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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal.

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und mündlich, die prachtvollsten Worte vorbringen, und an Effekt wird es den¬
selben gewiß auch nicht fehlen. Aber für die Masse würde, wenn die Staats¬
gewalt und der altgewohnte Respekt vor ihr uicht wäre, und wenn die tausend
Einflüsse unwirksam geworden wären, welche heute aus den gebildeten, geistig
und gemütlich angeregten Klassen ans das Volk überstrahlen, mit alledem nichts
auszurichten sein. Die Masse würde auf alle diese hohen und schönen Worte
mit Hohngelächter antworten: "Und dafür soll ich mich totschießen lassen?"

Es existirt nun ein Punkt, von dem aus in altpreußischen Landen die
Massen schon längst in Bewegung zu setzen, mit einer volkstümlichen Form
nationaler und patriotischer Begeisterung zu erfüllen waren; das ist eben die
spezifisch altpreußische königstreue Gesinnung. Gewiß, diese in Jahrhunderten
großgezogene moralische Kraft war es, welche die Freiheitskriege ermöglichte,
welche die nordöstlichen Armeekorps zu den recht eigentlichen Trägern des
militärischen Geistes in Preußen machte, welche auch heute noch ein starkes
Gegengewicht gegen mancherlei, allmählich auch in das Heer eingedrungene
demokratisireude und selbst sozmldcmokratische Tendenzen bildet. Dazu ist, wie
gewiß nicht geleugnet werden soll, in neuester Zeit ein gewisses Maß nationalen
Selbstbewußtseins getreten, dasselbe mag bei unsern West- und süddeutschen Sol¬
daten eine ähnliche, jedoch immerhin wohl schwächere Grundlage persönlicher, di¬
rekter Zuverlässigkeit des einzelnen Mannes (natürlich nicht hinsichtlich der all¬
täglichen Fälle, souderu mir hinsichtlich solcher, wo eine stete, bewußte und freudige
Selbstaufopferung verlangt wird) gewähre", wie solche bei den altpreußischen
Regimentern von jener strammen, traditionellen Königstreue genährt wird, die
schon die Sachsen und die Rheinländer nicht mehr, die Schlesier nur teilweise
besitzen. Aber mau überschätze weder das eine noch das andre. Das Alt-
preußentum wird allmählich von der fortschreitenden Bildung an- und auf¬
gefressen, und das Nationalbewußtsein des geringen Mannes ist gleichfalls eine
Sache, welche eigentlich am besten im Schoße einer gewissen Zurückgebliebenheit,
ja man kann geradezu sagen der Unkultur gedeiht; zudem ist dieses Bewußtsein
ein Pflänzchen, welches eben auch gepflegt werden und laugsam großwachsen
muß, und bei uns ist Jahrhunderte lang nicht im Sinne einer solchen Pflege,
sondern eher im entgegengesetzten Sinne ans das Volk gewirkt worden. Noch
um das Jahr 1866 konnte man in süddeutschen Blättern lesen, die Süddeutschen
stünden eigentlich in Bezug auf Kultur und Lebensanschauungen den Franzosen
näher als den Norddeutschen; die bessere Jngend im Badischen und Würtem-
bergischen wußte noch in den sechziger Jahren sehr viel von deu Marschällen
des ersten französischen Kaiserreiches, aber sehr wenig von Blücher, Scharnhorst,
Jork und Gneisenau, und das Wort "Veteran" war damals in diesem Teile
Deutschlands uoch gleichbedeutend mit "alter Sausbruder." In den meisten
andern Teilen Deutschlands war es nicht viel besser, in manchen, so namentlich
in Hannover und in gewissem Sinne auch in Baiern, auch in den Hansestädten,


und mündlich, die prachtvollsten Worte vorbringen, und an Effekt wird es den¬
selben gewiß auch nicht fehlen. Aber für die Masse würde, wenn die Staats¬
gewalt und der altgewohnte Respekt vor ihr uicht wäre, und wenn die tausend
Einflüsse unwirksam geworden wären, welche heute aus den gebildeten, geistig
und gemütlich angeregten Klassen ans das Volk überstrahlen, mit alledem nichts
auszurichten sein. Die Masse würde auf alle diese hohen und schönen Worte
mit Hohngelächter antworten: „Und dafür soll ich mich totschießen lassen?"

Es existirt nun ein Punkt, von dem aus in altpreußischen Landen die
Massen schon längst in Bewegung zu setzen, mit einer volkstümlichen Form
nationaler und patriotischer Begeisterung zu erfüllen waren; das ist eben die
spezifisch altpreußische königstreue Gesinnung. Gewiß, diese in Jahrhunderten
großgezogene moralische Kraft war es, welche die Freiheitskriege ermöglichte,
welche die nordöstlichen Armeekorps zu den recht eigentlichen Trägern des
militärischen Geistes in Preußen machte, welche auch heute noch ein starkes
Gegengewicht gegen mancherlei, allmählich auch in das Heer eingedrungene
demokratisireude und selbst sozmldcmokratische Tendenzen bildet. Dazu ist, wie
gewiß nicht geleugnet werden soll, in neuester Zeit ein gewisses Maß nationalen
Selbstbewußtseins getreten, dasselbe mag bei unsern West- und süddeutschen Sol¬
daten eine ähnliche, jedoch immerhin wohl schwächere Grundlage persönlicher, di¬
rekter Zuverlässigkeit des einzelnen Mannes (natürlich nicht hinsichtlich der all¬
täglichen Fälle, souderu mir hinsichtlich solcher, wo eine stete, bewußte und freudige
Selbstaufopferung verlangt wird) gewähre», wie solche bei den altpreußischen
Regimentern von jener strammen, traditionellen Königstreue genährt wird, die
schon die Sachsen und die Rheinländer nicht mehr, die Schlesier nur teilweise
besitzen. Aber mau überschätze weder das eine noch das andre. Das Alt-
preußentum wird allmählich von der fortschreitenden Bildung an- und auf¬
gefressen, und das Nationalbewußtsein des geringen Mannes ist gleichfalls eine
Sache, welche eigentlich am besten im Schoße einer gewissen Zurückgebliebenheit,
ja man kann geradezu sagen der Unkultur gedeiht; zudem ist dieses Bewußtsein
ein Pflänzchen, welches eben auch gepflegt werden und laugsam großwachsen
muß, und bei uns ist Jahrhunderte lang nicht im Sinne einer solchen Pflege,
sondern eher im entgegengesetzten Sinne ans das Volk gewirkt worden. Noch
um das Jahr 1866 konnte man in süddeutschen Blättern lesen, die Süddeutschen
stünden eigentlich in Bezug auf Kultur und Lebensanschauungen den Franzosen
näher als den Norddeutschen; die bessere Jngend im Badischen und Würtem-
bergischen wußte noch in den sechziger Jahren sehr viel von deu Marschällen
des ersten französischen Kaiserreiches, aber sehr wenig von Blücher, Scharnhorst,
Jork und Gneisenau, und das Wort „Veteran" war damals in diesem Teile
Deutschlands uoch gleichbedeutend mit „alter Sausbruder." In den meisten
andern Teilen Deutschlands war es nicht viel besser, in manchen, so namentlich
in Hannover und in gewissem Sinne auch in Baiern, auch in den Hansestädten,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198065/70>, abgerufen am 25.07.2024.