Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Zuckersteuer und ihre Reform.

jetzt nur sagen kann, es sei einfacher als diese Steuer und habe alle Vorzüge
derselben, ohne Fabrikatbesteuerung zu sein, es sei leicht und sicher durchzuführen,
ohne die Fabrikation zu belästigen und zu hemmen, es bewirke die wirkliche Be¬
steuerung des Zuckers der Rüben, einschließlich des aus Melasse erzeugten, und
es sei endlich ein System, welches nicht bloß den augenblicklichen Verhältnissen
genüge, sondern auch allen Fortschritten einer sich weiter entwickelnden Industrie
gerecht bleibe." Das wäre viel, und wir würden uns freuen, bald einmal in
den Stand gesetzt zu werden, Genaueres darüber mitzuteilen.

Gleichzeitig mit dem berechtigten Verlangen nach zeitgemäßer Reform der
Zuckerstenergcsetze ist vielfach der Ruf nach einer besondern Besteuerung des
aus der Melasse gewonnenen Zuckers laut geworden. Scheibler spricht sich
hiergegen mit aller Bestimmtheit aus, und wir halten die von ihm gegen jenen
Ruf ins Feld geführten Gründe für überzeugend und unbestreitbar. Die
Melassesteuer ist zunächst theoretisch falsch, weil der von ihr zur Besteuerung
herangezogene Zucker schon einmal in der Rübe besteuert worden ist. Sie ist
undurchführbar, weil sich der Begriff Melafse nicht in allgemeinem oder den
Steuerbeamten verständlichen Sinne definiren läßt und ihre Überwachung mehr
kosten als einbringen würde. Die Melassesteuer ist ferner, wie Scheibler mit
einem drastischen Beispiele belegt, unmoralisch, weil sie mit größter Leichtigkeit
umgangen werden kann und so zur Hinterziehung geradezu verleitet. Sie ist
unpraktisch, weil die von ihr erhoffte Minderproduktion von Zucker nicht eintritt.
Die Fabrikanten von Mclnssespiritus irren mit der Erwartung, die Melasse
werde, falls man sie bei ihrer Verwendung für die Zwecke der Zuckerfabrikation
mit einer Steuer belegte, wieder den Brennereien zufließen; denn man versteht
jetzt, aus der Melasse ein Produkt wertvoller als Spiritus zu gewinnen. Daß
die Melassespiritusbrenuereien aus Deutschland verschlvindcn, kommt der Fabri¬
kation von Kartvffelspiritus zu Gute, auf welche die weniger fruchtbaren und
ärmern Gegenden angewiesen sind. Wird endlich die Melasse besteuert, so
wandert sie zur Entznckerung ins Ausland, besonders nach England, das in
schottischen Distrikten reiche Quellen von Strontian besitzt. Die Melasseent-
zuckerung muß, statt daß man sie besteuert, vielmehr begünstigt werden, und
zwar besonders im nationalen Interesse. Die Fähigkeit und der Beruf Deutsch¬
lands, Zucker zu erzeugen und auf den Weltmarkt zu bringen, ist größer als
die Fähigkeit und der Beruf andrer Länder, welche ebenfalls Rüben bauen.
Die Rohrzuckeriudustrie ist, wie bereits erwähnt, im Sinken, die Nübenzucker-
induftrie im Steigen. Die Krisen der letzten Jahre sind ein Beweis dafür, sie
sind Erscheinungen, welche den zwischen beiden Industrien ausgebrochenen Kampf
begleiten. Die Gewinnung von Zucker aus der Melasse (durch das von Scheibler
entdeckte Elutionsverfahren, namentlich aber durch seine beiden neuen Stron-
tianentzuckerungsmethoden) ist eine mächtige Waffe zu siegreichem Bestehen des¬
selben, die nicht durch eine Steuer abgestumpft werde" darf. Deutschland sollte


Die Zuckersteuer und ihre Reform.

