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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal.

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Unsre Kriegervereine.

als viel mehr denn als ein notwendiges Übel augesehen, und selbst in Altpreußen
hatte die Pflege des militärischen Geistes vielfach etwas forcirtes. Der moderne
und nationale Gedanke, der es als selbstverständlich hinnimmt, daß wir alles,
was wir sind und haben, dem Vaterlande schuldig sind, und der in dem
Militärdienste beides, eine Pflicht und eine Ehre, erblickt, ist ziemlich neuen
Ursprunges, und seine allgemeine Geltung ist jedenfalls erst der allerneuesten
Zeit zu verdanken; ja man gebe sich keinen Täuschungen darüber hin, daß
es mit dieser Geltung heute noch in manchen Kreisen hapert, lind daß sie in
andern sehr auf die Oberfläche beschränkt geblieben ist. Der entscheidende Schritt
ist gethan, das ist wahr; es ist dem Volke zum Bewußtsein gekommen, daß auch
diese Last getragen werden muß, und zwar soweit möglich von jedem auf eignen
Schultern, und daß, wenn es auch nicht als Schande augesehen werden darf,
wegen körperlicher Unfähigkeit vom Militärdienste freigebliebcn zu sein (weshalb
ja auch das für die preußische Landwehr zuerst vorgeschlagene Motto "Wehrlos,
ehrlos" mit Recht nicht beliebt und durch das billigere "Mit Gott für König
und Vaterland" ersetzt wurde), doch die eigne Ableistung der Militärpflicht etwas
rühmliches und schönes darstellt. Aber bei der Schwere der Lasten, welche für
den Einzelnen und für die Gesamtheit mit dem Militärwesen verknüpft sind,
erscheint es sehr wünschenswert, einen festen Punkt zu haben, von dem aus diese
patriotischen Anschauungen stetig gepflegt und in voller Kraft erhalten werden
können, und um dies bewerkstelligen zu helfen, hat das "Unbewußte" in uns
unter anderm auch die Kriegervercine ins Leben gernfei?.

Es ist wahr, daß die Militärdienstzeit allgemein aufgehört hat, eine Zeit
des Schreckens und Grausens für unsre Jugend zu sein, wie sie dies uoch bis
in dieses Jahrhundert hinein in großem Umfange war. Die schimpflichen, ge¬
wöhnlich einen schimpflichen und qualvollen Tod herbeiführender Strafen, wie
Spießrutenlaufen, haben aufgehört; rohe oder böswillige Behandlung kommt
wohl hie und da noch einmal vor, dann aber stets nur vereinzelt, und ist stets
auf einzelne Personen oder Verhältnisse zurückzuführen; die vielseitigste Fürsorge
für jeden Manu ist nicht eine bloß theoretische, sondern sie findet wirklich statt,
und unsre Offiziere haben sich längst daran gewöhnt, in der Stetigkeit und
rationellen Ausbildung dieser Fürsorge eine ihrer wichtigsten Ausgaben zu er¬
blicken. Dabei sind reichliche Lichtpunkte in das Leben des Soldaten von heute
eingestreut. Kleine Festlichkeiten, die teils der Gesamtheit des Soldatenstandes,
teils der besondern Abteilung gelten, finden alljährlich mehrmals statt; das
Manöver ist zu einer Zeit wenn auch doppelter Anstrengungen, so doch auch
tausend kleiner Erheiterungen geworden; mit Urlaub, frühzeitiger Entlassung und
dergleichen wird nicht gegeizt; die Einquartierung verläuft oft trocken, hat aber
oft auch mancherlei offene und heimliche Freuden im Gefolge. Denn, und das
ist die Hauptsache, die Stellung des ganzen Publikums zum "Soldaten" ist
eine freundliche, entgegenkommende, achtungsvolle geworden -- eine eigentlich


Unsre Kriegervereine.

als viel mehr denn als ein notwendiges Übel augesehen, und selbst in Altpreußen
hatte die Pflege des militärischen Geistes vielfach etwas forcirtes. Der moderne
und nationale Gedanke, der es als selbstverständlich hinnimmt, daß wir alles,
was wir sind und haben, dem Vaterlande schuldig sind, und der in dem
Militärdienste beides, eine Pflicht und eine Ehre, erblickt, ist ziemlich neuen
Ursprunges, und seine allgemeine Geltung ist jedenfalls erst der allerneuesten
Zeit zu verdanken; ja man gebe sich keinen Täuschungen darüber hin, daß
es mit dieser Geltung heute noch in manchen Kreisen hapert, lind daß sie in
andern sehr auf die Oberfläche beschränkt geblieben ist. Der entscheidende Schritt
ist gethan, das ist wahr; es ist dem Volke zum Bewußtsein gekommen, daß auch
diese Last getragen werden muß, und zwar soweit möglich von jedem auf eignen
Schultern, und daß, wenn es auch nicht als Schande augesehen werden darf,
wegen körperlicher Unfähigkeit vom Militärdienste freigebliebcn zu sein (weshalb
ja auch das für die preußische Landwehr zuerst vorgeschlagene Motto „Wehrlos,
ehrlos" mit Recht nicht beliebt und durch das billigere „Mit Gott für König
und Vaterland" ersetzt wurde), doch die eigne Ableistung der Militärpflicht etwas
rühmliches und schönes darstellt. Aber bei der Schwere der Lasten, welche für
den Einzelnen und für die Gesamtheit mit dem Militärwesen verknüpft sind,
erscheint es sehr wünschenswert, einen festen Punkt zu haben, von dem aus diese
patriotischen Anschauungen stetig gepflegt und in voller Kraft erhalten werden
können, und um dies bewerkstelligen zu helfen, hat das „Unbewußte" in uns
unter anderm auch die Kriegervercine ins Leben gernfei?.

