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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal.

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Die evangelische Kirche und der Staat,

Von großem Nachteil gewesen und hat zu kirchlichen Schäden geführt, die, wenn
man auf die damaligen Warnungen gehört hätte, zu vermeiden gewesen wären.
Jetzt ist es die mühsame Aufgabe der Geistlichen, langsam wieder aufzubauen,
was damals über Nacht eingerissen wurde. Auch die pekuniäre Seite ist von
Gewicht. Zwar hat man die damaligen Stelleninhaber entschädigt, zieht aber
die Entschädigung bei einem Personenwechsel zurück, ein Verfahren, dessen Be¬
rechtigung schwer einzusehen ist und das deu geistlichen Stand um ungeheure
Summen schädigt. Die Folge ist, daß die Diakonatstelleu der Städte, welche
eine wesentliche Einnahme in den Stvlgebühren hatten, heruntergegangen sind
und jetzt kaum mit Anfängern besetzt werden können, während gerade hier be¬
währte Kräfte nötig wären.

Auf dem Lande beklagt man sich über die Untergrabung der persönlichen
Autorität des Geistlichen durch Gewährung von Sclbstverwaltungsrechten an
solche, die hierfür weder reif waren, noch jemals reif sein werden. Man ver¬
kannte den Charakter der ländlichen Bevölkerung, den man am besten mit dem
trotziger Kinder vergleichen kann. Solchen Leuten wurde die Wahl zu den ver-
schiednen Kirchen- und Gemeindeämtern freigegeben -- natürlich wählte man
gerade da, wo der Einfluß des Geistlichen am nötigsten gewesen wäre, die un¬
geeignetsten Personen.

Daß der evangelischen Kirche, der Schwierigkeit wegen, welche die katho¬
lische Kirche verursachte, die Schnlinspektion entzogen wurde, empfindet man bis
zum heutigen Tage als einen Akt unverdienter Kränkung. Man macht täg¬
lich die Erfahrung, daß im eigentlichen kirchlichen Amte selten Schivierigkeiten
vorkommen, daß aber die Lokalschulinspcktion immer wieder zu Verdruß und
Streitigkeiten sührt, die das kirchliche Amt schädigen. Man verliert so die Lust
und möchte das Schulamt niederlegen, aber das Konsistorium zwingt den Geist¬
lichen, dem Staate grg.ti8 ot, krustrii weiter zu dienen. Die Superintendenten
müssen den besten Teil ihrer Kraft der Kreisschnlinspektion widmen, erhalten
dafür nicht einmal diejenigen Wegegelder, welche jeder andre Staatsbeamte be¬
anspruchen darf, und werden mit statistischen Erhebungen -- Arbeiten für Snb-
alternbcnmte, die sie selbst machen müssen, weil sie nicht in der Lage sind, sich
einen Bürcaubeamten zu halten -- matt und mürbe gemacht.

Die Maigcsetzc, der Kanzclparagraph, das Vorlnlduugsgesetz wurden der
lieben Parität wegen auf die evangelische Kirche ausgedehnt, die weder die
Kanzel gemißbraucht hatte, noch die allgemeine und nationale Bildung der Geist¬
lichen vernachlässigte. Die rennenden römischen Bischöfe wurden mit aller Zu¬
vorkommenheit behandelt, während der evangelische Geueralsuperintendcnt die
Stellung eines Rates untergeordneter Klasse einnimmt. Die Loyalität, die
Selbstverleugnung und Geduld der evangelischen Geistlichkeit hat für sie die
Folge gehabt, daß mau sie für Faktoren ansah, mit denen zu rechnen nicht
nötig sei.


Grenzboten II. 1836. 77
Die evangelische Kirche und der Staat,

Von großem Nachteil gewesen und hat zu kirchlichen Schäden geführt, die, wenn
man auf die damaligen Warnungen gehört hätte, zu vermeiden gewesen wären.
Jetzt ist es die mühsame Aufgabe der Geistlichen, langsam wieder aufzubauen,
was damals über Nacht eingerissen wurde. Auch die pekuniäre Seite ist von
Gewicht. Zwar hat man die damaligen Stelleninhaber entschädigt, zieht aber
die Entschädigung bei einem Personenwechsel zurück, ein Verfahren, dessen Be¬
rechtigung schwer einzusehen ist und das deu geistlichen Stand um ungeheure
Summen schädigt. Die Folge ist, daß die Diakonatstelleu der Städte, welche
eine wesentliche Einnahme in den Stvlgebühren hatten, heruntergegangen sind
und jetzt kaum mit Anfängern besetzt werden können, während gerade hier be¬
währte Kräfte nötig wären.

Auf dem Lande beklagt man sich über die Untergrabung der persönlichen
Autorität des Geistlichen durch Gewährung von Sclbstverwaltungsrechten an
solche, die hierfür weder reif waren, noch jemals reif sein werden. Man ver¬
kannte den Charakter der ländlichen Bevölkerung, den man am besten mit dem
trotziger Kinder vergleichen kann. Solchen Leuten wurde die Wahl zu den ver-
schiednen Kirchen- und Gemeindeämtern freigegeben — natürlich wählte man
gerade da, wo der Einfluß des Geistlichen am nötigsten gewesen wäre, die un¬
geeignetsten Personen.

