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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal.

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Die evangelische Uirche und der Staat.

Midlvthian, die der jetzige Premier, als er Minister geworden our, zurücknehmen
mußte. Die Zeit hat erwiesen, daß er unrichtig gedacht hat: sein unabhängiges
Bosnien wäre ein blutiges Schlachtfeld der Religionsparteien geworden, Bosnien
unter österreichischer Herrschaft erfreut sich friedlichen Gedeihens. In ähnlicher
Weise kann England in Irland den Frieden wahren. Stellt man dagegen die
dortige protestantische Minderheit unter die Katholiken, welche Neulinge in der
Regierungskunst, voll von altem Groll und stets geneigt sein würden, ihrem
Glauben den Vorrang vor dem Wohle des Landes einzuräumen, so fügt man
letzterm mehr Schaden zu, als alle Feinde desselben ihm jemals angethan haben,
so entzündet man in ihm einen ewigen Krieg, der sein Mark verzehrt.




Die evangelische Kirche und der 5>kaat/)
i.

in Anfange des Kulturkampfes fiel es einigen Schriftstellern
mit Recht auf, daß man strebte, die evangelische und die katho¬
lische Kirche unter dieselben staatlichen Gesetze zu stellen. Sie
protestirten dagegen und fanden dies Verfahren oberflächlich.
Daß die beiden Kirchen den Namen "Kirche" führen und daß
sie privilegirte christliche Kirchen sind, hebt doch nicht alle andern sonstigen
Unterschiede auf, die sich an den beiden finden. Über die dogmatischen Unter¬
schiede der Kirchen mag der Staat kein Urteil haben, aber daß der Staat ge¬
schichtlich ganz anders zu der einen Kirche steht als zu der andern, daß er
seine Interessen von der einen ganz anders beurteilt sieht als vou der andern,
ist doch wohl so wichtig, daß er die beiden unmöglich gleichmäßig behandeln
kann. Daher sagt Professor 5z. Schulze ganz richtig: "Das Kirchenstaatsrecht,
d. h. das rechtliche Verhältnis der Kirche zum Staate, kaun und darf nur
durch ein Staatsgesetz festgestellt werden. Ein solches Gesetz darf aber nicht
der abstrakten Gleichheit zuliebe die Verhältnisse der evangelischen und der
katholischen Kirche mich gleichen Grundsätzen regeln wollen. Hier involvirt
jede scheinbare Parität die größte Imparität. Der moderne Staat erkennt die



Wir teilen hier zwei Aufsätze mit, die beide dasselbe Thema behandeln, aber derart,
daß beide die Frage von etwas verschiednen Seiten betrachten, wahrend beide dieselben Ziel¬
punkte im Auge haben. Dasselbe geschieht bei der stercvskopischen Aufnahme eines Gegen¬
standes, der Augenpunkt beider Bilder ist derselbe, der Standpunkt ein etwas verschiedener?
der Erfolg ist dort, daß dem Gegenstände dadurch größere Deutlichkeit, Perspektive und Relief
gegeben wird. Wir glauben, daß der Leser bei einer Vergleichung und Zusammenfassung der
nachfolgenden Aufsätze einen ähnlichen Eindruck gewinnen wird, wie bei dein Anschaltn" eines
D. Red. Bildes in stcreoskopischcr Darstellung.
Die evangelische Uirche und der Staat.

Midlvthian, die der jetzige Premier, als er Minister geworden our, zurücknehmen
mußte. Die Zeit hat erwiesen, daß er unrichtig gedacht hat: sein unabhängiges
Bosnien wäre ein blutiges Schlachtfeld der Religionsparteien geworden, Bosnien
unter österreichischer Herrschaft erfreut sich friedlichen Gedeihens. In ähnlicher
Weise kann England in Irland den Frieden wahren. Stellt man dagegen die
dortige protestantische Minderheit unter die Katholiken, welche Neulinge in der
Regierungskunst, voll von altem Groll und stets geneigt sein würden, ihrem
Glauben den Vorrang vor dem Wohle des Landes einzuräumen, so fügt man
letzterm mehr Schaden zu, als alle Feinde desselben ihm jemals angethan haben,
so entzündet man in ihm einen ewigen Krieg, der sein Mark verzehrt.




