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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal.

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Schiller dor Demokrat.

trugen Wird er sich auf seinem Gebiete sehr wohl hüten mitzumachen. Das
klingt selbstverständlich, ist es aber durchaus nicht. Es setzt einen sehr klaren
und umfassenden Geist vvrnus, und von den "Tendenzdichtern" unsrer Zeiten
wird es so ziemlich in jedem Werke außer Acht gelassen.

Auch Schiller will in an dieser Schwäche zeihen, gerade ihn sollen wir zu
den Tcndenzdichtern zähle", ihn, der wie kein andrer je sich über sich selbst erhob.
War Schillers Ideal der Freiheit, wie es auch seine Dramen belebt, ein Partei¬
idol, ein revolutionäres Programm? Findet sich darin auch nur ein provozireudes
Element, bürgerliche "Piquen gegen Pfaffen lind Fürsten," wie bei Lessing?
Goethe, der solche bei dein großen Pfadfinder unsrer Literatur gutmütig neckend
anmerkt, hat sich im Gegensatz dazu gewundert, wie sein aristokratischer Freund,
"der unter uns weit mehr Aristokrat war als er (Goethe)," wie Schiller zu
dem "merkwürdigen Glück" kam, "als besondrer Freund des Volkes zu gelten."
Als beiläufigen Versuch einer Erklärung fügt er hinzu, daß Schiller "weit mehr
bedachte, was er sagte." Diese Erklärung kann in der That schon zum großen
Teil genügen, wenn man sie nicht bloß in negativem, sondern hauptsächlich in
positivem Sinne nimmt. Ja, Schiller bedachte auch als Dichter weit mehr, was
er sagte, denn er bedachte stets, daß er zum Volke sprach. Der Dramatiker
muß zum Volke reden können, wenn er Wirkung üben will. Schiller besaß dies
Talent. Gerade seine Neigung zum Abstrakten, seine -- wir wagen die Be¬
zeichnung -- metaphysische Phantasie war hier am Platze. Dazu kviumt
sein hyperbolischer Stil, im Laufe der Entwicklung zum grandiosen gemäßigt,
aber niemals aufgegeben, seine Kraft- und Donnerwvrte, seine Antithesenkuust, stets
verbunden mit jener Fähigkeit, denselben Gedanken lebhaft zu variiren, die jedem
Volksredner, ob bewußt oder unbewußt, vertraut sein wird. Goethe, der i" Lied
und Szene die Sprache des Volkes zu treffen wußte wie keiner, dessen plastische
Phantasie mit der Natur wetteifert, Goethe, dessen Gestalten für uns eine Wirk¬
liches erlangt haben, als hätten sie existirt, Goethe ist immer der Dichter der
obern Zehntausend geblieben, während der im Äther der Ideen Verlorne Schiller
mit seinen Vühnenhclden und -Heldinnen zum Volksdichter wurde. Denn das
Theater mit seinem breiten Publikum, mit seiner pvpulnrisirendeu Tendenz, der
sich nichts entziehen kann, was mit ihm in Berührung kommt, das Theater
wird doch schließlich immer der hauptsächlichste Erklärungsgrund für Schillers
Popularität bleiben. Der große, ideale Dichter war zugleich ein Theatergeuie,
nicht bloß ein dramatisches wie Shakespeare, das die innern Bedingungen des
großen Lebensgedichtes instinktiv erkennt, sonder" ein theatralisches, ein unbe¬
wußter Kenner der kleinsten dekorativen und szenischen Handgriffe, ein unfehl¬
barer Sondirer des Publikums und seiner Stimmung, im ganzen ein Virtuose
der komplizirten modernen Vühnc"dech"ik. Wir heben ans dieser Sphäre "ur
das für unser Thema wichtige Moment hervor, die Wahl der Stoffe. Es ist
eili in der Geschichte des Dramas ganz einzig dastehender Fall, daß man einem


Schiller dor Demokrat.

trugen Wird er sich auf seinem Gebiete sehr wohl hüten mitzumachen. Das
klingt selbstverständlich, ist es aber durchaus nicht. Es setzt einen sehr klaren
und umfassenden Geist vvrnus, und von den „Tendenzdichtern" unsrer Zeiten
wird es so ziemlich in jedem Werke außer Acht gelassen.

