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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal.

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Line nciio Uunstgoschichto dos Mittelalters.

Kultus anzunehmen ist. Über den Grad der Selbständigkeit altchristlicher Kunst
wird sich aber erst dann abschließend urteilen lassen, wenn die Monumente des
christlichen Orients und Nordafrikas genügend durchforscht sind, da hier die alt¬
römische Tradition keinen so bannender Einfluß besaß wie in Italien.

Gewissermaßen das Bindeglied zwischen der altchristlichen und der mittel¬
alterlichen Kunst bildet nach älterer Anschauung die byzantinische, und es hat
Interesse, zu erfahren, welche Stellung der neueste Knnstgeschichtschreiber der
den Fachgenossen zur Genüge bekannten "byzantinischen Frage" gegenüber ein¬
nimmt. , Hatte man früher die ganze frühmittelalterliche Kunst des Occidents
kritiklos von Bhzanz abhängig gemacht, so ist seit Schnaase eine ebenso starke
Reaktion gegen diese Strömung eingetreten, als deren schroffster Vertreter wohl
A. Springer gelten darf, welcher in der französischen Zeitschrift 1/^.re 1880, vor¬
wiegend gestützt auf Kondatoffs Studien über byzantinische Miniaturmalerei,
die völlige Unabhängigkeit der abendländischen Kunst von Byzanz verteidigt.
Reder nimmt einen vermittelnden Standpunkt ein: "Byzantinische Kultur drang
im allgemeinen nicht weit über die Hofkreise hinaus und erlangte anch da nur
eine beschränkte Würdigung. Auch leitete sie sich mehr von sekundären Quellen,
wie von Ravenna oder Unteritalien, vermittelst dünner und anderweitig infizirter
Rinnsale in die westeuropäischen Kanäle." Das Eindringen byzantinischer Kunst
am sächsischen Hofe in der ottonischen Periode will der Verfasser nicht ganz
leugnen: "Freilich hatten sich diese Einflüsse nur sehr verblaßt und unverstanden
geltend gemacht und mußten sich unter dem Reifen der nationalen Selbständig¬
keit und bei dem allmählich erwachenden Bewußtsein eigner Ausdrucksformen
ans äußerliche und stückweise Aneignung beschränken." (S. 366 f.) Diesen Vor¬
gang soll man sich nicht etwa so denken, daß einzelne Schulen und Richtungen
byzantinische Art annahmen, sondern in derselben Schule byzantinisirt man in
einzelnen Darstellungen, in andern nicht. So zeigen nach Ueber die Dedikations¬
blätter und Evangelistenbilder der Bilderhandschriften engern Anschluß an byzan¬
tinische Vorbilder als die historischen Darstellungen. Dieser innerlich unwahr¬
scheinliche Vorgang, der durch keine Erscheinung der ottonischen Miniaturmalerei
schlagend bewiesen wird, dürfte kaum der Wirklichkeit entsprechen, vielmehr lassen
sich die geringen äußerlichen Analogien zwischen ottonischer und oströmischer
Kunst natürlicher aus dem Umstände erklären, daß in vielen Fällen beide aus
derselben Quelle, der altchristlichen Tradition, schöpften und überdies die höfische
Sitte in beiden Reichen ähnlichen Einfluß übte. Jedenfalls prägt der deutschen
Skulptur und Malerei des zehnten Jahrhunderts nicht dieser byzantinisircnde
Zug, sondern die retrospektive, an die karolingische Periode noch stark anklingende
Kunstrichtung ihren Charakter auf. Wenigstens ergiebt sich diese Auffassung aus
der Untersuchung der Denkmäler, deren Resultate A. Springer in dem auch von
Reder zitirten Aufsatze über die deutsche Kunst im zehnten Jahrhnnoert (West¬
deutsche Zeitschrift für Geschichte und Kunst, 1884) zusammengestellt hat. Und


Line nciio Uunstgoschichto dos Mittelalters.

Kultus anzunehmen ist. Über den Grad der Selbständigkeit altchristlicher Kunst
wird sich aber erst dann abschließend urteilen lassen, wenn die Monumente des
christlichen Orients und Nordafrikas genügend durchforscht sind, da hier die alt¬
römische Tradition keinen so bannender Einfluß besaß wie in Italien.

