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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal.

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Unsre Ariegervereine.

verächtliche Behandlung, wie sie dem englischen, auch dem französischen Soldaten
immer noch so häufig zu Teil wird, hat auch der gemeine deutsche Soldat
gegenwärtig nirgendwo mehr zu befürchten. Das alles will sehr viel heißen,
und auch das mag wahr sein, daß schon die bloße Kommisverpflegung für
manchen armen Burschen aus Oberschlesien oder Masuren eine bessere ist, als
er sie je vorher gehabt hat; zu geschweige:!, daß das dürftige Geistesleben un¬
zähliger junger Burschen während der Militürzeit Anregungen und Bereiche¬
rungen erfährt, an die sonst nie zu denken gewesen wäre. Und dennoch! dennoch
ist die Militärdienstzeit eine Zeit harter Ansprüche, die an den jungen Mann
gestellt werden, vielfacher Selbstverleugnung, schwerer, uur durch das harte
"Muß" erträglich werdender Anforderungen. Die militärische Disziplin ist und
bleibt ein harter Zwang, der sich für lebhafte Naturen zu einer Art Marter
steigern kann; die Verpflegung bleibt für den, der nichts zuzusetzen hat (und
es giebt deren doch nicht wenige!), eine knappe und rauhe; das Weggcrissen-
werden ans Heimat und Familie, die Unterbrechung des Berufes bleiben furcht¬
bare Lasten, unter denen schon mancher zusammengebrochen ist. Dabei steht im
Hintergründe doch immer die Möglichkeit des Krieges und des "Totgeschvssen-
werdens." Man verschone uns hier gütigst mit Redensarten von "nationalem
Bewußtsein," von "kriegerischer Anlage unsers Volkes," von "schönem Tode
fürs Vaterland" ?c,; wenn die Sache mit dein gemacht werden müßte, was der
einfache junge Dnrchschnittsmann aus dem Volke von allen diesen schönen Dingen
in sich selbst trägt, so würde es mit unsrer staatlichen und nationalen Herrlich¬
keit sehr dünn bestellt sein. Der gewaltige Zwang des Staates und die den
gebildeten Teil des Volkes durchwehenden Überzeugungen und Ideen sind es,
wodurch auch der einfachste, kälteste Bursche vom Lande oder aus städtischen
Arbeiterquartieren mit fortgerissen werden muß, und wodurch manche dieser
Burschen freudig, andre gleichgiltig, noch andre widerwillig sich fortreißen
lasten ; aber man sei versichert, daß im sozialdemokratischen Staate der Zwang
der Umstände schon ein ganz außerordentlicher sein müßte, um bei freier, ge¬
heimer Abstimmung ein Votum der zum Auszuge bestimmten jungen Mannschaft
sür den Krieg herbeizuführen. Man kann ohne Zweifel trefflich darlegen, daß
Staat und Volk Einheiten bilden, die auch als solche einmal aktionsfähig sein
müssen, daß ein Großstaat allerdings (auch in Bezug auf die Möglichkeit ge¬
fahrvoller Kriege) größere Lasten auferlegt, aber doch schließlich einem preis-
gegebenen kleinern Staatswesen vorzuziehen ist, daß es Verhältnisse giebt, denen
gegenüber alle andern Rücksichten schweigen müssen, daß selbst solche Forderungen
des Staatslebens, welche dem einfachen Manne schwer begreiflich zu machen
sind, vom Standpunkte einer gereifteren Einsicht als unausweislich zu bezeichnen
sein können, und daß endlich, wo die staatliche und nationale Unabhängigkeit
in Frage kommt, absolut kein Opfer zu hoch ist -- "wohlfeiler kaufen wir die
Freiheit als die Knechtschaft ein." Über alle diese Dinge lassen sich, schriftlich


Unsre Ariegervereine.