Auch Schiller will in an dieser Schwäche zeihen, gerade ihn sollen wir zu
den Tcndenzdichtern zähle», ihn, der wie kein andrer je sich über sich selbst erhob.
War Schillers Ideal der Freiheit, wie es auch seine Dramen belebt, ein Partei¬
idol, ein revolutionäres Programm? Findet sich darin auch nur ein provozireudes
Element, bürgerliche „Piquen gegen Pfaffen lind Fürsten," wie bei Lessing?
Goethe, der solche bei dein großen Pfadfinder unsrer Literatur gutmütig neckend
anmerkt, hat sich im Gegensatz dazu gewundert, wie sein aristokratischer Freund,
„der unter uns weit mehr Aristokrat war als er (Goethe)," wie Schiller zu
dem „merkwürdigen Glück" kam, „als besondrer Freund des Volkes zu gelten."
Als beiläufigen Versuch einer Erklärung fügt er hinzu, daß Schiller „weit mehr
bedachte, was er sagte." Diese Erklärung kann in der That schon zum großen
Teil genügen, wenn man sie nicht bloß in negativem, sondern hauptsächlich in
positivem Sinne nimmt. Ja, Schiller bedachte auch als Dichter weit mehr, was
er sagte, denn er bedachte stets, daß er zum Volke sprach. Der Dramatiker
muß zum Volke reden können, wenn er Wirkung üben will. Schiller besaß dies
Talent. Gerade seine Neigung zum Abstrakten, seine — wir wagen die Be¬
zeichnung — metaphysische Phantasie war hier am Platze. Dazu kviumt
sein hyperbolischer Stil, im Laufe der Entwicklung zum grandiosen gemäßigt,
aber niemals aufgegeben, seine Kraft- und Donnerwvrte, seine Antithesenkuust, stets
verbunden mit jener Fähigkeit, denselben Gedanken lebhaft zu variiren, die jedem
Volksredner, ob bewußt oder unbewußt, vertraut sein wird. Goethe, der i» Lied
und Szene die Sprache des Volkes zu treffen wußte wie keiner, dessen plastische
Phantasie mit der Natur wetteifert, Goethe, dessen Gestalten für uns eine Wirk¬
liches erlangt haben, als hätten sie existirt, Goethe ist immer der Dichter der
obern Zehntausend geblieben, während der im Äther der Ideen Verlorne Schiller
mit seinen Vühnenhclden und -Heldinnen zum Volksdichter wurde. Denn das
Theater mit seinem breiten Publikum, mit seiner pvpulnrisirendeu Tendenz, der
sich nichts entziehen kann, was mit ihm in Berührung kommt, das Theater
wird doch schließlich immer der hauptsächlichste Erklärungsgrund für Schillers
Popularität bleiben. Der große, ideale Dichter war zugleich ein Theatergeuie,
nicht bloß ein dramatisches wie Shakespeare, das die innern Bedingungen des
großen Lebensgedichtes instinktiv erkennt, sonder» ein theatralisches, ein unbe¬
wußter Kenner der kleinsten dekorativen und szenischen Handgriffe, ein unfehl¬
barer Sondirer des Publikums und seiner Stimmung, im ganzen ein Virtuose
der komplizirten modernen Vühnc»dech»ik. Wir heben ans dieser Sphäre »ur
das für unser Thema wichtige Moment hervor, die Wahl der Stoffe. Es ist
eili in der Geschichte des Dramas ganz einzig dastehender Fall, daß man einem


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198719/164>, abgerufen am 22.07.2024.