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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal.

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Die Zuckersteuer und ihre Reform.

gerade jetzt nicht, wie vorgeschlagen worden ist, seinen Zuckerrübenbau einschränken,
sondern mit allem Eifer darauf hinarbeiten, den Weltmarkt mit seinem Zucker
zu füllen. Jene Krisen werden wiederkehren, aber umso eher und umso stärker,
je mehr der Melafscentzuckeruug Schwierigkeiten in den Weg gelegt werden.

Schließlich spricht noch eine Thatsache gegen die Melasfcsteucr: sie beein¬
trächtigt die Landwirtschaft. Bei der Erörterung der neuen Zuckerfteuervorlage,
über welche der Reichstag in diesem Frühjahr zu beschließen hatte, ist weder
von Rednern in jener Versammlung noch von Stimmen in der Presse des
wichtigen Umstandes gedacht worden, daß die Mclasseindnstrie nicht so sehr die
Zuckcrgcwiuuung als die Rückgewinnung der in den Melasseu cuthnlteueu wert¬
vollen Düngestoffe zum Hauptzwecke hat. Wir werden dies daher mit einiger
Ausführlichkeit besprechen müssen.

Unter den landwirtschaftlichen Gewerben find einige, welche man mit
Scheibler als "ideale Gewerbe" bezeichnen kann, weil die Erzeugnisse derselben
nur durch Kondensirung von Luftbcstandteilen (Kohlensäure, Wasser) bestehen,
in ihnen also keine Bestandteile des Ackerbodens enthalten sind, das Nährkapital
für die Pflanzen mithin dnrch sie nicht angetastet und verändert wird. Die
Pflege und den Schutz solcher Gewerbszweige wird jede weise Regierung sich
angelegen sein lassen, soweit dies ohne Schaden bei andern Interessen irgend
möglich ist. Zu jenen "idealen Gewerben" der Landwirtschaft zählt nun mit
der Spiritusbrennerei, der Stärke- und der Stärkezuckerfabrikation auch die Er¬
zeugung von Rübenzucker. Indes darf man letztere erst seit einigen Jahren
als hierher gehörig betrachten, d. h. seitdem es gelungen ist, aus den letzten
Rückständen der Zuckerfabrikation, der Melasse, nicht sowohl den darin noch
sitzenden Zucker als solchen zu gewinnen, als vielmehr die darin enthaltenen
Salze und stickstoffhaltigen Bestandteile auszuscheiden und dem Boden wieder
zuzuführen. Dieser Zweck hat Scheibler bei seinen verdienstvollen Arbeiten für
die Begründung des Elutionsverfahreus stets vorschwebt. Schon 1872 bemerkte
er in seiner Zeitschrift: "Es ist nicht der kleinste Vorzug des ElutivnsverfahrenS,
daß die bisher mit der Melasse verkauften und so den Ackern entfremdete"
Bodcnbestandteile und Stickstosfverbiudungen diesen wiedergegeben werden können."
Und 1877 sagte er in demselben Blatte: "Bei meinen Bestrebungen, ein Verfahren
zur Gewinnung des in der Melasse verloren gehenden Zuckers zu ermitteln, hat
mich nicht der eigentliche Zuckergewiuu gereizt, sondern der Wunsch, die Pflcmzeu-
nährstvffe, welche mit den Rübeucrnteu entnommen find, dem Boden wieder zu¬
zuführen. Ich hatte es immer lebhaft bedauert, daß so kolossale Mengen von
Melasse ins Ausland gingen -- nicht des Zuckers, sondern der Nübenboden-
bestcmdteile wegen." "In der That ist es für die deutsche Zuckeriudustrie
-- lesen wir in seiner neuesten Abhandlung -- und für deren Zukunft weit weniger
wichtig, noch den Zucker zu gewinnen, der in den Melassen enthalten ist, als
die in diesem Abfallprodukte verbliebenen Düngerbestandteile in die Ackerkrume


Die Zuckersteuer und ihre Reform.

gerade jetzt nicht, wie vorgeschlagen worden ist, seinen Zuckerrübenbau einschränken,
sondern mit allem Eifer darauf hinarbeiten, den Weltmarkt mit seinem Zucker
zu füllen. Jene Krisen werden wiederkehren, aber umso eher und umso stärker,
je mehr der Melafscentzuckeruug Schwierigkeiten in den Weg gelegt werden.