verächtliche Behandlung, wie sie dem englischen, auch dem französischen Soldaten
immer noch so häufig zu Teil wird, hat auch der gemeine deutsche Soldat
gegenwärtig nirgendwo mehr zu befürchten. Das alles will sehr viel heißen,
und auch das mag wahr sein, daß schon die bloße Kommisverpflegung für
manchen armen Burschen aus Oberschlesien oder Masuren eine bessere ist, als
er sie je vorher gehabt hat; zu geschweige:!, daß das dürftige Geistesleben un¬
zähliger junger Burschen während der Militürzeit Anregungen und Bereiche¬
rungen erfährt, an die sonst nie zu denken gewesen wäre. Und dennoch! dennoch
ist die Militärdienstzeit eine Zeit harter Ansprüche, die an den jungen Mann
gestellt werden, vielfacher Selbstverleugnung, schwerer, uur durch das harte
„Muß" erträglich werdender Anforderungen. Die militärische Disziplin ist und
bleibt ein harter Zwang, der sich für lebhafte Naturen zu einer Art Marter
steigern kann; die Verpflegung bleibt für den, der nichts zuzusetzen hat (und
es giebt deren doch nicht wenige!), eine knappe und rauhe; das Weggcrissen-
werden ans Heimat und Familie, die Unterbrechung des Berufes bleiben furcht¬
bare Lasten, unter denen schon mancher zusammengebrochen ist. Dabei steht im
Hintergründe doch immer die Möglichkeit des Krieges und des „Totgeschvssen-
werdens." Man verschone uns hier gütigst mit Redensarten von „nationalem
Bewußtsein," von „kriegerischer Anlage unsers Volkes," von „schönem Tode
fürs Vaterland" ?c,; wenn die Sache mit dein gemacht werden müßte, was der
einfache junge Dnrchschnittsmann aus dem Volke von allen diesen schönen Dingen
in sich selbst trägt, so würde es mit unsrer staatlichen und nationalen Herrlich¬
keit sehr dünn bestellt sein. Der gewaltige Zwang des Staates und die den
gebildeten Teil des Volkes durchwehenden Überzeugungen und Ideen sind es,
wodurch auch der einfachste, kälteste Bursche vom Lande oder aus städtischen
Arbeiterquartieren mit fortgerissen werden muß, und wodurch manche dieser
Burschen freudig, andre gleichgiltig, noch andre widerwillig sich fortreißen
lasten ; aber man sei versichert, daß im sozialdemokratischen Staate der Zwang
der Umstände schon ein ganz außerordentlicher sein müßte, um bei freier, ge¬
heimer Abstimmung ein Votum der zum Auszuge bestimmten jungen Mannschaft
sür den Krieg herbeizuführen. Man kann ohne Zweifel trefflich darlegen, daß
Staat und Volk Einheiten bilden, die auch als solche einmal aktionsfähig sein
müssen, daß ein Großstaat allerdings (auch in Bezug auf die Möglichkeit ge¬
fahrvoller Kriege) größere Lasten auferlegt, aber doch schließlich einem preis-
gegebenen kleinern Staatswesen vorzuziehen ist, daß es Verhältnisse giebt, denen
gegenüber alle andern Rücksichten schweigen müssen, daß selbst solche Forderungen
des Staatslebens, welche dem einfachen Manne schwer begreiflich zu machen
sind, vom Standpunkte einer gereifteren Einsicht als unausweislich zu bezeichnen
sein können, und daß endlich, wo die staatliche und nationale Unabhängigkeit
in Frage kommt, absolut kein Opfer zu hoch ist — „wohlfeiler kaufen wir die
Freiheit als die Knechtschaft ein." Über alle diese Dinge lassen sich, schriftlich


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[0069] Unsre Ariegervereine. verächtliche Behandlung, wie sie dem englischen, auch dem französischen Soldaten immer noch so häufig zu Teil wird, hat auch der gemeine deutsche Soldat gegenwärtig nirgendwo mehr zu befürchten. Das alles will sehr viel heißen, und auch das mag wahr sein, daß schon die bloße Kommisverpflegung für manchen armen Burschen aus Oberschlesien oder Masuren eine bessere ist, als er sie je vorher gehabt hat; zu geschweige:!, daß das dürftige Geistesleben un¬ zähliger junger Burschen während der Militürzeit Anregungen und Bereiche¬ rungen erfährt, an die sonst nie zu denken gewesen wäre. Und dennoch! dennoch ist die Militärdienstzeit eine Zeit harter Ansprüche, die an den jungen Mann gestellt werden, vielfacher Selbstverleugnung, schwerer, uur durch das harte „Muß" erträglich werdender Anforderungen. Die militärische Disziplin ist und bleibt ein harter Zwang, der sich für lebhafte Naturen zu einer Art Marter steigern kann; die Verpflegung bleibt für den, der nichts zuzusetzen hat (und es giebt deren doch nicht wenige!), eine knappe und rauhe; das Weggcrissen- werden ans Heimat und Familie, die Unterbrechung des Berufes bleiben furcht¬ bare Lasten, unter denen schon mancher zusammengebrochen ist. Dabei steht im Hintergründe doch immer die Möglichkeit des Krieges und des „Totgeschvssen- werdens." Man verschone uns hier gütigst mit Redensarten von „nationalem Bewußtsein," von „kriegerischer Anlage unsers Volkes," von „schönem Tode fürs Vaterland" ?c,; wenn die Sache mit dein gemacht werden müßte, was der einfache junge Dnrchschnittsmann aus dem Volke von allen diesen schönen Dingen in sich selbst trägt, so würde es mit unsrer staatlichen und nationalen Herrlich¬ keit sehr dünn bestellt sein. Der gewaltige Zwang des Staates und die den gebildeten Teil des Volkes durchwehenden Überzeugungen und Ideen sind es, wodurch auch der einfachste, kälteste Bursche vom Lande oder aus städtischen Arbeiterquartieren mit fortgerissen werden muß, und wodurch manche dieser Burschen freudig, andre gleichgiltig, noch andre widerwillig sich fortreißen lasten ; aber man sei versichert, daß im sozialdemokratischen Staate der Zwang der Umstände schon ein ganz außerordentlicher sein müßte, um bei freier, ge¬ heimer Abstimmung ein Votum der zum Auszuge bestimmten jungen Mannschaft sür den Krieg herbeizuführen. Man kann ohne Zweifel trefflich darlegen, daß Staat und Volk Einheiten bilden, die auch als solche einmal aktionsfähig sein müssen, daß ein Großstaat allerdings (auch in Bezug auf die Möglichkeit ge¬ fahrvoller Kriege) größere Lasten auferlegt, aber doch schließlich einem preis- gegebenen kleinern Staatswesen vorzuziehen ist, daß es Verhältnisse giebt, denen gegenüber alle andern Rücksichten schweigen müssen, daß selbst solche Forderungen des Staatslebens, welche dem einfachen Manne schwer begreiflich zu machen sind, vom Standpunkte einer gereifteren Einsicht als unausweislich zu bezeichnen sein können, und daß endlich, wo die staatliche und nationale Unabhängigkeit in Frage kommt, absolut kein Opfer zu hoch ist — „wohlfeiler kaufen wir die Freiheit als die Knechtschaft ein." Über alle diese Dinge lassen sich, schriftlich

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198065/69>, abgerufen am 25.07.2024.