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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal.

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Einfamilienhäuser und großstädtische Villen.

endlich auch darüber nicht den Stab brechen, wenn der sozialdemokratische Ge¬
danke unter allen in ähnlicher Lage befindlichen Leuten riesige Fortschritte macht.
Jetzt sind sie ja, was ihre Wohnungen betrifft, offenbar nicht in besserer, son¬
dern in viel schlechterer Lage, als dies in einer leidlich eingerichteten sozia¬
listischen Gesellschaft der Fall sei" würde; da würden Gesundheit und Sittlich¬
keit aller Familienglieder ihre Berücksichtigung finden, überschüssige Angehörige
würde leine Familie bei sich aufzunehmen brauchen, mit Einzclküchen u, dergl.
brauchte man sich nicht zu quälen, und eine Masse von Sorgen, welche jetzt
den Einzelnen drücken und belästigen, würden auf die Gesamtheit fallen. Und
was das "Prinzip" betrifft -- du lieber Himmel, als ob eine solche Miet¬
kaserne sich anders als im Schlimmen von einem Phalanstere unterschiede, und
als ob Leute, welche durchschnittlich alle Jahre einmal, manchmal auch zwei¬
mal ihre Wohnung wechseln, sonderlichen Sinn für eine feinere Auffassung
menschlicher Zusammengehörigkeit und Gegenseitigkeit haben konnten!

Daß alle diese Dinge im Einfamilienhanse, selbst in dem kleinen und be¬
scheidnen, anders sein können und in großem Umfange sofort und von selbst
anders sein werden und müssen, wird schwerlich bestritten werden. Wir gehen
allerdings von der Voraussetzung aus, daß die bauliche Beschaffenheit eines
solchen Hauses eine befriedigende sei, und wissen sehr gut, daß diese Voraus¬
setzung z. B. bei vielen ans Spekulation gebauten "Villen" in der Gegend von
Berlin nicht zutrifft; aber vor dergleichen Auswüchsen großstädtischen Wesens
muß man sich eben hüten, und schließlich lassen sich selbst diese in den meisten
Fällen immer noch eher bekämpfen, als die entsprechenden Erscheinungen in der
Mietkaserne. Das eigne Haus weist unter allen Umständen einen ungeheuern
prinzipiellen Vorzug vor der Mietkaserne auf: auch in dem kleinsten Hause
giebt es allerhand Ecken und Winkel, die sich in dieser oder jeuer gerade passenden
Weise nutzbar machen lassen, und anch da, wo man eigentliche bauliche Ver¬
änderungen nicht vornehmen kann oder will, lassen sich doch im Hanse aller¬
hand Anpassungen an die Besonderheiten der Familie bewerkstelligen. Die Haupt¬
sache aber ist, daß selbst das kleinste Eigen eine wirkliche, ständige Heimat der
Familie repräsentirt und demgemäß auf deu Vorstellungskreis, auf die Ge¬
wöhnungen und Neigungen, ja auf die ganze sittliche Disposition der Familie
einen Einfluß übt, der sich überall als das gerade Gegenteil dessen darstellt,
was uns vorhin entgegengetreten ist. Die körperliche Gesundheit wird begünstigt
durch die bessere Luft, durch die Möglichkeit, geeignetere Schlafräume herzustellen,
durch den Wegfall schlechter Gerüche, durch die Gelegenheit, sich selbst im kleinste"
Garten bewegen und stets allerhand kleine Arbeiten vornehmen zu können; die
geistige Gesundheit durch den festen Halt, welchen das Eigentum, das Erbe der
Kinder, die dnrch dasselbe dem Familienhaupt erwachsende Kreditfähigkeit, die
Einfügung in die kommunalen Verhältnisse und tausend ähnliche Beziehungen
mit sich bringen. Trifft dies schon für den Arbeiter und für das bescheidenste


Einfamilienhäuser und großstädtische Villen.

endlich auch darüber nicht den Stab brechen, wenn der sozialdemokratische Ge¬
danke unter allen in ähnlicher Lage befindlichen Leuten riesige Fortschritte macht.
Jetzt sind sie ja, was ihre Wohnungen betrifft, offenbar nicht in besserer, son¬
dern in viel schlechterer Lage, als dies in einer leidlich eingerichteten sozia¬
listischen Gesellschaft der Fall sei» würde; da würden Gesundheit und Sittlich¬
keit aller Familienglieder ihre Berücksichtigung finden, überschüssige Angehörige
würde leine Familie bei sich aufzunehmen brauchen, mit Einzclküchen u, dergl.
brauchte man sich nicht zu quälen, und eine Masse von Sorgen, welche jetzt
den Einzelnen drücken und belästigen, würden auf die Gesamtheit fallen. Und
was das „Prinzip" betrifft — du lieber Himmel, als ob eine solche Miet¬
kaserne sich anders als im Schlimmen von einem Phalanstere unterschiede, und
als ob Leute, welche durchschnittlich alle Jahre einmal, manchmal auch zwei¬
mal ihre Wohnung wechseln, sonderlichen Sinn für eine feinere Auffassung
menschlicher Zusammengehörigkeit und Gegenseitigkeit haben konnten!

