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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal.

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Die evangelische Kirche und der Staat,

sind alle, oder fast alle wichtige kirchenregimentlichcn Stellen mit Männern
besetzt, die, wie man sich ausdrückt, der entschiednen Partei der kirchlichen Rechten
angehören, mag sie nun sich "konfessionell" oder "Positive Union" nennen. Das
ist mit rechten Dingen zugegangen und lag im Geiste der Zeit. Wir sind
nicht der Absicht, diese Männer anzuklagen; sie werden immer ein unentbehrlicher
Bestandteil der evangelischen Kirche bleiben. Aber so lange sie allein herrschen
und jede freiere Regung verdächtigt wird, so lange man dem presbyterialen und
Laienelement mit Mißtrauen gegenübersteht und nur das Pastorale Element
stärkt, so lange man eine Anzahl von Protesten, die man bei Fanatikern leicht
erzielen kann, für genügend hält, um eine Wahl des Gemeiudekircheurates zu
kassiren und den gewählten Mann als Ketzer zurückzuweisen, so lauge ist der
Zeitpunkt nicht gekommen, die Rechte des Staates gegenüber der evangelischen
Kirchenvrganisation zu vermindern. Es ist aber zu erwarten, daß es einmal
im Gange der ruhigen Entwicklung, ans der Kirche selbst heraus, nicht durch
weltliche Einwirkung, etwas weitherziger hergehe bei der Besetzung der obern
Ämter. Dann wird ein wachsendes Vertrauen zu den Personen, die mit einander
auf verschiedner dogmatischer Basis die Kirche bauen, ein wachsendes Vertrauen
zu der weltlichen Wissenschaft, die die religiöse Bildung nie zerstört, wohl aber
reinigt, ein besseres Verständnis des Wortes ermöglichen, "daß dem Volke die
Religion erhalten werde." Dann wird der Staat einige Schutzwehren gegen
die evangelische Kirche, die ja den Staat wieder zu Ehren gebracht hat, von
selbst aufgeben. Für jetzt wäre es nicht angebracht.




2,

Der Antrag Hammerstein ist durch den Schluß des Landtages beseitigt
worden, was begreiflichen Unwillen in jenen Kreisen hervorgerufen hat, aus denen
der Antrag hervorgegangen ist. Wenn man jedoch billig urteilt, kaun man es
dem Abgeordnetenhaus nicht verdenken, daß es nach einer langen und höchst
anstrengenden Sitzungsperiode keine Lust hatte, auf eine hoffnungslose und im
nnglinstlgsten Augenblicke vorgebrachte Sache Zeit zu verwenden.

Und in der That, der von Hammerstein gewählte Augenblick war geeignet, anch
eine Sache von größerer Dringlichkeit und weniger bestreitbarem Rechtsansprüche
zu diskreditiren. Der Staat hat mit der Kurie Frieden geschlossen, die vielen
Schwierigkeiten der Verhandlungen, die peinlichen Empfindungen aller Betei¬
ligten, die mehr oder weniger laut ausgesprochene Befürchtung, daß der geschlossene
Friede kein Friede sei -- alles dies ist noch in frischer Erinnerung. Da hält
ein Teil der konservativen Partei den Zeitpunkt für gekommen, die Ansprüche
der evangelischen Kirche ans größere staatliche Selbständigkeit geltend zu machen.
Das ist doch nicht anders, als wenn eine Mutter dem ungestümen Drängen des
einen Sohnes um des lieben Friedens willen endlich mißmutig nachgegeben hat,


Die evangelische Kirche und der Staat,

sind alle, oder fast alle wichtige kirchenregimentlichcn Stellen mit Männern
besetzt, die, wie man sich ausdrückt, der entschiednen Partei der kirchlichen Rechten
angehören, mag sie nun sich „konfessionell" oder „Positive Union" nennen. Das
ist mit rechten Dingen zugegangen und lag im Geiste der Zeit. Wir sind
nicht der Absicht, diese Männer anzuklagen; sie werden immer ein unentbehrlicher
Bestandteil der evangelischen Kirche bleiben. Aber so lange sie allein herrschen
und jede freiere Regung verdächtigt wird, so lange man dem presbyterialen und
Laienelement mit Mißtrauen gegenübersteht und nur das Pastorale Element
stärkt, so lange man eine Anzahl von Protesten, die man bei Fanatikern leicht
erzielen kann, für genügend hält, um eine Wahl des Gemeiudekircheurates zu
kassiren und den gewählten Mann als Ketzer zurückzuweisen, so lauge ist der
Zeitpunkt nicht gekommen, die Rechte des Staates gegenüber der evangelischen
Kirchenvrganisation zu vermindern. Es ist aber zu erwarten, daß es einmal
im Gange der ruhigen Entwicklung, ans der Kirche selbst heraus, nicht durch
weltliche Einwirkung, etwas weitherziger hergehe bei der Besetzung der obern
Ämter. Dann wird ein wachsendes Vertrauen zu den Personen, die mit einander
auf verschiedner dogmatischer Basis die Kirche bauen, ein wachsendes Vertrauen
zu der weltlichen Wissenschaft, die die religiöse Bildung nie zerstört, wohl aber
reinigt, ein besseres Verständnis des Wortes ermöglichen, „daß dem Volke die
Religion erhalten werde." Dann wird der Staat einige Schutzwehren gegen
die evangelische Kirche, die ja den Staat wieder zu Ehren gebracht hat, von
selbst aufgeben. Für jetzt wäre es nicht angebracht.




