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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal.

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Unsre Ariegervereine.

Recht gehabt haben, als er nachzuweisen suchte, daß der Krieg die in einem
Volksleben vorhandenen moralischen und staatserhaltenden Kräfte steigere, der
Friede aber sie allmählich aufzehre und Selbstsucht, Parteigeist und Eigensinn
an deren Stelle setze.

Da ist nun das "Unbewußte" dem Volksgeiste zu Hilfe gekommen und
hat die Kriegervereine geschaffen. Mit ihnen sind tausend verzettelte, schwache
Einzelwirkungen befähigt worden, sich zu sammeln und sich gegenseitig zu stützen,
und infolge hiervon ist eine Nachhaltigkeit der erhaltenen guten Eindrücke er¬
zielt, an welche andernfalls garnicht zu denken gewesen wäre. Denn so ist der
Mensch ja nun einmal beschaffen: in seinem Innern lebt die Idee eines absolut
Guten, und die ganze reelle Kulturarbeit besteht darin, daß der Mensch sich
selbst die Stützen und .Haltepunkte schafft, an denen er sich, um dem Ideal nach¬
streben zu können, höher und höher emporzuarbeiten sucht. Er fühlt es wohl,
daß die im Militärdienste von ihm geforderte selbstlose Hingabe an das Ganze
ihn hebt und veredelt und dabei für einen wohlgefestigten allgemeinen Fort¬
schritt unerläßlich ist; er fühlt auch, daß die einzelnen Einflüsse, die während
der Dienstzeit auf ihn wirken, überwiegend gute, einem höhern Ideenkreise als
dem gewohnten entspringende sind; er fühlt endlich selbst das, daß diese auf
ihn geübten Einflüsse erhalten, gepflegt und weiter entwickelt werden müssen,
wenn sie ihren vollen Wert für ihn und für die Gesamtheit haben sollen.
Aber dieses in ihm vorhandene unklare Bewußtsein würde nicht stark genug
sein, um sich ohne weiteres in Gedanken und Handlungen zu übersetzen; es
würde, wenn ihm nicht fortwährend neue Nahrung zugeführt und ihm über¬
dies Gelegenheit gegeben würde, sich allmählich zu größerer Klarheit und Sclbst-
bewußtheit zu entwickeln, nach und nach seine Kraft verlieren und auf eine bloße
schattenhafte Sehnsucht zusammenschmelzen, die zwar nnter Umständen auch ihre"
Wert haben, aber doch nur auf langen, mühsamen Wegen wieder zur Aktion
gebracht werde" könnte. Hier aber, in der bleibenden Bereinigung der Genossen,
in der Pflege und steten Wiederauffrischung der alten Reminiscenzen, in der
hohen Begünstigung, welche hier der ohnehin beim Menschen vorhandnen Nei¬
gung, die Schattenseiten zu vergessen und die Lichtseiten rosig zu verkläre", zu
Teil wird, da kräftigt, schärft und klärt sich die instinktive Auffassung, welche
der Einzelne von seiner Stellung im Ganzen und von seinen alles andre
zurückdrängenden Pflichten gegen dasselbe gewonnen hat. Die innere Berechtigung
und Unerläßlichkeit einer scharfen Disziplin, die Notwendigkeit rücksichtsloser Ein¬
setzung des Lebens, selbst für den Landwehrmann, der Weib und Kind und gesicherte
bürgerliche Stellung daheim hat, die Unumgänglichkeit der Ertragung von
Beschwerden und Entbehrungen, die leidige Einsicht endlich, daß nun einmal
nichts menschliches vollkommen sei: das alles rückt dem Angehörigen eines solchen
bleibenden Verbandes nicht minder immer näher wie der warme nationale,
staatliche und monarchische Gedanke, die Erinnerung an viele Fürsorge und


Unsre Ariegervereine.

Recht gehabt haben, als er nachzuweisen suchte, daß der Krieg die in einem
Volksleben vorhandenen moralischen und staatserhaltenden Kräfte steigere, der
Friede aber sie allmählich aufzehre und Selbstsucht, Parteigeist und Eigensinn
an deren Stelle setze.