Daß der evangelischen Kirche, der Schwierigkeit wegen, welche die katho¬
lische Kirche verursachte, die Schnlinspektion entzogen wurde, empfindet man bis
zum heutigen Tage als einen Akt unverdienter Kränkung. Man macht täg¬
lich die Erfahrung, daß im eigentlichen kirchlichen Amte selten Schivierigkeiten
vorkommen, daß aber die Lokalschulinspcktion immer wieder zu Verdruß und
Streitigkeiten sührt, die das kirchliche Amt schädigen. Man verliert so die Lust
und möchte das Schulamt niederlegen, aber das Konsistorium zwingt den Geist¬
lichen, dem Staate grg.ti8 ot, krustrii weiter zu dienen. Die Superintendenten
müssen den besten Teil ihrer Kraft der Kreisschnlinspektion widmen, erhalten
dafür nicht einmal diejenigen Wegegelder, welche jeder andre Staatsbeamte be¬
anspruchen darf, und werden mit statistischen Erhebungen — Arbeiten für Snb-
alternbcnmte, die sie selbst machen müssen, weil sie nicht in der Lage sind, sich
einen Bürcaubeamten zu halten — matt und mürbe gemacht.

Die Maigcsetzc, der Kanzclparagraph, das Vorlnlduugsgesetz wurden der
lieben Parität wegen auf die evangelische Kirche ausgedehnt, die weder die
Kanzel gemißbraucht hatte, noch die allgemeine und nationale Bildung der Geist¬
lichen vernachlässigte. Die rennenden römischen Bischöfe wurden mit aller Zu¬
vorkommenheit behandelt, während der evangelische Geueralsuperintendcnt die
Stellung eines Rates untergeordneter Klasse einnimmt. Die Loyalität, die
Selbstverleugnung und Geduld der evangelischen Geistlichkeit hat für sie die
Folge gehabt, daß mau sie für Faktoren ansah, mit denen zu rechnen nicht
nötig sei.


Grenzboten II. 1836. 77
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[0617] Die evangelische Kirche und der Staat, Von großem Nachteil gewesen und hat zu kirchlichen Schäden geführt, die, wenn man auf die damaligen Warnungen gehört hätte, zu vermeiden gewesen wären. Jetzt ist es die mühsame Aufgabe der Geistlichen, langsam wieder aufzubauen, was damals über Nacht eingerissen wurde. Auch die pekuniäre Seite ist von Gewicht. Zwar hat man die damaligen Stelleninhaber entschädigt, zieht aber die Entschädigung bei einem Personenwechsel zurück, ein Verfahren, dessen Be¬ rechtigung schwer einzusehen ist und das deu geistlichen Stand um ungeheure Summen schädigt. Die Folge ist, daß die Diakonatstelleu der Städte, welche eine wesentliche Einnahme in den Stvlgebühren hatten, heruntergegangen sind und jetzt kaum mit Anfängern besetzt werden können, während gerade hier be¬ währte Kräfte nötig wären. Auf dem Lande beklagt man sich über die Untergrabung der persönlichen Autorität des Geistlichen durch Gewährung von Sclbstverwaltungsrechten an solche, die hierfür weder reif waren, noch jemals reif sein werden. Man ver¬ kannte den Charakter der ländlichen Bevölkerung, den man am besten mit dem trotziger Kinder vergleichen kann. Solchen Leuten wurde die Wahl zu den ver- schiednen Kirchen- und Gemeindeämtern freigegeben — natürlich wählte man gerade da, wo der Einfluß des Geistlichen am nötigsten gewesen wäre, die un¬ geeignetsten Personen. Daß der evangelischen Kirche, der Schwierigkeit wegen, welche die katho¬ lische Kirche verursachte, die Schnlinspektion entzogen wurde, empfindet man bis zum heutigen Tage als einen Akt unverdienter Kränkung. Man macht täg¬ lich die Erfahrung, daß im eigentlichen kirchlichen Amte selten Schivierigkeiten vorkommen, daß aber die Lokalschulinspcktion immer wieder zu Verdruß und Streitigkeiten sührt, die das kirchliche Amt schädigen. Man verliert so die Lust und möchte das Schulamt niederlegen, aber das Konsistorium zwingt den Geist¬ lichen, dem Staate grg.ti8 ot, krustrii weiter zu dienen. Die Superintendenten müssen den besten Teil ihrer Kraft der Kreisschnlinspektion widmen, erhalten dafür nicht einmal diejenigen Wegegelder, welche jeder andre Staatsbeamte be¬ anspruchen darf, und werden mit statistischen Erhebungen — Arbeiten für Snb- alternbcnmte, die sie selbst machen müssen, weil sie nicht in der Lage sind, sich einen Bürcaubeamten zu halten — matt und mürbe gemacht. Die Maigcsetzc, der Kanzclparagraph, das Vorlnlduugsgesetz wurden der lieben Parität wegen auf die evangelische Kirche ausgedehnt, die weder die Kanzel gemißbraucht hatte, noch die allgemeine und nationale Bildung der Geist¬ lichen vernachlässigte. Die rennenden römischen Bischöfe wurden mit aller Zu¬ vorkommenheit behandelt, während der evangelische Geueralsuperintendcnt die Stellung eines Rates untergeordneter Klasse einnimmt. Die Loyalität, die Selbstverleugnung und Geduld der evangelischen Geistlichkeit hat für sie die Folge gehabt, daß mau sie für Faktoren ansah, mit denen zu rechnen nicht nötig sei. Grenzboten II. 1836. 77

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198065/617>, abgerufen am 26.08.2024.