Gewissermaßen das Bindeglied zwischen der altchristlichen und der mittel¬
alterlichen Kunst bildet nach älterer Anschauung die byzantinische, und es hat
Interesse, zu erfahren, welche Stellung der neueste Knnstgeschichtschreiber der
den Fachgenossen zur Genüge bekannten „byzantinischen Frage" gegenüber ein¬
nimmt. , Hatte man früher die ganze frühmittelalterliche Kunst des Occidents
kritiklos von Bhzanz abhängig gemacht, so ist seit Schnaase eine ebenso starke
Reaktion gegen diese Strömung eingetreten, als deren schroffster Vertreter wohl
A. Springer gelten darf, welcher in der französischen Zeitschrift 1/^.re 1880, vor¬
wiegend gestützt auf Kondatoffs Studien über byzantinische Miniaturmalerei,
die völlige Unabhängigkeit der abendländischen Kunst von Byzanz verteidigt.
Reder nimmt einen vermittelnden Standpunkt ein: „Byzantinische Kultur drang
im allgemeinen nicht weit über die Hofkreise hinaus und erlangte anch da nur
eine beschränkte Würdigung. Auch leitete sie sich mehr von sekundären Quellen,
wie von Ravenna oder Unteritalien, vermittelst dünner und anderweitig infizirter
Rinnsale in die westeuropäischen Kanäle." Das Eindringen byzantinischer Kunst
am sächsischen Hofe in der ottonischen Periode will der Verfasser nicht ganz
leugnen: „Freilich hatten sich diese Einflüsse nur sehr verblaßt und unverstanden
geltend gemacht und mußten sich unter dem Reifen der nationalen Selbständig¬
keit und bei dem allmählich erwachenden Bewußtsein eigner Ausdrucksformen
ans äußerliche und stückweise Aneignung beschränken." (S. 366 f.) Diesen Vor¬
gang soll man sich nicht etwa so denken, daß einzelne Schulen und Richtungen
byzantinische Art annahmen, sondern in derselben Schule byzantinisirt man in
einzelnen Darstellungen, in andern nicht. So zeigen nach Ueber die Dedikations¬
blätter und Evangelistenbilder der Bilderhandschriften engern Anschluß an byzan¬
tinische Vorbilder als die historischen Darstellungen. Dieser innerlich unwahr¬
scheinliche Vorgang, der durch keine Erscheinung der ottonischen Miniaturmalerei
schlagend bewiesen wird, dürfte kaum der Wirklichkeit entsprechen, vielmehr lassen
sich die geringen äußerlichen Analogien zwischen ottonischer und oströmischer
Kunst natürlicher aus dem Umstände erklären, daß in vielen Fällen beide aus
derselben Quelle, der altchristlichen Tradition, schöpften und überdies die höfische
Sitte in beiden Reichen ähnlichen Einfluß übte. Jedenfalls prägt der deutschen
Skulptur und Malerei des zehnten Jahrhunderts nicht dieser byzantinisircnde
Zug, sondern die retrospektive, an die karolingische Periode noch stark anklingende
Kunstrichtung ihren Charakter auf. Wenigstens ergiebt sich diese Auffassung aus
der Untersuchung der Denkmäler, deren Resultate A. Springer in dem auch von
Reder zitirten Aufsatze über die deutsche Kunst im zehnten Jahrhnnoert (West¬
deutsche Zeitschrift für Geschichte und Kunst, 1884) zusammengestellt hat. Und


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[0624] Line nciio Uunstgoschichto dos Mittelalters. Kultus anzunehmen ist. Über den Grad der Selbständigkeit altchristlicher Kunst wird sich aber erst dann abschließend urteilen lassen, wenn die Monumente des christlichen Orients und Nordafrikas genügend durchforscht sind, da hier die alt¬ römische Tradition keinen so bannender Einfluß besaß wie in Italien. Gewissermaßen das Bindeglied zwischen der altchristlichen und der mittel¬ alterlichen Kunst bildet nach älterer Anschauung die byzantinische, und es hat Interesse, zu erfahren, welche Stellung der neueste Knnstgeschichtschreiber der den Fachgenossen zur Genüge bekannten „byzantinischen Frage" gegenüber ein¬ nimmt. , Hatte man früher die ganze frühmittelalterliche Kunst des Occidents kritiklos von Bhzanz abhängig gemacht, so ist seit Schnaase eine ebenso starke Reaktion gegen diese Strömung eingetreten, als deren schroffster Vertreter wohl A. Springer gelten darf, welcher in der französischen Zeitschrift 1/^.re 1880, vor¬ wiegend gestützt auf Kondatoffs Studien über byzantinische Miniaturmalerei, die völlige Unabhängigkeit der abendländischen Kunst von Byzanz verteidigt. Reder nimmt einen vermittelnden Standpunkt ein: „Byzantinische Kultur drang im allgemeinen nicht weit über die Hofkreise hinaus und erlangte anch da nur eine beschränkte Würdigung. Auch leitete sie sich mehr von sekundären Quellen, wie von Ravenna oder Unteritalien, vermittelst dünner und anderweitig infizirter Rinnsale in die westeuropäischen Kanäle." Das Eindringen byzantinischer Kunst am sächsischen Hofe in der ottonischen Periode will der Verfasser nicht ganz leugnen: „Freilich hatten sich diese Einflüsse nur sehr verblaßt und unverstanden geltend gemacht und mußten sich unter dem Reifen der nationalen Selbständig¬ keit und bei dem allmählich erwachenden Bewußtsein eigner Ausdrucksformen ans äußerliche und stückweise Aneignung beschränken." (S. 366 f.) Diesen Vor¬ gang soll man sich nicht etwa so denken, daß einzelne Schulen und Richtungen byzantinische Art annahmen, sondern in derselben Schule byzantinisirt man in einzelnen Darstellungen, in andern nicht. So zeigen nach Ueber die Dedikations¬ blätter und Evangelistenbilder der Bilderhandschriften engern Anschluß an byzan¬ tinische Vorbilder als die historischen Darstellungen. Dieser innerlich unwahr¬ scheinliche Vorgang, der durch keine Erscheinung der ottonischen Miniaturmalerei schlagend bewiesen wird, dürfte kaum der Wirklichkeit entsprechen, vielmehr lassen sich die geringen äußerlichen Analogien zwischen ottonischer und oströmischer Kunst natürlicher aus dem Umstände erklären, daß in vielen Fällen beide aus derselben Quelle, der altchristlichen Tradition, schöpften und überdies die höfische Sitte in beiden Reichen ähnlichen Einfluß übte. Jedenfalls prägt der deutschen Skulptur und Malerei des zehnten Jahrhunderts nicht dieser byzantinisircnde Zug, sondern die retrospektive, an die karolingische Periode noch stark anklingende Kunstrichtung ihren Charakter auf. Wenigstens ergiebt sich diese Auffassung aus der Untersuchung der Denkmäler, deren Resultate A. Springer in dem auch von Reder zitirten Aufsatze über die deutsche Kunst im zehnten Jahrhnnoert (West¬ deutsche Zeitschrift für Geschichte und Kunst, 1884) zusammengestellt hat. Und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198065/624>, abgerufen am 26.08.2024.