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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal.

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Line neue Kunstgeschichte des lNittclcilters,

Vorläufig fordert der Stoff aber noch keine Umarbeitung. Der Grund, welcher
Fr. v. Reder*) zu einer solchen bestimmt hat, ist die Unklarheit, welche er in
den Arbeiten seiner Vorgänger zu finden glaubt. Er sagt in der Einleitung:
"Dem Verfasser kam es darauf an, den Entwicklungsgang des Ganzen klarer
zu fassen, als er ihn in der vorliegenden Literatur vorfand." Eine Beurteilung
des Uebersehen Buches wird daher notwendig von der Anordnung des Stoffes
ausgehen müssen. "Erscheint die gegebene Gliederung nicht entsprechend und
nicht von Vorteil, so möge man auch das Übrige verurteilen," sagt der Ver¬
fasser selbst in der Einleitung, die in kurzen Zügen den der Einteilung und
Gruppirung des Stoffes zu Grunde liegenden Gedankengang skizzirt.

Was zunächst die Begrenzung des Gebietes anlangt, zieht Ueber die cilt-
chrisiliche Zeit, die er in der Einleitung als eine Verfallspcrivde der römischen
Kunst charakterisirt, in seine Darstellung herein. Auf der andern Seite rückt
er die Grenze des Mittelalters für einzelne Gebiete, insbesondre das der
niederländischen Malerei, bis in das fünfzehnte Jahrhundert hinaus. Es läßt
sich darüber streiten, ob alle von diesen Zeitgrenzen eingeschlossenen Kunstleistungen
soviel innerliche Gleichartigkeit besitzen, daß sie die gemeinsame Behandlung
unter dem Titel "mittelalterliche Kunst" rechtfertigen. Zugegeben, daß in den
altchristlichen Werken, welche die formale Tradition des Altertums dem Mittel¬
alter erhielten, auch inhaltlich -- namentlich in den darstellenden Künsten --
die Keime mittelalterlicher Kunstentwicklung liegen: konsequenterweise müßte
man sie trotzdem von einer Schilderung des eigentlichen Mittelalters trennen
oder ihnen doch nur in der Einleitung ihren Platz anweisen; auch bildet die
altchristliche Kunst ein Forschungöscld, welches in neuerer Zeit, vorwiegend von
Theologen angebaut, als christliche Archäologie an Umfang und Selbständig¬
keit derart zugenommen hat, daß eine irgendwie erschöpfende Verwertung der
hier gewonnenen Resultate ein Buch im Buche bilden würde.

Eine für die Entwicklung der mittelalterlichen Baukunst wichtige Frage auf
diesem Gebiete ist die nach der Entstehung der christliche,? Basilikenanlage. Reder
vertritt in der Diskussion eine selbständige Ansicht, die er bereits 1869 in den
"Mitteilungen der österreichischen Zentralkvmmissivn zur Erhaltung der Bau-
denkinale" begründet hat. Nach ihm ist die Privatbasilika des römischen Pa¬
lastes das Urbild des christlichen Kultraumes, eine Anschauung, die der ältern
Mcßmers in vielen Punkte" verwandt ist, auch von neuern Forschern vielfach
geteilt wird und die sicherlich hohe Wahrscheinlichkeit für sich in Anspruch
nehmen darf, nur mit der Einschränkung, daß an eine sklavische Abhängigkeit
natürlich nicht gedacht werden kann, vielmehr eine Entlehnung und selbständige
Zusammenstellung verschiedner antiken Elemente für die Zwecke des christlichen



Kunstgeschichte des Mittelalters. Von Dr. Fr. t'. Ueber. Leipzig, T. O.
Weigel, 1386. Zwei Bände. XXXIII u. 6L2 S.
Line neue Kunstgeschichte des lNittclcilters,

Vorläufig fordert der Stoff aber noch keine Umarbeitung. Der Grund, welcher
Fr. v. Reder*) zu einer solchen bestimmt hat, ist die Unklarheit, welche er in
den Arbeiten seiner Vorgänger zu finden glaubt. Er sagt in der Einleitung:
„Dem Verfasser kam es darauf an, den Entwicklungsgang des Ganzen klarer
zu fassen, als er ihn in der vorliegenden Literatur vorfand." Eine Beurteilung
des Uebersehen Buches wird daher notwendig von der Anordnung des Stoffes
ausgehen müssen. „Erscheint die gegebene Gliederung nicht entsprechend und
nicht von Vorteil, so möge man auch das Übrige verurteilen," sagt der Ver¬
fasser selbst in der Einleitung, die in kurzen Zügen den der Einteilung und
Gruppirung des Stoffes zu Grunde liegenden Gedankengang skizzirt.

Was zunächst die Begrenzung des Gebietes anlangt, zieht Ueber die cilt-
chrisiliche Zeit, die er in der Einleitung als eine Verfallspcrivde der römischen
Kunst charakterisirt, in seine Darstellung herein. Auf der andern Seite rückt
er die Grenze des Mittelalters für einzelne Gebiete, insbesondre das der
niederländischen Malerei, bis in das fünfzehnte Jahrhundert hinaus. Es läßt
sich darüber streiten, ob alle von diesen Zeitgrenzen eingeschlossenen Kunstleistungen
soviel innerliche Gleichartigkeit besitzen, daß sie die gemeinsame Behandlung
unter dem Titel „mittelalterliche Kunst" rechtfertigen. Zugegeben, daß in den
altchristlichen Werken, welche die formale Tradition des Altertums dem Mittel¬
alter erhielten, auch inhaltlich — namentlich in den darstellenden Künsten —
die Keime mittelalterlicher Kunstentwicklung liegen: konsequenterweise müßte
man sie trotzdem von einer Schilderung des eigentlichen Mittelalters trennen
oder ihnen doch nur in der Einleitung ihren Platz anweisen; auch bildet die
altchristliche Kunst ein Forschungöscld, welches in neuerer Zeit, vorwiegend von
Theologen angebaut, als christliche Archäologie an Umfang und Selbständig¬
keit derart zugenommen hat, daß eine irgendwie erschöpfende Verwertung der
hier gewonnenen Resultate ein Buch im Buche bilden würde.

Eine für die Entwicklung der mittelalterlichen Baukunst wichtige Frage auf
diesem Gebiete ist die nach der Entstehung der christliche,? Basilikenanlage. Reder
vertritt in der Diskussion eine selbständige Ansicht, die er bereits 1869 in den
„Mitteilungen der österreichischen Zentralkvmmissivn zur Erhaltung der Bau-
denkinale" begründet hat. Nach ihm ist die Privatbasilika des römischen Pa¬
lastes das Urbild des christlichen Kultraumes, eine Anschauung, die der ältern
Mcßmers in vielen Punkte» verwandt ist, auch von neuern Forschern vielfach
geteilt wird und die sicherlich hohe Wahrscheinlichkeit für sich in Anspruch
nehmen darf, nur mit der Einschränkung, daß an eine sklavische Abhängigkeit
natürlich nicht gedacht werden kann, vielmehr eine Entlehnung und selbständige
Zusammenstellung verschiedner antiken Elemente für die Zwecke des christlichen



Kunstgeschichte des Mittelalters. Von Dr. Fr. t'. Ueber. Leipzig, T. O.
Weigel, 1386. Zwei Bände. XXXIII u. 6L2 S.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198065/623>, abgerufen am 29.12.2024.