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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal.

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Gladstones neues Manifest,

Es ist reiner Zufall, daß er selbst Protestant ist und fünf oder sechs protestan¬
tische Gehilfen bei seiner Agitation hat. Es scheint, als ob die Iren einen
Führer brauchten, der wohlhabend und also in Geldsachen einigermaßen !un-
abhängig war, sodaß sie nicht nötig hatten, ihn bei seiner Agitation aus ihrem
Beutel zu unterstützen. Als ihnen dann ein protestantischer Kandidat wie das
jetzige Parlamentsmitglied für Cork anbot, sie ohne Entschädigung für seine Mühe
und Auslage zu führen, nahmen sie dankbarlichst seine Dienste als die eines
Mannes von Talent und Charakter an, welcher der keltischen Sache mit der kalt¬
blütigen Klugheit, der Festigkeit und der Ausdauer zum Siege zu verhelfen ver¬
sprach, die ihm nach seiner englischen Abkunft eigen waren. Die gemeine Mann¬
schaft, die hinter ihm hermarschirt, die Massen, die auf seine Befehle hören,
betrachten die Protestanten Irlands, wie die Unruhen in Sligo zeigte", noch
hente mit Widerwillen und Haß, wogegen anderseits die irischen Protestanten,
die in Ulster dicht bei einander, im Süden und Westen unter den Katholiken
zerstreut wohnen, den ParuclliSmus und alle seine Werke wie den Satan und
sein Reich verabscheuen. Insofern haben die Katholiken Recht, wenn nach ihrer
Ansicht Konfession und Nationalitnt sich decken. Für das englische Volk aber
handelt es sich um die Frage, ob man recht thut, in einem Lande, wo Zwie¬
tracht und Hader konfessioneller Art noch fortleben, einer katholischen Mehrheit
zu einer Stellung zu verhelfen, in der sie die protestantische Minderheit unter¬
drücken und bedrängen kann. Gladstone spricht von "Bürgschaften" gegen die
Verwirklichung dieser Möglichkeit, aber sein Plan enthält keine solche Bürg¬
schaften, anf die Verlaß wäre. Gesetzt selbst den unmöglichen Fall, daß die
erste "Ordnung" seiner "gesetzgebenden Körperschaft," das Oberhaus seines
Dubliner Parlaments, ganz aus Protestanten bestünde, so würden erst die beiden
Ordnungen in gemeinsamem Tagen das Parlament konstituiren, und die Mehr¬
heit würde auf feiten der zweiten Ordnung sein, Folglich würde nach dein
parlamentarischen System die Exekutive, die Regierung Irlands vou den Katho¬
liken aufgestellt, gehalten und beeinflußt sein.

Gladstones Plan würde Irland ungefähr in eine Lage versetzen wie die,
welche er nach dem letzten russisch-türkischen Kriege für Bosnien im Auge hatte
als er dessen Unabhängigkeit verlangte. Die Bevölkerung zerfiel hier in Mu-
hammedaner und Christen, Orthodoxe und Katholiken, die alle einander bitter
haßten. Wäre es nach Gladstone und seiner Partei gegangen, so hätte man
der christlichen Mehrheit die Macht in die Hände gespielt, die Muhammedaner,
ihre bisherigen Herren, nun ihrerseits zu knechten und zu berauben. Beaconsficld
dagegen sagte auf dem Berliner Kongresse -- allerdings nicht bloß aus Gründen
der Humanität: "Nein, keine Unabhängigkeit, sondern österreichische Oberherrschaft,
Österreichs Berufung zur Erhaltung des Friedens zwischen den streitenden Par¬
teien." Kein Teil dieser Lösung der Frage wurde damals von Gladstone so
leidenschaftlich bestritten als dieser. Man erinnert sich der Schimpfrede in


Gladstones neues Manifest,

Es ist reiner Zufall, daß er selbst Protestant ist und fünf oder sechs protestan¬
tische Gehilfen bei seiner Agitation hat. Es scheint, als ob die Iren einen
Führer brauchten, der wohlhabend und also in Geldsachen einigermaßen !un-
abhängig war, sodaß sie nicht nötig hatten, ihn bei seiner Agitation aus ihrem
Beutel zu unterstützen. Als ihnen dann ein protestantischer Kandidat wie das
jetzige Parlamentsmitglied für Cork anbot, sie ohne Entschädigung für seine Mühe
und Auslage zu führen, nahmen sie dankbarlichst seine Dienste als die eines
Mannes von Talent und Charakter an, welcher der keltischen Sache mit der kalt¬
blütigen Klugheit, der Festigkeit und der Ausdauer zum Siege zu verhelfen ver¬
sprach, die ihm nach seiner englischen Abkunft eigen waren. Die gemeine Mann¬
schaft, die hinter ihm hermarschirt, die Massen, die auf seine Befehle hören,
betrachten die Protestanten Irlands, wie die Unruhen in Sligo zeigte», noch
hente mit Widerwillen und Haß, wogegen anderseits die irischen Protestanten,
die in Ulster dicht bei einander, im Süden und Westen unter den Katholiken
zerstreut wohnen, den ParuclliSmus und alle seine Werke wie den Satan und
sein Reich verabscheuen. Insofern haben die Katholiken Recht, wenn nach ihrer
Ansicht Konfession und Nationalitnt sich decken. Für das englische Volk aber
handelt es sich um die Frage, ob man recht thut, in einem Lande, wo Zwie¬
tracht und Hader konfessioneller Art noch fortleben, einer katholischen Mehrheit
zu einer Stellung zu verhelfen, in der sie die protestantische Minderheit unter¬
drücken und bedrängen kann. Gladstone spricht von „Bürgschaften" gegen die
Verwirklichung dieser Möglichkeit, aber sein Plan enthält keine solche Bürg¬
schaften, anf die Verlaß wäre. Gesetzt selbst den unmöglichen Fall, daß die
erste „Ordnung" seiner „gesetzgebenden Körperschaft," das Oberhaus seines
Dubliner Parlaments, ganz aus Protestanten bestünde, so würden erst die beiden
Ordnungen in gemeinsamem Tagen das Parlament konstituiren, und die Mehr¬
heit würde auf feiten der zweiten Ordnung sein, Folglich würde nach dein
parlamentarischen System die Exekutive, die Regierung Irlands vou den Katho¬
liken aufgestellt, gehalten und beeinflußt sein.