jetzt nur sagen kann, es sei einfacher als diese Steuer und habe alle Vorzüge
derselben, ohne Fabrikatbesteuerung zu sein, es sei leicht und sicher durchzuführen,
ohne die Fabrikation zu belästigen und zu hemmen, es bewirke die wirkliche Be¬
steuerung des Zuckers der Rüben, einschließlich des aus Melasse erzeugten, und
es sei endlich ein System, welches nicht bloß den augenblicklichen Verhältnissen
genüge, sondern auch allen Fortschritten einer sich weiter entwickelnden Industrie
gerecht bleibe." Das wäre viel, und wir würden uns freuen, bald einmal in
den Stand gesetzt zu werden, Genaueres darüber mitzuteilen.

Gleichzeitig mit dem berechtigten Verlangen nach zeitgemäßer Reform der
Zuckerstenergcsetze ist vielfach der Ruf nach einer besondern Besteuerung des
aus der Melasse gewonnenen Zuckers laut geworden. Scheibler spricht sich
hiergegen mit aller Bestimmtheit aus, und wir halten die von ihm gegen jenen
Ruf ins Feld geführten Gründe für überzeugend und unbestreitbar. Die
Melassesteuer ist zunächst theoretisch falsch, weil der von ihr zur Besteuerung
herangezogene Zucker schon einmal in der Rübe besteuert worden ist. Sie ist
undurchführbar, weil sich der Begriff Melafse nicht in allgemeinem oder den
Steuerbeamten verständlichen Sinne definiren läßt und ihre Überwachung mehr
kosten als einbringen würde. Die Melassesteuer ist ferner, wie Scheibler mit
einem drastischen Beispiele belegt, unmoralisch, weil sie mit größter Leichtigkeit
umgangen werden kann und so zur Hinterziehung geradezu verleitet. Sie ist
unpraktisch, weil die von ihr erhoffte Minderproduktion von Zucker nicht eintritt.
Die Fabrikanten von Mclnssespiritus irren mit der Erwartung, die Melasse
werde, falls man sie bei ihrer Verwendung für die Zwecke der Zuckerfabrikation
mit einer Steuer belegte, wieder den Brennereien zufließen; denn man versteht
jetzt, aus der Melasse ein Produkt wertvoller als Spiritus zu gewinnen. Daß
die Melassespiritusbrenuereien aus Deutschland verschlvindcn, kommt der Fabri¬
kation von Kartvffelspiritus zu Gute, auf welche die weniger fruchtbaren und
ärmern Gegenden angewiesen sind. Wird endlich die Melasse besteuert, so
wandert sie zur Entznckerung ins Ausland, besonders nach England, das in
schottischen Distrikten reiche Quellen von Strontian besitzt. Die Melasseent-
zuckerung muß, statt daß man sie besteuert, vielmehr begünstigt werden, und
zwar besonders im nationalen Interesse. Die Fähigkeit und der Beruf Deutsch¬
lands, Zucker zu erzeugen und auf den Weltmarkt zu bringen, ist größer als
die Fähigkeit und der Beruf andrer Länder, welche ebenfalls Rüben bauen.
Die Rohrzuckeriudustrie ist, wie bereits erwähnt, im Sinken, die Nübenzucker-
induftrie im Steigen. Die Krisen der letzten Jahre sind ein Beweis dafür, sie
sind Erscheinungen, welche den zwischen beiden Industrien ausgebrochenen Kampf
begleiten. Die Gewinnung von Zucker aus der Melasse (durch das von Scheibler
entdeckte Elutionsverfahren, namentlich aber durch seine beiden neuen Stron-
tianentzuckerungsmethoden) ist eine mächtige Waffe zu siegreichem Bestehen des¬
selben, die nicht durch eine Steuer abgestumpft werde» darf. Deutschland sollte


