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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal.

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Line neue Aunstgeschichte des INittclaltcrs.

Arbeiten kund. Auch die neu in Angriff genommene Jnventarisirnng der ältern
Kunstdenkmäler schaffte und schafft heute noch eine Menge neuen Materials
namentlich für Deutschlands Kunstgeschichte im Mittelalter herbei. Diesem
Stoffzuwachs gegenüber sah sich die Wissenschaft zu einer Arbeitsteilung ver¬
anlaßt. Von der Erwägung ausgehend, daß die Entwicklung der einzelnen
Künste wesentlich von der Natur ihrer technischen Mittel abhängig sei, und
daher das Dogma von einem gleichzeitigen und gleichmäßigen Fortschreiten der
Architektur, Skulptur und Malerei nnr eine sehr bedingte Geltung habe, suchte
man zunächst die Spezialuntersnchnngen zu Bildern der Entwicklung einzelner
Kunstzweige zusammenzuwirken, Wvltmcmns "Geschichte der Malerei" und
Dehios "Geschichte der abendländischen Kirchenbaukunst" sind in den mittelalter¬
lichen Partien gegen Schnaases Werk gehalten der deutliche Beweis für die
rastlos vorwärtsschreitende Thätigkeit der Forschung, Nur die Geschichte der
mittelalterlichen Skulptur hat ihren Meister noch nicht gefunden.

Aber auch auf andre Weise bemächtigte man sich des immer frisch zu¬
strömenden Stoffes: Oeles zweite Auflage des "Handbuches der kirchlichen
Kunstarchäologie" (1883--85) gab für das deutsche Mittelalter eine halb
lexikalische, halb systematische Zusammenstellung der bisherigen Forschungs¬
ergebnisse, ohne dieselben in kulturhistorischen Zusammenhange zu verarbeiten.
Gleichwohl bleibt dieses Werk für den mittelalterlichen Kunsthistoriker nach wie
vor eine unschätzbare Vorarbeit.

Nicht so reich ist die Ausbeute auf den Gebieten der ausländischen Knnst-
literatur, da die Arbeitsteilung dort noch schärfer durchgeführt ist und die
Mehrzahl der mittelalterlichen Forscher ausschließlich auf kirchlich-archäologischen
Boden steht, sodaß eine geschichtliche Darstellung der mittelalterlichen Kunst
von dort kaum erwartet werden kann.

Ist eine solche nach dem heutigen Stande der Forschung notwendig? Das
ist die unwillkürliche Frage, welcher eine neue Kunstgeschichte des Mittelalters
begegnet. Ist der seit Schnaases Tod angewachsene Stoff bereits so vollständig,
daß seine Verarbeitung die Ergebnisse jener ältern Arbeit veraltet erscheinen
lassen konnte? Erheischt er eine neue Anordnung und Gruppirung der historischen
Darstellung?

Um zunächst über die erste Frage sich klar zu werden, sei darauf hin¬
gewiesen, daß auf verschiednen Gebieten mittelalterlicher Kunstforschuiig noch
lange Zeit höchst wichtige Einzelarbeiten zu unternehmen sind, ehe man an
einen vorläufigen Abschluß denken kann. Ich nenne nur die mittelalterliche
Miniaturmalerei, wo neue Forschungen fortwährend neue Überraschungen zu
Tage fördern. Oder die Skulptur, für deren Entwicklungsgeschichte im Mittel¬
alter das Material noch so gut wie uugesichtet ist. Anderseits läßt sich nicht
verkennen, daß, wenn einmal diese Lücken ausgefüllt sein werden, die Gliederung
der mittelalterlichen Kunstgeschichte allerdings stark verändert werden dürfte.


Line neue Aunstgeschichte des INittclaltcrs.

Arbeiten kund. Auch die neu in Angriff genommene Jnventarisirnng der ältern
Kunstdenkmäler schaffte und schafft heute noch eine Menge neuen Materials
namentlich für Deutschlands Kunstgeschichte im Mittelalter herbei. Diesem
Stoffzuwachs gegenüber sah sich die Wissenschaft zu einer Arbeitsteilung ver¬
anlaßt. Von der Erwägung ausgehend, daß die Entwicklung der einzelnen
Künste wesentlich von der Natur ihrer technischen Mittel abhängig sei, und
daher das Dogma von einem gleichzeitigen und gleichmäßigen Fortschreiten der
Architektur, Skulptur und Malerei nnr eine sehr bedingte Geltung habe, suchte
man zunächst die Spezialuntersnchnngen zu Bildern der Entwicklung einzelner
Kunstzweige zusammenzuwirken, Wvltmcmns „Geschichte der Malerei" und
Dehios „Geschichte der abendländischen Kirchenbaukunst" sind in den mittelalter¬
lichen Partien gegen Schnaases Werk gehalten der deutliche Beweis für die
rastlos vorwärtsschreitende Thätigkeit der Forschung, Nur die Geschichte der
mittelalterlichen Skulptur hat ihren Meister noch nicht gefunden.

Aber auch auf andre Weise bemächtigte man sich des immer frisch zu¬
strömenden Stoffes: Oeles zweite Auflage des „Handbuches der kirchlichen
Kunstarchäologie" (1883—85) gab für das deutsche Mittelalter eine halb
lexikalische, halb systematische Zusammenstellung der bisherigen Forschungs¬
ergebnisse, ohne dieselben in kulturhistorischen Zusammenhange zu verarbeiten.
Gleichwohl bleibt dieses Werk für den mittelalterlichen Kunsthistoriker nach wie
vor eine unschätzbare Vorarbeit.

