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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal.

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sächlich in der Ausfuhr geringwertiger Rohzucker, und so entwickelte sich mit
dem Größerwerden unsrer Nübenzuckerindustrie weit mehr der Export von roher
als der von raffinirter Waare, Nach dem Gesagten sind mit der Nohzucker-
ausfuhr des Jahres 1384/85, welche ungefähr 5^ Millionen Doppelzentner
betrug, mindestens 800000 Doppelzentner oder 1600000 einfache Zentner Me¬
lasse zum Export gelangt, und da, wie wir sahen, ein Zentner von der dem
mittlern Normalrohzncker anhaftenden Melasse mit 1,25 Mark bonifizirt er¬
scheint, ist die Neichssteuerkasse dadurch vermutlich um die Summe von ungefähr
20 Millionen Mark geschädigt worden. Dieser ungeheure Verlust ist aber le¬
diglich Folge der unzweckmäßigen Gliederung des Gesetzes vom Jahre 1869,
welches, statt den aus den Nohzuckern darstellbaren reinen Zucker als Maßstab
für die Ausfuhrvergütung zuzulassen, hierfür die Polarisation gesetzt hat. Das¬
selbe schädigte nicht allein die Steuereinnahmen, sondern auch die Industrie;
denn während andre Rübenbau treibende europäische Staaten vorzüglich Raffi¬
naden und ähnliche konsumfähige Zuckersorteu ausführten, lieferte Deutschland
auf die fremden Märkte fast nur möglichst geringe Nohwacire, und so bildete sich
auf diesen Märkten die Meinung aus, es könne überhaupt nichts Besseres leisten,
es arbeite "billig und schlecht." Endlich tragen die Ausfuhrprämien, die beim
Export geringer Robzucker genossen wurden, auch die Schuld, daß sich in den
letzten Jahren unternehmungslustige Kapitalisten verleiten ließen, die Zucker¬
industrie auch in Provinzen zu verlegen, die sich nicht zum Bau solcher Rüben
eignen, wie die herrschende Rohmaterialbesteuerung sie wünschen läßt.

Scheibler hat die Folgen des Gesetzes zum Teil vorausgesagt und 1872
ein Verfahren empfohlen, welches in Naffinativnswertbestimmung der Rohzucker
bestand und Abhilfe versprach. Die betreffende Abhandlung wurde auch vom
Vorstande des Vereins für die Rübenznckerindnstrie des deutschen Reiches prci-
miirt, und der Bundesrat ordnete 1874 Versuche mit dem Verfahren an, welche
in Charlottenburg angestellt wurden und dessen Richtigkeit erwiesen. Die all¬
gemeine Anwendung desselben ist jedoch unterblieben, was weniger der Reichs¬
regierung zur Last zu legen ist als dem Vorstände des genannten Vereins, der
nichts für Ausbreitung des Verfahrens gethan hat. Dasselbe hatte seine Zeit,
wo es gut gewirkt und viel erspart hätte, ist aber jetzt durch Fortschritte der
Technik überholt, und es bleibt nichts übrig, als daß die Reichsregiernng sich
mit dem Gedanken vertraut macht, das System der Materialbesteuerung, der
Rnbensteucr, über kurz oder lang fallen zu lassen nud ein andres einzuführen.
Man behauptet, die Materialsteuer hat die Rübenznckerindnstrie groß gemacht.
Scheibler nennt dies "eine Phrase, die weder in landwirtschaftlicher noch in
technischer Hinsicht richtig ist," und meint, man würde mit besserm Rechte sagen:
"Die Materialsteuer hat die Steuereinnahmen klein gemacht." Er hat ein Ver¬
fahren ersonnen, welches er für "durchaus geeignet hält, die Rübenstener zu
ersetzen," und mit dessen Ausbildung er noch beschäftigt ist, weshalb er von ihm


sächlich in der Ausfuhr geringwertiger Rohzucker, und so entwickelte sich mit
dem Größerwerden unsrer Nübenzuckerindustrie weit mehr der Export von roher
als der von raffinirter Waare, Nach dem Gesagten sind mit der Nohzucker-
ausfuhr des Jahres 1384/85, welche ungefähr 5^ Millionen Doppelzentner
betrug, mindestens 800000 Doppelzentner oder 1600000 einfache Zentner Me¬
lasse zum Export gelangt, und da, wie wir sahen, ein Zentner von der dem
mittlern Normalrohzncker anhaftenden Melasse mit 1,25 Mark bonifizirt er¬
scheint, ist die Neichssteuerkasse dadurch vermutlich um die Summe von ungefähr
20 Millionen Mark geschädigt worden. Dieser ungeheure Verlust ist aber le¬
diglich Folge der unzweckmäßigen Gliederung des Gesetzes vom Jahre 1869,
welches, statt den aus den Nohzuckern darstellbaren reinen Zucker als Maßstab
für die Ausfuhrvergütung zuzulassen, hierfür die Polarisation gesetzt hat. Das¬
selbe schädigte nicht allein die Steuereinnahmen, sondern auch die Industrie;
denn während andre Rübenbau treibende europäische Staaten vorzüglich Raffi¬
naden und ähnliche konsumfähige Zuckersorteu ausführten, lieferte Deutschland
auf die fremden Märkte fast nur möglichst geringe Nohwacire, und so bildete sich
auf diesen Märkten die Meinung aus, es könne überhaupt nichts Besseres leisten,
es arbeite „billig und schlecht." Endlich tragen die Ausfuhrprämien, die beim
Export geringer Robzucker genossen wurden, auch die Schuld, daß sich in den
letzten Jahren unternehmungslustige Kapitalisten verleiten ließen, die Zucker¬
industrie auch in Provinzen zu verlegen, die sich nicht zum Bau solcher Rüben
eignen, wie die herrschende Rohmaterialbesteuerung sie wünschen läßt.

Scheibler hat die Folgen des Gesetzes zum Teil vorausgesagt und 1872
ein Verfahren empfohlen, welches in Naffinativnswertbestimmung der Rohzucker
bestand und Abhilfe versprach. Die betreffende Abhandlung wurde auch vom
Vorstande des Vereins für die Rübenznckerindnstrie des deutschen Reiches prci-
miirt, und der Bundesrat ordnete 1874 Versuche mit dem Verfahren an, welche
in Charlottenburg angestellt wurden und dessen Richtigkeit erwiesen. Die all¬
gemeine Anwendung desselben ist jedoch unterblieben, was weniger der Reichs¬
regierung zur Last zu legen ist als dem Vorstände des genannten Vereins, der
nichts für Ausbreitung des Verfahrens gethan hat. Dasselbe hatte seine Zeit,
wo es gut gewirkt und viel erspart hätte, ist aber jetzt durch Fortschritte der
Technik überholt, und es bleibt nichts übrig, als daß die Reichsregiernng sich
mit dem Gedanken vertraut macht, das System der Materialbesteuerung, der
Rnbensteucr, über kurz oder lang fallen zu lassen nud ein andres einzuführen.
Man behauptet, die Materialsteuer hat die Rübenznckerindnstrie groß gemacht.
Scheibler nennt dies „eine Phrase, die weder in landwirtschaftlicher noch in
technischer Hinsicht richtig ist," und meint, man würde mit besserm Rechte sagen:
„Die Materialsteuer hat die Steuereinnahmen klein gemacht." Er hat ein Ver¬
fahren ersonnen, welches er für „durchaus geeignet hält, die Rübenstener zu
ersetzen," und mit dessen Ausbildung er noch beschäftigt ist, weshalb er von ihm


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198719/109>, abgerufen am 22.07.2024.