Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal.Die evangelische Kirche und der Staat. und NUN auch der andre kleinere ankömmt und ruft: "Ich auch! ich auch!" Die Man könnte nun fragen, wie von jener Seite eine solche Sachlage übersehen Wie aber der Augenblick für den Antrag so ungünstig wie möglich war, Mag auch die Zahl derer nicht groß sein, welche dem vorliegenden Antrage In den Städten ist die unvorbereitete Einführung des Zivilstandsgesetzes Die evangelische Kirche und der Staat. und NUN auch der andre kleinere ankömmt und ruft: „Ich auch! ich auch!" Die Man könnte nun fragen, wie von jener Seite eine solche Sachlage übersehen Wie aber der Augenblick für den Antrag so ungünstig wie möglich war, Mag auch die Zahl derer nicht groß sein, welche dem vorliegenden Antrage In den Städten ist die unvorbereitete Einführung des Zivilstandsgesetzes <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0616" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/198682"/> <fw type="header" place="top"> Die evangelische Kirche und der Staat.</fw><lb/> <p xml:id="ID_1785" prev="#ID_1784"> und NUN auch der andre kleinere ankömmt und ruft: „Ich auch! ich auch!" Die<lb/> Antwort der Mutter sich auszudenken, ist nicht schwer.</p><lb/> <p xml:id="ID_1786"> Man könnte nun fragen, wie von jener Seite eine solche Sachlage übersehen<lb/> werden konnte, wenn man nicht wüßte, daß in jenen Kreisen das Prinzip, das<lb/> heißt eine Denkweise die Herrschaft hat, welche von theoretischen Gesichtspunkten<lb/> ausgehend die Dinge als Begriffe anzusehen liebt, eine Anschauungsweise, die<lb/> man zu einer runden und abgeschlossenen Weltanschauung für unerläßlich hält.<lb/> Aber weder Staat noch Kirche sind theoretische Dinge. Auf dem Papier aller¬<lb/> dings, in der Wirklichkeit jedoch sind es wirkliche Vereinigungen und Vertre¬<lb/> tungen, wirkliche Personen, die, mögen sie auch noch so sehr bemüht sein, ihre<lb/> Beziehungen objektiv zu regeln, doch zugleich alledem nterworfen sind, was<lb/> menschlich ist. Wenn also der Antrag auf irgendeinen Erfolg mit Bestimmtheit<lb/> rechnen konnte, so war es der der ärgerlichen Ablehnung.</p><lb/> <p xml:id="ID_1787"> Wie aber der Augenblick für den Antrag so ungünstig wie möglich war,<lb/> so giebt auch sein Inhalt zu ernsten Bedenken Anlaß. Es wird verlangt eine<lb/> größere Freiheit der evangelischen Kirche, die Rückgabe des seiner Zeit zur<lb/> Deckung der französischen Kriegskontributionen eingezogenen Kirchenvermögens<lb/> und das Recht, bei Besetzung der theologischen Lehrstühle mitwirken zu dürfen.<lb/> Ursprünglich war auch der Anspruch erhoben worden, daß der Kirche die Be¬<lb/> aufsichtigung des Religionsunterrichtes in den Schulen übertragen werde. Wie<lb/> ist man zu solchen Ansprüchen gelangt? Es ist eine nicht zutreffende und<lb/> auch nur die Oberfläche berührende Autwort, zu sagen: Das sind die Herrscher¬<lb/> geküste der evangelischen Geistlichen, von denen jeder selbst ein kleiner Papst<lb/> sein möchte; vielmehr möchte es sich empfehlen, den Antrag Hammerstein als<lb/> ein beachtenswertes Symptom anzusehen und sich klar zu machen, was ihm zu<lb/> Grunde liegt.</p><lb/> <p xml:id="ID_1788"> Mag auch die Zahl derer nicht groß sein, welche dem vorliegenden Antrage<lb/> zustimmen, welche den Zeitpunkt oder die Form für geeignet halten; seiner<lb/> Tendenz stimmt man in allen jenen Kreisen, in welchen ein lebhaftes kirchliches<lb/> Interesse vorhanden ist, unzweifelhaft zu. Besonders herrscht unter den evan¬<lb/> gelischen Geistlichen ein tiefer Unmut über die Lage, in welcher sich die evan¬<lb/> gelische Kirche dem Staate gegenüber befindet. Und dies ist ganz gleichmäßig<lb/> der Fall bei Geistlichen der verschiedensten kirchlichen Richtungen. Wir wollen,<lb/> wenn wir auf die Geschichte der letzten fünfzehn Jahre zurückschauen, nicht be¬<lb/> streikn, daß hierzu Grund vorhanden sei. Es ist in diesen Jahren viel ge¬<lb/> schehen, wodurch jene in ihren Gefühlen verletzt, in ihren Interessen geschädigt<lb/> und in ihrem Amte in Lagen versetzt wurden, die schwer zu ertragen waren.<lb/> Dies alles ist zwar nicht beabsichtigt gewesen, aber thatsächlich eingetreten, wie<lb/> denn die Dinge meist am grünen Tische oder im Gesetz- und Verordnungsblatt<lb/> ein andres Aussehen haben, als bei der praktischen Durchführung.</p><lb/> <p xml:id="ID_1789" next="#ID_1790"> In den Städten ist die unvorbereitete Einführung des Zivilstandsgesetzes</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0616]
Die evangelische Kirche und der Staat.