Nicht so reich ist die Ausbeute auf den Gebieten der ausländischen Knnst-
literatur, da die Arbeitsteilung dort noch schärfer durchgeführt ist und die
Mehrzahl der mittelalterlichen Forscher ausschließlich auf kirchlich-archäologischen
Boden steht, sodaß eine geschichtliche Darstellung der mittelalterlichen Kunst
von dort kaum erwartet werden kann.

Ist eine solche nach dem heutigen Stande der Forschung notwendig? Das
ist die unwillkürliche Frage, welcher eine neue Kunstgeschichte des Mittelalters
begegnet. Ist der seit Schnaases Tod angewachsene Stoff bereits so vollständig,
daß seine Verarbeitung die Ergebnisse jener ältern Arbeit veraltet erscheinen
lassen konnte? Erheischt er eine neue Anordnung und Gruppirung der historischen
Darstellung?

Um zunächst über die erste Frage sich klar zu werden, sei darauf hin¬
gewiesen, daß auf verschiednen Gebieten mittelalterlicher Kunstforschuiig noch
lange Zeit höchst wichtige Einzelarbeiten zu unternehmen sind, ehe man an
einen vorläufigen Abschluß denken kann. Ich nenne nur die mittelalterliche
Miniaturmalerei, wo neue Forschungen fortwährend neue Überraschungen zu
Tage fördern. Oder die Skulptur, für deren Entwicklungsgeschichte im Mittel¬
alter das Material noch so gut wie uugesichtet ist. Anderseits läßt sich nicht
verkennen, daß, wenn einmal diese Lücken ausgefüllt sein werden, die Gliederung
der mittelalterlichen Kunstgeschichte allerdings stark verändert werden dürfte.


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[0622] Line neue Aunstgeschichte des INittclaltcrs. Arbeiten kund. Auch die neu in Angriff genommene Jnventarisirnng der ältern Kunstdenkmäler schaffte und schafft heute noch eine Menge neuen Materials namentlich für Deutschlands Kunstgeschichte im Mittelalter herbei. Diesem Stoffzuwachs gegenüber sah sich die Wissenschaft zu einer Arbeitsteilung ver¬ anlaßt. Von der Erwägung ausgehend, daß die Entwicklung der einzelnen Künste wesentlich von der Natur ihrer technischen Mittel abhängig sei, und daher das Dogma von einem gleichzeitigen und gleichmäßigen Fortschreiten der Architektur, Skulptur und Malerei nnr eine sehr bedingte Geltung habe, suchte man zunächst die Spezialuntersnchnngen zu Bildern der Entwicklung einzelner Kunstzweige zusammenzuwirken, Wvltmcmns „Geschichte der Malerei" und Dehios „Geschichte der abendländischen Kirchenbaukunst" sind in den mittelalter¬ lichen Partien gegen Schnaases Werk gehalten der deutliche Beweis für die rastlos vorwärtsschreitende Thätigkeit der Forschung, Nur die Geschichte der mittelalterlichen Skulptur hat ihren Meister noch nicht gefunden. Aber auch auf andre Weise bemächtigte man sich des immer frisch zu¬ strömenden Stoffes: Oeles zweite Auflage des „Handbuches der kirchlichen Kunstarchäologie" (1883—85) gab für das deutsche Mittelalter eine halb lexikalische, halb systematische Zusammenstellung der bisherigen Forschungs¬ ergebnisse, ohne dieselben in kulturhistorischen Zusammenhange zu verarbeiten. Gleichwohl bleibt dieses Werk für den mittelalterlichen Kunsthistoriker nach wie vor eine unschätzbare Vorarbeit. Nicht so reich ist die Ausbeute auf den Gebieten der ausländischen Knnst- literatur, da die Arbeitsteilung dort noch schärfer durchgeführt ist und die Mehrzahl der mittelalterlichen Forscher ausschließlich auf kirchlich-archäologischen Boden steht, sodaß eine geschichtliche Darstellung der mittelalterlichen Kunst von dort kaum erwartet werden kann. Ist eine solche nach dem heutigen Stande der Forschung notwendig? Das ist die unwillkürliche Frage, welcher eine neue Kunstgeschichte des Mittelalters begegnet. Ist der seit Schnaases Tod angewachsene Stoff bereits so vollständig, daß seine Verarbeitung die Ergebnisse jener ältern Arbeit veraltet erscheinen lassen konnte? Erheischt er eine neue Anordnung und Gruppirung der historischen Darstellung? Um zunächst über die erste Frage sich klar zu werden, sei darauf hin¬ gewiesen, daß auf verschiednen Gebieten mittelalterlicher Kunstforschuiig noch lange Zeit höchst wichtige Einzelarbeiten zu unternehmen sind, ehe man an einen vorläufigen Abschluß denken kann. Ich nenne nur die mittelalterliche Miniaturmalerei, wo neue Forschungen fortwährend neue Überraschungen zu Tage fördern. Oder die Skulptur, für deren Entwicklungsgeschichte im Mittel¬ alter das Material noch so gut wie uugesichtet ist. Anderseits läßt sich nicht verkennen, daß, wenn einmal diese Lücken ausgefüllt sein werden, die Gliederung der mittelalterlichen Kunstgeschichte allerdings stark verändert werden dürfte.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198065/622>, abgerufen am 26.08.2024.