Gladstones Plan würde Irland ungefähr in eine Lage versetzen wie die,
welche er nach dem letzten russisch-türkischen Kriege für Bosnien im Auge hatte
als er dessen Unabhängigkeit verlangte. Die Bevölkerung zerfiel hier in Mu-
hammedaner und Christen, Orthodoxe und Katholiken, die alle einander bitter
haßten. Wäre es nach Gladstone und seiner Partei gegangen, so hätte man
der christlichen Mehrheit die Macht in die Hände gespielt, die Muhammedaner,
ihre bisherigen Herren, nun ihrerseits zu knechten und zu berauben. Beaconsficld
dagegen sagte auf dem Berliner Kongresse — allerdings nicht bloß aus Gründen
der Humanität: „Nein, keine Unabhängigkeit, sondern österreichische Oberherrschaft,
Österreichs Berufung zur Erhaltung des Friedens zwischen den streitenden Par¬
teien." Kein Teil dieser Lösung der Frage wurde damals von Gladstone so
leidenschaftlich bestritten als dieser. Man erinnert sich der Schimpfrede in


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[0606] Gladstones neues Manifest, Es ist reiner Zufall, daß er selbst Protestant ist und fünf oder sechs protestan¬ tische Gehilfen bei seiner Agitation hat. Es scheint, als ob die Iren einen Führer brauchten, der wohlhabend und also in Geldsachen einigermaßen !un- abhängig war, sodaß sie nicht nötig hatten, ihn bei seiner Agitation aus ihrem Beutel zu unterstützen. Als ihnen dann ein protestantischer Kandidat wie das jetzige Parlamentsmitglied für Cork anbot, sie ohne Entschädigung für seine Mühe und Auslage zu führen, nahmen sie dankbarlichst seine Dienste als die eines Mannes von Talent und Charakter an, welcher der keltischen Sache mit der kalt¬ blütigen Klugheit, der Festigkeit und der Ausdauer zum Siege zu verhelfen ver¬ sprach, die ihm nach seiner englischen Abkunft eigen waren. Die gemeine Mann¬ schaft, die hinter ihm hermarschirt, die Massen, die auf seine Befehle hören, betrachten die Protestanten Irlands, wie die Unruhen in Sligo zeigte», noch hente mit Widerwillen und Haß, wogegen anderseits die irischen Protestanten, die in Ulster dicht bei einander, im Süden und Westen unter den Katholiken zerstreut wohnen, den ParuclliSmus und alle seine Werke wie den Satan und sein Reich verabscheuen. Insofern haben die Katholiken Recht, wenn nach ihrer Ansicht Konfession und Nationalitnt sich decken. Für das englische Volk aber handelt es sich um die Frage, ob man recht thut, in einem Lande, wo Zwie¬ tracht und Hader konfessioneller Art noch fortleben, einer katholischen Mehrheit zu einer Stellung zu verhelfen, in der sie die protestantische Minderheit unter¬ drücken und bedrängen kann. Gladstone spricht von „Bürgschaften" gegen die Verwirklichung dieser Möglichkeit, aber sein Plan enthält keine solche Bürg¬ schaften, anf die Verlaß wäre. Gesetzt selbst den unmöglichen Fall, daß die erste „Ordnung" seiner „gesetzgebenden Körperschaft," das Oberhaus seines Dubliner Parlaments, ganz aus Protestanten bestünde, so würden erst die beiden Ordnungen in gemeinsamem Tagen das Parlament konstituiren, und die Mehr¬ heit würde auf feiten der zweiten Ordnung sein, Folglich würde nach dein parlamentarischen System die Exekutive, die Regierung Irlands vou den Katho¬ liken aufgestellt, gehalten und beeinflußt sein. Gladstones Plan würde Irland ungefähr in eine Lage versetzen wie die, welche er nach dem letzten russisch-türkischen Kriege für Bosnien im Auge hatte als er dessen Unabhängigkeit verlangte. Die Bevölkerung zerfiel hier in Mu- hammedaner und Christen, Orthodoxe und Katholiken, die alle einander bitter haßten. Wäre es nach Gladstone und seiner Partei gegangen, so hätte man der christlichen Mehrheit die Macht in die Hände gespielt, die Muhammedaner, ihre bisherigen Herren, nun ihrerseits zu knechten und zu berauben. Beaconsficld dagegen sagte auf dem Berliner Kongresse — allerdings nicht bloß aus Gründen der Humanität: „Nein, keine Unabhängigkeit, sondern österreichische Oberherrschaft, Österreichs Berufung zur Erhaltung des Friedens zwischen den streitenden Par¬ teien." Kein Teil dieser Lösung der Frage wurde damals von Gladstone so leidenschaftlich bestritten als dieser. Man erinnert sich der Schimpfrede in

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198065/606>, abgerufen am 24.07.2024.