2,

Der Antrag Hammerstein ist durch den Schluß des Landtages beseitigt
worden, was begreiflichen Unwillen in jenen Kreisen hervorgerufen hat, aus denen
der Antrag hervorgegangen ist. Wenn man jedoch billig urteilt, kaun man es
dem Abgeordnetenhaus nicht verdenken, daß es nach einer langen und höchst
anstrengenden Sitzungsperiode keine Lust hatte, auf eine hoffnungslose und im
nnglinstlgsten Augenblicke vorgebrachte Sache Zeit zu verwenden.

Und in der That, der von Hammerstein gewählte Augenblick war geeignet, anch
eine Sache von größerer Dringlichkeit und weniger bestreitbarem Rechtsansprüche
zu diskreditiren. Der Staat hat mit der Kurie Frieden geschlossen, die vielen
Schwierigkeiten der Verhandlungen, die peinlichen Empfindungen aller Betei¬
ligten, die mehr oder weniger laut ausgesprochene Befürchtung, daß der geschlossene
Friede kein Friede sei — alles dies ist noch in frischer Erinnerung. Da hält
ein Teil der konservativen Partei den Zeitpunkt für gekommen, die Ansprüche
der evangelischen Kirche ans größere staatliche Selbständigkeit geltend zu machen.
Das ist doch nicht anders, als wenn eine Mutter dem ungestümen Drängen des
einen Sohnes um des lieben Friedens willen endlich mißmutig nachgegeben hat,


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[0615] Die evangelische Kirche und der Staat, sind alle, oder fast alle wichtige kirchenregimentlichcn Stellen mit Männern besetzt, die, wie man sich ausdrückt, der entschiednen Partei der kirchlichen Rechten angehören, mag sie nun sich „konfessionell" oder „Positive Union" nennen. Das ist mit rechten Dingen zugegangen und lag im Geiste der Zeit. Wir sind nicht der Absicht, diese Männer anzuklagen; sie werden immer ein unentbehrlicher Bestandteil der evangelischen Kirche bleiben. Aber so lange sie allein herrschen und jede freiere Regung verdächtigt wird, so lange man dem presbyterialen und Laienelement mit Mißtrauen gegenübersteht und nur das Pastorale Element stärkt, so lange man eine Anzahl von Protesten, die man bei Fanatikern leicht erzielen kann, für genügend hält, um eine Wahl des Gemeiudekircheurates zu kassiren und den gewählten Mann als Ketzer zurückzuweisen, so lauge ist der Zeitpunkt nicht gekommen, die Rechte des Staates gegenüber der evangelischen Kirchenvrganisation zu vermindern. Es ist aber zu erwarten, daß es einmal im Gange der ruhigen Entwicklung, ans der Kirche selbst heraus, nicht durch weltliche Einwirkung, etwas weitherziger hergehe bei der Besetzung der obern Ämter. Dann wird ein wachsendes Vertrauen zu den Personen, die mit einander auf verschiedner dogmatischer Basis die Kirche bauen, ein wachsendes Vertrauen zu der weltlichen Wissenschaft, die die religiöse Bildung nie zerstört, wohl aber reinigt, ein besseres Verständnis des Wortes ermöglichen, „daß dem Volke die Religion erhalten werde." Dann wird der Staat einige Schutzwehren gegen die evangelische Kirche, die ja den Staat wieder zu Ehren gebracht hat, von selbst aufgeben. Für jetzt wäre es nicht angebracht. 2, Der Antrag Hammerstein ist durch den Schluß des Landtages beseitigt worden, was begreiflichen Unwillen in jenen Kreisen hervorgerufen hat, aus denen der Antrag hervorgegangen ist. Wenn man jedoch billig urteilt, kaun man es dem Abgeordnetenhaus nicht verdenken, daß es nach einer langen und höchst anstrengenden Sitzungsperiode keine Lust hatte, auf eine hoffnungslose und im nnglinstlgsten Augenblicke vorgebrachte Sache Zeit zu verwenden. Und in der That, der von Hammerstein gewählte Augenblick war geeignet, anch eine Sache von größerer Dringlichkeit und weniger bestreitbarem Rechtsansprüche zu diskreditiren. Der Staat hat mit der Kurie Frieden geschlossen, die vielen Schwierigkeiten der Verhandlungen, die peinlichen Empfindungen aller Betei¬ ligten, die mehr oder weniger laut ausgesprochene Befürchtung, daß der geschlossene Friede kein Friede sei — alles dies ist noch in frischer Erinnerung. Da hält ein Teil der konservativen Partei den Zeitpunkt für gekommen, die Ansprüche der evangelischen Kirche ans größere staatliche Selbständigkeit geltend zu machen. Das ist doch nicht anders, als wenn eine Mutter dem ungestümen Drängen des einen Sohnes um des lieben Friedens willen endlich mißmutig nachgegeben hat,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198065/615>, abgerufen am 26.07.2024.