Es ist wahr, daß die Militärdienstzeit allgemein aufgehört hat, eine Zeit
des Schreckens und Grausens für unsre Jugend zu sein, wie sie dies uoch bis
in dieses Jahrhundert hinein in großem Umfange war. Die schimpflichen, ge¬
wöhnlich einen schimpflichen und qualvollen Tod herbeiführender Strafen, wie
Spießrutenlaufen, haben aufgehört; rohe oder böswillige Behandlung kommt
wohl hie und da noch einmal vor, dann aber stets nur vereinzelt, und ist stets
auf einzelne Personen oder Verhältnisse zurückzuführen; die vielseitigste Fürsorge
für jeden Manu ist nicht eine bloß theoretische, sondern sie findet wirklich statt,
und unsre Offiziere haben sich längst daran gewöhnt, in der Stetigkeit und
rationellen Ausbildung dieser Fürsorge eine ihrer wichtigsten Ausgaben zu er¬
blicken. Dabei sind reichliche Lichtpunkte in das Leben des Soldaten von heute
eingestreut. Kleine Festlichkeiten, die teils der Gesamtheit des Soldatenstandes,
teils der besondern Abteilung gelten, finden alljährlich mehrmals statt; das
Manöver ist zu einer Zeit wenn auch doppelter Anstrengungen, so doch auch
tausend kleiner Erheiterungen geworden; mit Urlaub, frühzeitiger Entlassung und
dergleichen wird nicht gegeizt; die Einquartierung verläuft oft trocken, hat aber
oft auch mancherlei offene und heimliche Freuden im Gefolge. Denn, und das
ist die Hauptsache, die Stellung des ganzen Publikums zum „Soldaten" ist
eine freundliche, entgegenkommende, achtungsvolle geworden — eine eigentlich


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[0068] Unsre Kriegervereine. als viel mehr denn als ein notwendiges Übel augesehen, und selbst in Altpreußen hatte die Pflege des militärischen Geistes vielfach etwas forcirtes. Der moderne und nationale Gedanke, der es als selbstverständlich hinnimmt, daß wir alles, was wir sind und haben, dem Vaterlande schuldig sind, und der in dem Militärdienste beides, eine Pflicht und eine Ehre, erblickt, ist ziemlich neuen Ursprunges, und seine allgemeine Geltung ist jedenfalls erst der allerneuesten Zeit zu verdanken; ja man gebe sich keinen Täuschungen darüber hin, daß es mit dieser Geltung heute noch in manchen Kreisen hapert, lind daß sie in andern sehr auf die Oberfläche beschränkt geblieben ist. Der entscheidende Schritt ist gethan, das ist wahr; es ist dem Volke zum Bewußtsein gekommen, daß auch diese Last getragen werden muß, und zwar soweit möglich von jedem auf eignen Schultern, und daß, wenn es auch nicht als Schande augesehen werden darf, wegen körperlicher Unfähigkeit vom Militärdienste freigebliebcn zu sein (weshalb ja auch das für die preußische Landwehr zuerst vorgeschlagene Motto „Wehrlos, ehrlos" mit Recht nicht beliebt und durch das billigere „Mit Gott für König und Vaterland" ersetzt wurde), doch die eigne Ableistung der Militärpflicht etwas rühmliches und schönes darstellt. Aber bei der Schwere der Lasten, welche für den Einzelnen und für die Gesamtheit mit dem Militärwesen verknüpft sind, erscheint es sehr wünschenswert, einen festen Punkt zu haben, von dem aus diese patriotischen Anschauungen stetig gepflegt und in voller Kraft erhalten werden können, und um dies bewerkstelligen zu helfen, hat das „Unbewußte" in uns unter anderm auch die Kriegervercine ins Leben gernfei?. Es ist wahr, daß die Militärdienstzeit allgemein aufgehört hat, eine Zeit des Schreckens und Grausens für unsre Jugend zu sein, wie sie dies uoch bis in dieses Jahrhundert hinein in großem Umfange war. Die schimpflichen, ge¬ wöhnlich einen schimpflichen und qualvollen Tod herbeiführender Strafen, wie Spießrutenlaufen, haben aufgehört; rohe oder böswillige Behandlung kommt wohl hie und da noch einmal vor, dann aber stets nur vereinzelt, und ist stets auf einzelne Personen oder Verhältnisse zurückzuführen; die vielseitigste Fürsorge für jeden Manu ist nicht eine bloß theoretische, sondern sie findet wirklich statt, und unsre Offiziere haben sich längst daran gewöhnt, in der Stetigkeit und rationellen Ausbildung dieser Fürsorge eine ihrer wichtigsten Ausgaben zu er¬ blicken. Dabei sind reichliche Lichtpunkte in das Leben des Soldaten von heute eingestreut. Kleine Festlichkeiten, die teils der Gesamtheit des Soldatenstandes, teils der besondern Abteilung gelten, finden alljährlich mehrmals statt; das Manöver ist zu einer Zeit wenn auch doppelter Anstrengungen, so doch auch tausend kleiner Erheiterungen geworden; mit Urlaub, frühzeitiger Entlassung und dergleichen wird nicht gegeizt; die Einquartierung verläuft oft trocken, hat aber oft auch mancherlei offene und heimliche Freuden im Gefolge. Denn, und das ist die Hauptsache, die Stellung des ganzen Publikums zum „Soldaten" ist eine freundliche, entgegenkommende, achtungsvolle geworden — eine eigentlich

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198065/68>, abgerufen am 28.12.2024.