Schließlich spricht noch eine Thatsache gegen die Melasfcsteucr: sie beein¬
trächtigt die Landwirtschaft. Bei der Erörterung der neuen Zuckerfteuervorlage,
über welche der Reichstag in diesem Frühjahr zu beschließen hatte, ist weder
von Rednern in jener Versammlung noch von Stimmen in der Presse des
wichtigen Umstandes gedacht worden, daß die Mclasseindnstrie nicht so sehr die
Zuckcrgcwiuuung als die Rückgewinnung der in den Melasseu cuthnlteueu wert¬
vollen Düngestoffe zum Hauptzwecke hat. Wir werden dies daher mit einiger
Ausführlichkeit besprechen müssen.

Unter den landwirtschaftlichen Gewerben find einige, welche man mit
Scheibler als „ideale Gewerbe" bezeichnen kann, weil die Erzeugnisse derselben
nur durch Kondensirung von Luftbcstandteilen (Kohlensäure, Wasser) bestehen,
in ihnen also keine Bestandteile des Ackerbodens enthalten sind, das Nährkapital
für die Pflanzen mithin dnrch sie nicht angetastet und verändert wird. Die
Pflege und den Schutz solcher Gewerbszweige wird jede weise Regierung sich
angelegen sein lassen, soweit dies ohne Schaden bei andern Interessen irgend
möglich ist. Zu jenen „idealen Gewerben" der Landwirtschaft zählt nun mit
der Spiritusbrennerei, der Stärke- und der Stärkezuckerfabrikation auch die Er¬
zeugung von Rübenzucker. Indes darf man letztere erst seit einigen Jahren
als hierher gehörig betrachten, d. h. seitdem es gelungen ist, aus den letzten
Rückständen der Zuckerfabrikation, der Melasse, nicht sowohl den darin noch
sitzenden Zucker als solchen zu gewinnen, als vielmehr die darin enthaltenen
Salze und stickstoffhaltigen Bestandteile auszuscheiden und dem Boden wieder
zuzuführen. Dieser Zweck hat Scheibler bei seinen verdienstvollen Arbeiten für
die Begründung des Elutionsverfahreus stets vorschwebt. Schon 1872 bemerkte
er in seiner Zeitschrift: „Es ist nicht der kleinste Vorzug des ElutivnsverfahrenS,
daß die bisher mit der Melasse verkauften und so den Ackern entfremdete»
Bodcnbestandteile und Stickstosfverbiudungen diesen wiedergegeben werden können."
Und 1877 sagte er in demselben Blatte: „Bei meinen Bestrebungen, ein Verfahren
zur Gewinnung des in der Melasse verloren gehenden Zuckers zu ermitteln, hat
mich nicht der eigentliche Zuckergewiuu gereizt, sondern der Wunsch, die Pflcmzeu-
nährstvffe, welche mit den Rübeucrnteu entnommen find, dem Boden wieder zu¬
zuführen. Ich hatte es immer lebhaft bedauert, daß so kolossale Mengen von
Melasse ins Ausland gingen — nicht des Zuckers, sondern der Nübenboden-
bestcmdteile wegen." „In der That ist es für die deutsche Zuckeriudustrie
— lesen wir in seiner neuesten Abhandlung — und für deren Zukunft weit weniger
wichtig, noch den Zucker zu gewinnen, der in den Melassen enthalten ist, als
die in diesem Abfallprodukte verbliebenen Düngerbestandteile in die Ackerkrume