Da ist nun das „Unbewußte" dem Volksgeiste zu Hilfe gekommen und
hat die Kriegervereine geschaffen. Mit ihnen sind tausend verzettelte, schwache
Einzelwirkungen befähigt worden, sich zu sammeln und sich gegenseitig zu stützen,
und infolge hiervon ist eine Nachhaltigkeit der erhaltenen guten Eindrücke er¬
zielt, an welche andernfalls garnicht zu denken gewesen wäre. Denn so ist der
Mensch ja nun einmal beschaffen: in seinem Innern lebt die Idee eines absolut
Guten, und die ganze reelle Kulturarbeit besteht darin, daß der Mensch sich
selbst die Stützen und .Haltepunkte schafft, an denen er sich, um dem Ideal nach¬
streben zu können, höher und höher emporzuarbeiten sucht. Er fühlt es wohl,
daß die im Militärdienste von ihm geforderte selbstlose Hingabe an das Ganze
ihn hebt und veredelt und dabei für einen wohlgefestigten allgemeinen Fort¬
schritt unerläßlich ist; er fühlt auch, daß die einzelnen Einflüsse, die während
der Dienstzeit auf ihn wirken, überwiegend gute, einem höhern Ideenkreise als
dem gewohnten entspringende sind; er fühlt endlich selbst das, daß diese auf
ihn geübten Einflüsse erhalten, gepflegt und weiter entwickelt werden müssen,
wenn sie ihren vollen Wert für ihn und für die Gesamtheit haben sollen.
Aber dieses in ihm vorhandene unklare Bewußtsein würde nicht stark genug
sein, um sich ohne weiteres in Gedanken und Handlungen zu übersetzen; es
würde, wenn ihm nicht fortwährend neue Nahrung zugeführt und ihm über¬
dies Gelegenheit gegeben würde, sich allmählich zu größerer Klarheit und Sclbst-
bewußtheit zu entwickeln, nach und nach seine Kraft verlieren und auf eine bloße
schattenhafte Sehnsucht zusammenschmelzen, die zwar nnter Umständen auch ihre»
Wert haben, aber doch nur auf langen, mühsamen Wegen wieder zur Aktion
gebracht werde» könnte. Hier aber, in der bleibenden Bereinigung der Genossen,
in der Pflege und steten Wiederauffrischung der alten Reminiscenzen, in der
hohen Begünstigung, welche hier der ohnehin beim Menschen vorhandnen Nei¬
gung, die Schattenseiten zu vergessen und die Lichtseiten rosig zu verkläre», zu
Teil wird, da kräftigt, schärft und klärt sich die instinktive Auffassung, welche
der Einzelne von seiner Stellung im Ganzen und von seinen alles andre
zurückdrängenden Pflichten gegen dasselbe gewonnen hat. Die innere Berechtigung
und Unerläßlichkeit einer scharfen Disziplin, die Notwendigkeit rücksichtsloser Ein¬
setzung des Lebens, selbst für den Landwehrmann, der Weib und Kind und gesicherte
bürgerliche Stellung daheim hat, die Unumgänglichkeit der Ertragung von
Beschwerden und Entbehrungen, die leidige Einsicht endlich, daß nun einmal
nichts menschliches vollkommen sei: das alles rückt dem Angehörigen eines solchen
bleibenden Verbandes nicht minder immer näher wie der warme nationale,
staatliche und monarchische Gedanke, die Erinnerung an viele Fürsorge und


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[0072] Unsre Ariegervereine. Recht gehabt haben, als er nachzuweisen suchte, daß der Krieg die in einem Volksleben vorhandenen moralischen und staatserhaltenden Kräfte steigere, der Friede aber sie allmählich aufzehre und Selbstsucht, Parteigeist und Eigensinn an deren Stelle setze. Da ist nun das „Unbewußte" dem Volksgeiste zu Hilfe gekommen und hat die Kriegervereine geschaffen. Mit ihnen sind tausend verzettelte, schwache Einzelwirkungen befähigt worden, sich zu sammeln und sich gegenseitig zu stützen, und infolge hiervon ist eine Nachhaltigkeit der erhaltenen guten Eindrücke er¬ zielt, an welche andernfalls garnicht zu denken gewesen wäre. Denn so ist der Mensch ja nun einmal beschaffen: in seinem Innern lebt die Idee eines absolut Guten, und die ganze reelle Kulturarbeit besteht darin, daß der Mensch sich selbst die Stützen und .Haltepunkte schafft, an denen er sich, um dem Ideal nach¬ streben zu können, höher und höher emporzuarbeiten sucht. Er fühlt es wohl, daß die im Militärdienste von ihm geforderte selbstlose Hingabe an das Ganze ihn hebt und veredelt und dabei für einen wohlgefestigten allgemeinen Fort¬ schritt unerläßlich ist; er fühlt auch, daß die einzelnen Einflüsse, die während der Dienstzeit auf ihn wirken, überwiegend gute, einem höhern Ideenkreise als dem gewohnten entspringende sind; er fühlt endlich selbst das, daß diese auf ihn geübten Einflüsse erhalten, gepflegt und weiter entwickelt werden müssen, wenn sie ihren vollen Wert für ihn und für die Gesamtheit haben sollen. Aber dieses in ihm vorhandene unklare Bewußtsein würde nicht stark genug sein, um sich ohne weiteres in Gedanken und Handlungen zu übersetzen; es würde, wenn ihm nicht fortwährend neue Nahrung zugeführt und ihm über¬ dies Gelegenheit gegeben würde, sich allmählich zu größerer Klarheit und Sclbst- bewußtheit zu entwickeln, nach und nach seine Kraft verlieren und auf eine bloße schattenhafte Sehnsucht zusammenschmelzen, die zwar nnter Umständen auch ihre» Wert haben, aber doch nur auf langen, mühsamen Wegen wieder zur Aktion gebracht werde» könnte. Hier aber, in der bleibenden Bereinigung der Genossen, in der Pflege und steten Wiederauffrischung der alten Reminiscenzen, in der hohen Begünstigung, welche hier der ohnehin beim Menschen vorhandnen Nei¬ gung, die Schattenseiten zu vergessen und die Lichtseiten rosig zu verkläre», zu Teil wird, da kräftigt, schärft und klärt sich die instinktive Auffassung, welche der Einzelne von seiner Stellung im Ganzen und von seinen alles andre zurückdrängenden Pflichten gegen dasselbe gewonnen hat. Die innere Berechtigung und Unerläßlichkeit einer scharfen Disziplin, die Notwendigkeit rücksichtsloser Ein¬ setzung des Lebens, selbst für den Landwehrmann, der Weib und Kind und gesicherte bürgerliche Stellung daheim hat, die Unumgänglichkeit der Ertragung von Beschwerden und Entbehrungen, die leidige Einsicht endlich, daß nun einmal nichts menschliches vollkommen sei: das alles rückt dem Angehörigen eines solchen bleibenden Verbandes nicht minder immer näher wie der warme nationale, staatliche und monarchische Gedanke, die Erinnerung an viele Fürsorge und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198065/72>, abgerufen am 26.07.2024.