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0110" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/198830"/>
          <fw type="header" place="top"> Die Zuckersteuer und ihre Reform.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_309" prev="#ID_308"> jetzt nur sagen kann, es sei einfacher als diese Steuer und habe alle Vorzüge<lb/>
derselben, ohne Fabrikatbesteuerung zu sein, es sei leicht und sicher durchzuführen,<lb/>
ohne die Fabrikation zu belästigen und zu hemmen, es bewirke die wirkliche Be¬<lb/>
steuerung des Zuckers der Rüben, einschließlich des aus Melasse erzeugten, und<lb/>
es sei endlich ein System, welches nicht bloß den augenblicklichen Verhältnissen<lb/>
genüge, sondern auch allen Fortschritten einer sich weiter entwickelnden Industrie<lb/>
gerecht bleibe." Das wäre viel, und wir würden uns freuen, bald einmal in<lb/>
den Stand gesetzt zu werden, Genaueres darüber mitzuteilen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_310" next="#ID_311"> Gleichzeitig mit dem berechtigten Verlangen nach zeitgemäßer Reform der<lb/>
Zuckerstenergcsetze ist vielfach der Ruf nach einer besondern Besteuerung des<lb/>
aus der Melasse gewonnenen Zuckers laut geworden. Scheibler spricht sich<lb/>
hiergegen mit aller Bestimmtheit aus, und wir halten die von ihm gegen jenen<lb/>
Ruf ins Feld geführten Gründe für überzeugend und unbestreitbar. Die<lb/>
Melassesteuer ist zunächst theoretisch falsch, weil der von ihr zur Besteuerung<lb/>
herangezogene Zucker schon einmal in der Rübe besteuert worden ist. Sie ist<lb/>
undurchführbar, weil sich der Begriff Melafse nicht in allgemeinem oder den<lb/>
Steuerbeamten verständlichen Sinne definiren läßt und ihre Überwachung mehr<lb/>
kosten als einbringen würde. Die Melassesteuer ist ferner, wie Scheibler mit<lb/>
einem drastischen Beispiele belegt, unmoralisch, weil sie mit größter Leichtigkeit<lb/>
umgangen werden kann und so zur Hinterziehung geradezu verleitet. Sie ist<lb/>
unpraktisch, weil die von ihr erhoffte Minderproduktion von Zucker nicht eintritt.<lb/>
Die Fabrikanten von Mclnssespiritus irren mit der Erwartung, die Melasse<lb/>
werde, falls man sie bei ihrer Verwendung für die Zwecke der Zuckerfabrikation<lb/>
mit einer Steuer belegte, wieder den Brennereien zufließen; denn man versteht<lb/>
jetzt, aus der Melasse ein Produkt wertvoller als Spiritus zu gewinnen. Daß<lb/>
die Melassespiritusbrenuereien aus Deutschland verschlvindcn, kommt der Fabri¬<lb/>
kation von Kartvffelspiritus zu Gute, auf welche die weniger fruchtbaren und<lb/>
ärmern Gegenden angewiesen sind. Wird endlich die Melasse besteuert, so<lb/>
wandert sie zur Entznckerung ins Ausland, besonders nach England, das in<lb/>
schottischen Distrikten reiche Quellen von Strontian besitzt. Die Melasseent-<lb/>
zuckerung muß, statt daß man sie besteuert, vielmehr begünstigt werden, und<lb/>
zwar besonders im nationalen Interesse. Die Fähigkeit und der Beruf Deutsch¬<lb/>
lands, Zucker zu erzeugen und auf den Weltmarkt zu bringen, ist größer als<lb/>
die Fähigkeit und der Beruf andrer Länder, welche ebenfalls Rüben bauen.<lb/>
Die Rohrzuckeriudustrie ist, wie bereits erwähnt, im Sinken, die Nübenzucker-<lb/>
induftrie im Steigen. Die Krisen der letzten Jahre sind ein Beweis dafür, sie<lb/>
sind Erscheinungen, welche den zwischen beiden Industrien ausgebrochenen Kampf<lb/>
begleiten. Die Gewinnung von Zucker aus der Melasse (durch das von Scheibler<lb/>
entdeckte Elutionsverfahren, namentlich aber durch seine beiden neuen Stron-<lb/>
tianentzuckerungsmethoden) ist eine mächtige Waffe zu siegreichem Bestehen des¬<lb/>