Die evangelische Kirche und der 5>kaat/)
i.

in Anfange des Kulturkampfes fiel es einigen Schriftstellern
mit Recht auf, daß man strebte, die evangelische und die katho¬
lische Kirche unter dieselben staatlichen Gesetze zu stellen. Sie
protestirten dagegen und fanden dies Verfahren oberflächlich.
Daß die beiden Kirchen den Namen „Kirche" führen und daß
sie privilegirte christliche Kirchen sind, hebt doch nicht alle andern sonstigen
Unterschiede auf, die sich an den beiden finden. Über die dogmatischen Unter¬
schiede der Kirchen mag der Staat kein Urteil haben, aber daß der Staat ge¬
schichtlich ganz anders zu der einen Kirche steht als zu der andern, daß er
seine Interessen von der einen ganz anders beurteilt sieht als vou der andern,
ist doch wohl so wichtig, daß er die beiden unmöglich gleichmäßig behandeln
kann. Daher sagt Professor 5z. Schulze ganz richtig: „Das Kirchenstaatsrecht,
d. h. das rechtliche Verhältnis der Kirche zum Staate, kaun und darf nur
durch ein Staatsgesetz festgestellt werden. Ein solches Gesetz darf aber nicht
der abstrakten Gleichheit zuliebe die Verhältnisse der evangelischen und der
katholischen Kirche mich gleichen Grundsätzen regeln wollen. Hier involvirt
jede scheinbare Parität die größte Imparität. Der moderne Staat erkennt die



Wir teilen hier zwei Aufsätze mit, die beide dasselbe Thema behandeln, aber derart,
daß beide die Frage von etwas verschiednen Seiten betrachten, wahrend beide dieselben Ziel¬
punkte im Auge haben. Dasselbe geschieht bei der stercvskopischen Aufnahme eines Gegen¬
standes, der Augenpunkt beider Bilder ist derselbe, der Standpunkt ein etwas verschiedener?
der Erfolg ist dort, daß dem Gegenstände dadurch größere Deutlichkeit, Perspektive und Relief
gegeben wird. Wir glauben, daß der Leser bei einer Vergleichung und Zusammenfassung der
nachfolgenden Aufsätze einen ähnlichen Eindruck gewinnen wird, wie bei dein Anschaltn» eines
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[0607] Die evangelische Uirche und der Staat. Midlvthian, die der jetzige Premier, als er Minister geworden our, zurücknehmen mußte. Die Zeit hat erwiesen, daß er unrichtig gedacht hat: sein unabhängiges Bosnien wäre ein blutiges Schlachtfeld der Religionsparteien geworden, Bosnien unter österreichischer Herrschaft erfreut sich friedlichen Gedeihens. In ähnlicher Weise kann England in Irland den Frieden wahren. Stellt man dagegen die dortige protestantische Minderheit unter die Katholiken, welche Neulinge in der Regierungskunst, voll von altem Groll und stets geneigt sein würden, ihrem Glauben den Vorrang vor dem Wohle des Landes einzuräumen, so fügt man letzterm mehr Schaden zu, als alle Feinde desselben ihm jemals angethan haben, so entzündet man in ihm einen ewigen Krieg, der sein Mark verzehrt. Die evangelische Kirche und der 5>kaat/) i. in Anfange des Kulturkampfes fiel es einigen Schriftstellern mit Recht auf, daß man strebte, die evangelische und die katho¬ lische Kirche unter dieselben staatlichen Gesetze zu stellen. Sie protestirten dagegen und fanden dies Verfahren oberflächlich. Daß die beiden Kirchen den Namen „Kirche" führen und daß sie privilegirte christliche Kirchen sind, hebt doch nicht alle andern sonstigen Unterschiede auf, die sich an den beiden finden. Über die dogmatischen Unter¬ schiede der Kirchen mag der Staat kein Urteil haben, aber daß der Staat ge¬ schichtlich ganz anders zu der einen Kirche steht als zu der andern, daß er seine Interessen von der einen ganz anders beurteilt sieht als vou der andern, ist doch wohl so wichtig, daß er die beiden unmöglich gleichmäßig behandeln kann. Daher sagt Professor 5z. Schulze ganz richtig: „Das Kirchenstaatsrecht, d. h. das rechtliche Verhältnis der Kirche zum Staate, kaun und darf nur durch ein Staatsgesetz festgestellt werden. Ein solches Gesetz darf aber nicht der abstrakten Gleichheit zuliebe die Verhältnisse der evangelischen und der katholischen Kirche mich gleichen Grundsätzen regeln wollen. Hier involvirt jede scheinbare Parität die größte Imparität. Der moderne Staat erkennt die Wir teilen hier zwei Aufsätze mit, die beide dasselbe Thema behandeln, aber derart, daß beide die Frage von etwas verschiednen Seiten betrachten, wahrend beide dieselben Ziel¬ punkte im Auge haben. Dasselbe geschieht bei der stercvskopischen Aufnahme eines Gegen¬ standes, der Augenpunkt beider Bilder ist derselbe, der Standpunkt ein etwas verschiedener? der Erfolg ist dort, daß dem Gegenstände dadurch größere Deutlichkeit, Perspektive und Relief gegeben wird. Wir glauben, daß der Leser bei einer Vergleichung und Zusammenfassung der nachfolgenden Aufsätze einen ähnlichen Eindruck gewinnen wird, wie bei dein Anschaltn» eines D. Red. Bildes in stcreoskopischcr Darstellung.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198065/607>, abgerufen am 24.07.2024.