und NUN auch der andre kleinere ankömmt und ruft: „Ich auch! ich auch!" Die
Antwort der Mutter sich auszudenken, ist nicht schwer.
Man könnte nun fragen, wie von jener Seite eine solche Sachlage übersehen
werden konnte, wenn man nicht wüßte, daß in jenen Kreisen das Prinzip, das
heißt eine Denkweise die Herrschaft hat, welche von theoretischen Gesichtspunkten
ausgehend die Dinge als Begriffe anzusehen liebt, eine Anschauungsweise, die
man zu einer runden und abgeschlossenen Weltanschauung für unerläßlich hält.
Aber weder Staat noch Kirche sind theoretische Dinge. Auf dem Papier aller¬
dings, in der Wirklichkeit jedoch sind es wirkliche Vereinigungen und Vertre¬
tungen, wirkliche Personen, die, mögen sie auch noch so sehr bemüht sein, ihre
Beziehungen objektiv zu regeln, doch zugleich alledem nterworfen sind, was
menschlich ist. Wenn also der Antrag auf irgendeinen Erfolg mit Bestimmtheit
rechnen konnte, so war es der der ärgerlichen Ablehnung.
Wie aber der Augenblick für den Antrag so ungünstig wie möglich war,
so giebt auch sein Inhalt zu ernsten Bedenken Anlaß. Es wird verlangt eine
größere Freiheit der evangelischen Kirche, die Rückgabe des seiner Zeit zur
Deckung der französischen Kriegskontributionen eingezogenen Kirchenvermögens
und das Recht, bei Besetzung der theologischen Lehrstühle mitwirken zu dürfen.
Ursprünglich war auch der Anspruch erhoben worden, daß der Kirche die Be¬
aufsichtigung des Religionsunterrichtes in den Schulen übertragen werde. Wie
ist man zu solchen Ansprüchen gelangt? Es ist eine nicht zutreffende und
auch nur die Oberfläche berührende Autwort, zu sagen: Das sind die Herrscher¬
geküste der evangelischen Geistlichen, von denen jeder selbst ein kleiner Papst
sein möchte; vielmehr möchte es sich empfehlen, den Antrag Hammerstein als
ein beachtenswertes Symptom anzusehen und sich klar zu machen, was ihm zu
Grunde liegt.
Mag auch die Zahl derer nicht groß sein, welche dem vorliegenden Antrage
zustimmen, welche den Zeitpunkt oder die Form für geeignet halten; seiner
Tendenz stimmt man in allen jenen Kreisen, in welchen ein lebhaftes kirchliches
Interesse vorhanden ist, unzweifelhaft zu. Besonders herrscht unter den evan¬
gelischen Geistlichen ein tiefer Unmut über die Lage, in welcher sich die evan¬
gelische Kirche dem Staate gegenüber befindet. Und dies ist ganz gleichmäßig
der Fall bei Geistlichen der verschiedensten kirchlichen Richtungen. Wir wollen,
wenn wir auf die Geschichte der letzten fünfzehn Jahre zurückschauen, nicht be¬
streikn, daß hierzu Grund vorhanden sei. Es ist in diesen Jahren viel ge¬
schehen, wodurch jene in ihren Gefühlen verletzt, in ihren Interessen geschädigt
und in ihrem Amte in Lagen versetzt wurden, die schwer zu ertragen waren.
Dies alles ist zwar nicht beabsichtigt gewesen, aber thatsächlich eingetreten, wie
denn die Dinge meist am grünen Tische oder im Gesetz- und Verordnungsblatt
ein andres Aussehen haben, als bei der praktischen Durchführung.
In den Städten ist die unvorbereitete Einführung des Zivilstandsgesetzes
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