selben, die nicht durch eine Steuer abgestumpft werde» darf. Deutschland sollte</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0110] Die Zuckersteuer und ihre Reform. jetzt nur sagen kann, es sei einfacher als diese Steuer und habe alle Vorzüge derselben, ohne Fabrikatbesteuerung zu sein, es sei leicht und sicher durchzuführen, ohne die Fabrikation zu belästigen und zu hemmen, es bewirke die wirkliche Be¬ steuerung des Zuckers der Rüben, einschließlich des aus Melasse erzeugten, und es sei endlich ein System, welches nicht bloß den augenblicklichen Verhältnissen genüge, sondern auch allen Fortschritten einer sich weiter entwickelnden Industrie gerecht bleibe." Das wäre viel, und wir würden uns freuen, bald einmal in den Stand gesetzt zu werden, Genaueres darüber mitzuteilen. Gleichzeitig mit dem berechtigten Verlangen nach zeitgemäßer Reform der Zuckerstenergcsetze ist vielfach der Ruf nach einer besondern Besteuerung des aus der Melasse gewonnenen Zuckers laut geworden. Scheibler spricht sich hiergegen mit aller Bestimmtheit aus, und wir halten die von ihm gegen jenen Ruf ins Feld geführten Gründe für überzeugend und unbestreitbar. Die Melassesteuer ist zunächst theoretisch falsch, weil der von ihr zur Besteuerung herangezogene Zucker schon einmal in der Rübe besteuert worden ist. Sie ist undurchführbar, weil sich der Begriff Melafse nicht in allgemeinem oder den Steuerbeamten verständlichen Sinne definiren läßt und ihre Überwachung mehr kosten als einbringen würde. Die Melassesteuer ist ferner, wie Scheibler mit einem drastischen Beispiele belegt, unmoralisch, weil sie mit größter Leichtigkeit umgangen werden kann und so zur Hinterziehung geradezu verleitet. Sie ist unpraktisch, weil die von ihr erhoffte Minderproduktion von Zucker nicht eintritt. Die Fabrikanten von Mclnssespiritus irren mit der Erwartung, die Melasse werde, falls man sie bei ihrer Verwendung für die Zwecke der Zuckerfabrikation mit einer Steuer belegte, wieder den Brennereien zufließen; denn man versteht jetzt, aus der Melasse ein Produkt wertvoller als Spiritus zu gewinnen. Daß die Melassespiritusbrenuereien aus Deutschland verschlvindcn, kommt der Fabri¬ kation von Kartvffelspiritus zu Gute, auf welche die weniger fruchtbaren und ärmern Gegenden angewiesen sind. Wird endlich die Melasse besteuert, so wandert sie zur Entznckerung ins Ausland, besonders nach England, das in schottischen Distrikten reiche Quellen von Strontian besitzt. Die Melasseent- zuckerung muß, statt daß man sie besteuert, vielmehr begünstigt werden, und zwar besonders im nationalen Interesse. Die Fähigkeit und der Beruf Deutsch¬ lands, Zucker zu erzeugen und auf den Weltmarkt zu bringen, ist größer als die Fähigkeit und der Beruf andrer Länder, welche ebenfalls Rüben bauen. Die Rohrzuckeriudustrie ist, wie bereits erwähnt, im Sinken, die Nübenzucker- induftrie im Steigen. Die Krisen der letzten Jahre sind ein Beweis dafür, sie sind Erscheinungen, welche den zwischen beiden Industrien ausgebrochenen Kampf begleiten. Die Gewinnung von Zucker aus der Melasse (durch das von Scheibler entdeckte Elutionsverfahren, namentlich aber durch seine beiden neuen Stron- tianentzuckerungsmethoden) ist eine mächtige Waffe zu siegreichem Bestehen des¬ selben, die nicht durch eine Steuer abgestumpft werde» darf. Deutschland sollte

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198719
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198719/110
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198719/110>, abgerufen am 22.07.2024.