Daß alle diese Dinge im Einfamilienhanse, selbst in dem kleinen und be¬
scheidnen, anders sein können und in großem Umfange sofort und von selbst
anders sein werden und müssen, wird schwerlich bestritten werden. Wir gehen
allerdings von der Voraussetzung aus, daß die bauliche Beschaffenheit eines
solchen Hauses eine befriedigende sei, und wissen sehr gut, daß diese Voraus¬
setzung z. B. bei vielen ans Spekulation gebauten „Villen" in der Gegend von
Berlin nicht zutrifft; aber vor dergleichen Auswüchsen großstädtischen Wesens
muß man sich eben hüten, und schließlich lassen sich selbst diese in den meisten
Fällen immer noch eher bekämpfen, als die entsprechenden Erscheinungen in der
Mietkaserne. Das eigne Haus weist unter allen Umständen einen ungeheuern
prinzipiellen Vorzug vor der Mietkaserne auf: auch in dem kleinsten Hause
giebt es allerhand Ecken und Winkel, die sich in dieser oder jeuer gerade passenden
Weise nutzbar machen lassen, und anch da, wo man eigentliche bauliche Ver¬
änderungen nicht vornehmen kann oder will, lassen sich doch im Hanse aller¬
hand Anpassungen an die Besonderheiten der Familie bewerkstelligen. Die Haupt¬
sache aber ist, daß selbst das kleinste Eigen eine wirkliche, ständige Heimat der
Familie repräsentirt und demgemäß auf deu Vorstellungskreis, auf die Ge¬
wöhnungen und Neigungen, ja auf die ganze sittliche Disposition der Familie
einen Einfluß übt, der sich überall als das gerade Gegenteil dessen darstellt,
was uns vorhin entgegengetreten ist. Die körperliche Gesundheit wird begünstigt
durch die bessere Luft, durch die Möglichkeit, geeignetere Schlafräume herzustellen,
durch den Wegfall schlechter Gerüche, durch die Gelegenheit, sich selbst im kleinste»
Garten bewegen und stets allerhand kleine Arbeiten vornehmen zu können; die
geistige Gesundheit durch den festen Halt, welchen das Eigentum, das Erbe der
Kinder, die dnrch dasselbe dem Familienhaupt erwachsende Kreditfähigkeit, die
Einfügung in die kommunalen Verhältnisse und tausend ähnliche Beziehungen
mit sich bringen. Trifft dies schon für den Arbeiter und für das bescheidenste


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[0120] Einfamilienhäuser und großstädtische Villen. endlich auch darüber nicht den Stab brechen, wenn der sozialdemokratische Ge¬ danke unter allen in ähnlicher Lage befindlichen Leuten riesige Fortschritte macht. Jetzt sind sie ja, was ihre Wohnungen betrifft, offenbar nicht in besserer, son¬ dern in viel schlechterer Lage, als dies in einer leidlich eingerichteten sozia¬ listischen Gesellschaft der Fall sei» würde; da würden Gesundheit und Sittlich¬ keit aller Familienglieder ihre Berücksichtigung finden, überschüssige Angehörige würde leine Familie bei sich aufzunehmen brauchen, mit Einzclküchen u, dergl. brauchte man sich nicht zu quälen, und eine Masse von Sorgen, welche jetzt den Einzelnen drücken und belästigen, würden auf die Gesamtheit fallen. Und was das „Prinzip" betrifft — du lieber Himmel, als ob eine solche Miet¬ kaserne sich anders als im Schlimmen von einem Phalanstere unterschiede, und als ob Leute, welche durchschnittlich alle Jahre einmal, manchmal auch zwei¬ mal ihre Wohnung wechseln, sonderlichen Sinn für eine feinere Auffassung menschlicher Zusammengehörigkeit und Gegenseitigkeit haben konnten! Daß alle diese Dinge im Einfamilienhanse, selbst in dem kleinen und be¬ scheidnen, anders sein können und in großem Umfange sofort und von selbst anders sein werden und müssen, wird schwerlich bestritten werden. Wir gehen allerdings von der Voraussetzung aus, daß die bauliche Beschaffenheit eines solchen Hauses eine befriedigende sei, und wissen sehr gut, daß diese Voraus¬ setzung z. B. bei vielen ans Spekulation gebauten „Villen" in der Gegend von Berlin nicht zutrifft; aber vor dergleichen Auswüchsen großstädtischen Wesens muß man sich eben hüten, und schließlich lassen sich selbst diese in den meisten Fällen immer noch eher bekämpfen, als die entsprechenden Erscheinungen in der Mietkaserne. Das eigne Haus weist unter allen Umständen einen ungeheuern prinzipiellen Vorzug vor der Mietkaserne auf: auch in dem kleinsten Hause giebt es allerhand Ecken und Winkel, die sich in dieser oder jeuer gerade passenden Weise nutzbar machen lassen, und anch da, wo man eigentliche bauliche Ver¬ änderungen nicht vornehmen kann oder will, lassen sich doch im Hanse aller¬ hand Anpassungen an die Besonderheiten der Familie bewerkstelligen. Die Haupt¬ sache aber ist, daß selbst das kleinste Eigen eine wirkliche, ständige Heimat der Familie repräsentirt und demgemäß auf deu Vorstellungskreis, auf die Ge¬ wöhnungen und Neigungen, ja auf die ganze sittliche Disposition der Familie einen Einfluß übt, der sich überall als das gerade Gegenteil dessen darstellt, was uns vorhin entgegengetreten ist. Die körperliche Gesundheit wird begünstigt durch die bessere Luft, durch die Möglichkeit, geeignetere Schlafräume herzustellen, durch den Wegfall schlechter Gerüche, durch die Gelegenheit, sich selbst im kleinste» Garten bewegen und stets allerhand kleine Arbeiten vornehmen zu können; die geistige Gesundheit durch den festen Halt, welchen das Eigentum, das Erbe der Kinder, die dnrch dasselbe dem Familienhaupt erwachsende Kreditfähigkeit, die Einfügung in die kommunalen Verhältnisse und tausend ähnliche Beziehungen mit sich bringen. Trifft dies schon für den Arbeiter und für das bescheidenste

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198719/120>, abgerufen am 22.07.2024.