoolösig. trwmxllW8 der spanischen Dramatik, der
Pfaffenspiegel und das alte Testament der Reformation. Daher sind auch
kampflustige und an Kämpfen reiche Zeiten, Zeiten, in denen neue Verhältnisse
sich vorbereiten, politische, religiöse oder rein geistige Gegensätze miteinander
ringen, dem Drama stets günstig gewesen. Schon dem griechischen Drama,
dessen äußern Höhepunkt Euripides bezeichnet und nicht Äschylvs. So grollt
in Shakespeare und Corneille zweifellos das große politische Gewitter nach, das
in ihrer Heimat die Freizügigkeit des hohen Adels am Felsen der monarchischen
Gewalt zerschellen ließ. Schiller ist der Dramatiker der Revolutionszeit. In
seinen Dramen kämpft die Volksidee mit dem absolutistischen Prinzip. Dieser
Gegensatz geht -- die theoretisch konzipirte "Braut von Messina" ausgenommen --
durch alle seine Stücke. Auch Wallenstein ist ein Volksmann, der selbstgewordene
Lagerfürst, der sich auflehnen zu können glaubt gegen die scheinbare Schwäche
einer historisch legalisirten Macht. Maria ist wieder in anderm Sinne die
Vvlkskönigin, die im Untergange triumphirt über die Vertreter des Gesetzes, in
der "Jungfrau" gar nimmt das npotheosirte Volk die ganze Souveränität ins
Schlepptau und zeigt, daß sie nichts sei ohne seine Gnade. Bei den andern
Stücken ist auch der kürzeste Nachweis überflüssig.

Die Stoffwahl ist also eine von dramatischen Rücksichten eingegebene.
Goethe hat in seinen -- eben deshalb -- populären Dramen dasselbe Stoff¬
gebiet berührt. "Götz" hat eine gewisse Ähnlichkeit mit "Wallenstein," "Egmont"
bietet Berührungspunkte mit "Don Carlos." Aber man versuche sich einmal aus¬
zumalen, wie etwa Schiller diese Stoffe behandelt hätte! Wie ganz anders
hätte er in diesen von der Zeit diktirten Themen sich des dramatischen Grund-


Schiller der Demokrat.

Bühnendichter in dieser Beziehung keinen einzigen Fehlgriff nachweisen kann.
In der „Braut von Messina" ist es die Form, nicht der Stoff, welcher das
Stück den Bühnen entfremdet. Der Stoff ist als Muster sogar für die Lite¬
ratur verhängnisvoll geworden, die Titelrolle noch jetzt das beliebte Meister¬
stück der „Heldenmutter." Was aber bewirkt diese glückliche Stoffwnhl anders
als ein scharfes Erfassen des dramatischen Prinzips der Zeit? Unter drama¬
tischem Prinzip im allgemeinen verstehen wir stets einen Kampf, den Kampf
des geistig Bedeutenden mit der materiellen Übermacht, der je nach dem glück¬
lichen oder unglücklichen Ausgange entweder vor oder nach der Peripetie zu
tragischen Konflikten führt. Die Alten besaßen in ihrem Kampfe gegen das
Schicksal ein eminent dramatisches Prinzip, denn diese großartige Idee mit ihrer
zweifellosen Gegebenheit erleichterte die Exposition, erhöhte die Würde und Wand¬
lungsfähigkeit der Stoffe.. Die Neuern, denen diese Idee abhanden gekommen
war, mußten sie durch ihre Rudimente (Unberechenbarkeit des Menschlichen, un¬
erbittliche Kausalität, Schuld, Wahnglaube u. s. w.) ersetzen. Es ist natürlich,
daß sich mit der größern Wandelbarkeit der dramatischen Machtidee auch die
Stoffe leichter verändern. Der Kampf der Zeit tritt in das Drama el», die
Passion des Mittelalters, die «zoolösig. trwmxllW8 der spanischen Dramatik, der
Pfaffenspiegel und das alte Testament der Reformation. Daher sind auch
kampflustige und an Kämpfen reiche Zeiten, Zeiten, in denen neue Verhältnisse
sich vorbereiten, politische, religiöse oder rein geistige Gegensätze miteinander
ringen, dem Drama stets günstig gewesen. Schon dem griechischen Drama,
dessen äußern Höhepunkt Euripides bezeichnet und nicht Äschylvs. So grollt
in Shakespeare und Corneille zweifellos das große politische Gewitter nach, das
in ihrer Heimat die Freizügigkeit des hohen Adels am Felsen der monarchischen
Gewalt zerschellen ließ. Schiller ist der Dramatiker der Revolutionszeit. In
seinen Dramen kämpft die Volksidee mit dem absolutistischen Prinzip. Dieser
Gegensatz geht — die theoretisch konzipirte „Braut von Messina" ausgenommen —
durch alle seine Stücke. Auch Wallenstein ist ein Volksmann, der selbstgewordene
Lagerfürst, der sich auflehnen zu können glaubt gegen die scheinbare Schwäche
einer historisch legalisirten Macht. Maria ist wieder in anderm Sinne die
Vvlkskönigin, die im Untergange triumphirt über die Vertreter des Gesetzes, in
der „Jungfrau" gar nimmt das npotheosirte Volk die ganze Souveränität ins
Schlepptau und zeigt, daß sie nichts sei ohne seine Gnade. Bei den andern
Stücken ist auch der kürzeste Nachweis überflüssig.

Die Stoffwahl ist also eine von dramatischen Rücksichten eingegebene.
Goethe hat in seinen — eben deshalb — populären Dramen dasselbe Stoff¬
gebiet berührt. „Götz" hat eine gewisse Ähnlichkeit mit „Wallenstein," „Egmont"
bietet Berührungspunkte mit „Don Carlos." Aber man versuche sich einmal aus¬
zumalen, wie etwa Schiller diese Stoffe behandelt hätte! Wie ganz anders
hätte er in diesen von der Zeit diktirten Themen sich des dramatischen Grund-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198719/165>, abgerufen am 03.07.2024.