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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal.

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Schiller der Demokrat.

er war ein Fuchs, der Alte vom Königsberge: er scharrte seine Weisheit ein
in dunkle philosophische Höhlei,, damit nur seine Mitfüchse daran kosten könnten.
Hat ihm aber alles nichts geholfen. Wir sind rüstige Jäger und haben es
aufgestöbert. Ob man uns glaube oder nicht, man hört solche Phrasen. Um
nur ein Beispiel anzuführen: wer einmal sich davon unterrichten konnte, was
sogenannte philosophische Materialisten sich für einen Kant zu ihrem Privat¬
gebrauch zurecht machen, der wird alles für möglich halten. Das Ansehen Kants
im heutigen republikanischen Frankreich steht sicherlich zu diesem demokratischen
Kant in Beziehung. Es ist gewiß ein Fortschritt des menschlichen Bewußtseins,
daß es -- äußerlich wenigstens -- leine Geheimlehren mehr duldet, daß der
Gedanke frei, das Wort Gemeingut ward, aber das Herz könnte einem bluten,
wenn man sieht, in welcher Gestalt sie es mitunter werden.

Kants überaus strenge Rechtsanschauung, die im härtesten Gegensatz gegen
alle Nützlichkeits- und Sichcruugstheorieu das Recht um des Rechtes willen
geschehen läßt, sein selbst in Schillers Augen fast in abstoßender Gestalt auf¬
tretendes Pflichtgebot, seine Meinung von dem entschiednen Hange der mensch¬
lichen Natur, dem in ihr mahnenden Gesetze entgegenzuhandeln (das Nadikalböse),
endlich seine -- aus dem architektonischen Prinzip der menschlichen Vernunft
abgeleitete -- durchgehende Forderung einheitlicher Direktive lassen den wahren
Kant in etwas anderen Lichte erscheinen. Ganz anders liegt die Frage bei
Schiller. Der Dichter, und sei er selbst ein so subjektiver wie Schiller, spiegelt
immerhin eine ganze Welt, nicht bloß von Gestalten, anch von Meinungen;
er läßt sich schwer von ihr sondern, sein Geist, über ihr schwebend und sie durch¬
dringend, ist eben so schwer zu fassen wie der des Makrokvsmus. Bei Schiller
gilt ferner ganz besonders das einschränkende Urteil, welches er selbst über
Kants Art fällt, "daß dieser heitere und jovialische Geist gewisse düstere Ein¬
drücke der Jugend u. s. w. nicht ganz verwunden habe." Sie kommen gerade
bei ihm noch mitunter zum Durchbruch. Dann spöttelt er wohl gelegentlich
über "reichsfreiherrliche Philosophie" und macht Oger ans seinen Tyrannen.
Es ist anch in dieser Beziehung ein Glück für ihn gewesen, daß er wieder zum
Dichter ward, daß diese "pathologische Seite," welche dem Philosophen, dem
Historiker "ein grämliches Ansehen" gegeben hätte, in seine Dichtung hinüber¬
fließen und zur "menschlichen" Gestalt werden konnte. Wahrlich, er "machte
seine Flügel vom Lebensschmntze los," indem er Menschen formte. Wie rein,
wie überwältigend groß dann seine Persönlichkeit wurde, hat niemand so be¬
obachten und empfinde" dürfen, aber auch können, als sein gewaltiger, diesen
Höhenlauf menschlicher Entwicklung bestimmender und begleitender Freund. Man
weiß, wie Goethe jede Gelegenheit benutzt, sich vor der Majestät dieser Per¬
sönlichkeit zu beugen. Wie man dennoch dazu kommen konnte, ans dieser bis
zum Höchstmenschlichen geläuterten Individualität eine Parteinatnr und noch
dazu die trübere, rohere unter den beiden Grundtypen zu machen, ist bereits


Schiller der Demokrat.

er war ein Fuchs, der Alte vom Königsberge: er scharrte seine Weisheit ein
in dunkle philosophische Höhlei,, damit nur seine Mitfüchse daran kosten könnten.
Hat ihm aber alles nichts geholfen. Wir sind rüstige Jäger und haben es
aufgestöbert. Ob man uns glaube oder nicht, man hört solche Phrasen. Um
nur ein Beispiel anzuführen: wer einmal sich davon unterrichten konnte, was
sogenannte philosophische Materialisten sich für einen Kant zu ihrem Privat¬
gebrauch zurecht machen, der wird alles für möglich halten. Das Ansehen Kants
im heutigen republikanischen Frankreich steht sicherlich zu diesem demokratischen
Kant in Beziehung. Es ist gewiß ein Fortschritt des menschlichen Bewußtseins,
daß es — äußerlich wenigstens — leine Geheimlehren mehr duldet, daß der
Gedanke frei, das Wort Gemeingut ward, aber das Herz könnte einem bluten,
wenn man sieht, in welcher Gestalt sie es mitunter werden.

Kants überaus strenge Rechtsanschauung, die im härtesten Gegensatz gegen
alle Nützlichkeits- und Sichcruugstheorieu das Recht um des Rechtes willen
geschehen läßt, sein selbst in Schillers Augen fast in abstoßender Gestalt auf¬
tretendes Pflichtgebot, seine Meinung von dem entschiednen Hange der mensch¬
lichen Natur, dem in ihr mahnenden Gesetze entgegenzuhandeln (das Nadikalböse),
endlich seine — aus dem architektonischen Prinzip der menschlichen Vernunft
abgeleitete — durchgehende Forderung einheitlicher Direktive lassen den wahren
Kant in etwas anderen Lichte erscheinen. Ganz anders liegt die Frage bei
Schiller. Der Dichter, und sei er selbst ein so subjektiver wie Schiller, spiegelt
immerhin eine ganze Welt, nicht bloß von Gestalten, anch von Meinungen;
er läßt sich schwer von ihr sondern, sein Geist, über ihr schwebend und sie durch¬
dringend, ist eben so schwer zu fassen wie der des Makrokvsmus. Bei Schiller
gilt ferner ganz besonders das einschränkende Urteil, welches er selbst über
Kants Art fällt, „daß dieser heitere und jovialische Geist gewisse düstere Ein¬
drücke der Jugend u. s. w. nicht ganz verwunden habe." Sie kommen gerade
bei ihm noch mitunter zum Durchbruch. Dann spöttelt er wohl gelegentlich
über „reichsfreiherrliche Philosophie" und macht Oger ans seinen Tyrannen.
Es ist anch in dieser Beziehung ein Glück für ihn gewesen, daß er wieder zum
Dichter ward, daß diese „pathologische Seite," welche dem Philosophen, dem
Historiker „ein grämliches Ansehen" gegeben hätte, in seine Dichtung hinüber¬
fließen und zur „menschlichen" Gestalt werden konnte. Wahrlich, er „machte
seine Flügel vom Lebensschmntze los," indem er Menschen formte. Wie rein,
wie überwältigend groß dann seine Persönlichkeit wurde, hat niemand so be¬
obachten und empfinde» dürfen, aber auch können, als sein gewaltiger, diesen
Höhenlauf menschlicher Entwicklung bestimmender und begleitender Freund. Man
weiß, wie Goethe jede Gelegenheit benutzt, sich vor der Majestät dieser Per¬
sönlichkeit zu beugen. Wie man dennoch dazu kommen konnte, ans dieser bis
zum Höchstmenschlichen geläuterten Individualität eine Parteinatnr und noch
dazu die trübere, rohere unter den beiden Grundtypen zu machen, ist bereits


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198719/156>, abgerufen am 22.07.2024.