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[0111] Die Zuckersteuer und ihre Reform. gerade jetzt nicht, wie vorgeschlagen worden ist, seinen Zuckerrübenbau einschränken, sondern mit allem Eifer darauf hinarbeiten, den Weltmarkt mit seinem Zucker zu füllen. Jene Krisen werden wiederkehren, aber umso eher und umso stärker, je mehr der Melafscentzuckeruug Schwierigkeiten in den Weg gelegt werden. Schließlich spricht noch eine Thatsache gegen die Melasfcsteucr: sie beein¬ trächtigt die Landwirtschaft. Bei der Erörterung der neuen Zuckerfteuervorlage, über welche der Reichstag in diesem Frühjahr zu beschließen hatte, ist weder von Rednern in jener Versammlung noch von Stimmen in der Presse des wichtigen Umstandes gedacht worden, daß die Mclasseindnstrie nicht so sehr die Zuckcrgcwiuuung als die Rückgewinnung der in den Melasseu cuthnlteueu wert¬ vollen Düngestoffe zum Hauptzwecke hat. Wir werden dies daher mit einiger Ausführlichkeit besprechen müssen. Unter den landwirtschaftlichen Gewerben find einige, welche man mit Scheibler als „ideale Gewerbe" bezeichnen kann, weil die Erzeugnisse derselben nur durch Kondensirung von Luftbcstandteilen (Kohlensäure, Wasser) bestehen, in ihnen also keine Bestandteile des Ackerbodens enthalten sind, das Nährkapital für die Pflanzen mithin dnrch sie nicht angetastet und verändert wird. Die Pflege und den Schutz solcher Gewerbszweige wird jede weise Regierung sich angelegen sein lassen, soweit dies ohne Schaden bei andern Interessen irgend möglich ist. Zu jenen „idealen Gewerben" der Landwirtschaft zählt nun mit der Spiritusbrennerei, der Stärke- und der Stärkezuckerfabrikation auch die Er¬ zeugung von Rübenzucker. Indes darf man letztere erst seit einigen Jahren als hierher gehörig betrachten, d. h. seitdem es gelungen ist, aus den letzten Rückständen der Zuckerfabrikation, der Melasse, nicht sowohl den darin noch sitzenden Zucker als solchen zu gewinnen, als vielmehr die darin enthaltenen Salze und stickstoffhaltigen Bestandteile auszuscheiden und dem Boden wieder zuzuführen. Dieser Zweck hat Scheibler bei seinen verdienstvollen Arbeiten für die Begründung des Elutionsverfahreus stets vorschwebt. Schon 1872 bemerkte er in seiner Zeitschrift: „Es ist nicht der kleinste Vorzug des ElutivnsverfahrenS, daß die bisher mit der Melasse verkauften und so den Ackern entfremdete» Bodcnbestandteile und Stickstosfverbiudungen diesen wiedergegeben werden können." Und 1877 sagte er in demselben Blatte: „Bei meinen Bestrebungen, ein Verfahren zur Gewinnung des in der Melasse verloren gehenden Zuckers zu ermitteln, hat mich nicht der eigentliche Zuckergewiuu gereizt, sondern der Wunsch, die Pflcmzeu- nährstvffe, welche mit den Rübeucrnteu entnommen find, dem Boden wieder zu¬ zuführen. Ich hatte es immer lebhaft bedauert, daß so kolossale Mengen von Melasse ins Ausland gingen — nicht des Zuckers, sondern der Nübenboden- bestcmdteile wegen." „In der That ist es für die deutsche Zuckeriudustrie — lesen wir in seiner neuesten Abhandlung — und für deren Zukunft weit weniger wichtig, noch den Zucker zu gewinnen, der in den Melassen enthalten ist, als die in diesem Abfallprodukte verbliebenen Düngerbestandteile in die Ackerkrume

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198719/111>, abgerufen am 22.07.2024.