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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal.

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Glcidstones neues Manifest.

das Landvolk folgte ihm in seinen alten Tagen ganz so, wie es jetzt Pcirnell
folgt, oder wie ein Teil der englischen Demokratie von Gladstone sich das
Dubliner Parlament aufreden läßt, welches man, wenn Salisbury es vor¬
geschlagen hätte, zornig zurückgewiesen haben würde. Es darf also nicht Wunder
nehmen, wenn wir jetzt sehen, wie die katholischen Iren Mann für Mann dem
Führer Heeresfolge leisten, der einen solchen Schlag gegen ihre Pcichtver-
pslichtungen geführt hat, und dessen fernerer Erfolg deren gänzliche Abschaffung
verheißt, und sein agrarischer und sozialistischer Feldzug darf nicht als auf
nationalem Gefühl und Sehnsucht nach Unabhängigkeit beruhend aufgefaßt
werden, wenigstens nicht, soweit es sich um die Landbevölkerung, die große
Mehrzahl der Iren, handelt. England hat es hier mit einer Vereinigung von
Bauern zu thun, welche wenig oder gar keinen Pacht zahlen und überhaupt
nichts opfern wollen, wie sie denn selbst bei ihrer Unterstützung der Landliga
den größern Teil der Veitragspslicht ihren transatlantischen Verwandten, den
amerikanischen Iren, überließen. Das Nationalgefühl der cisatlautischeu Iren
ist schwächlich geworden, weil das englische Regiment in den letzten Jahrzehnten
nicht grausam und selbstsüchtig wie früher, sondern trotz mancher Mißgriffe
wohlwollend verfuhr. Die verhältnismäßig wenigen eifrigen irischen Patrioten,
welche die Sassencigh wirklich haßten, konnten dem Volke ihr Gefühl und
Streben nicht einreden, wenn es sah, wie das Parlament in London Gesetze
mit der besten Absicht für Irlands Wohl schuf, und wie die englischen Beamten
gegen die Iren gerecht und billig zu sein versuchten. So erkennt man denn
bei näherer Betrachtung, daß die nationalistische Bewegung zum großen Teile
Knustprodukt einer Partei und das Werk ausländischer Wühler ist. Was
wirklich echt und eingeboren daran ist, ist der Wunsch der Pächter, ihre Farm
pachtfrei zu sehen. Indem Parnell diesen Wunsch als Hebel benutzte, gewann
er die Möglichkeit, als "Führer einer Nation, die nach Freiheit ringt," auf¬
zutreten. Gladstone gründet also seine Zugeständnisse auf ein Gefühl, welches
im Gemüte des irische,, Volkes erst den zweiten Nang einnimmt. Er schlägt
vor, einem Volke nationale Rechte zu verleihen, das niemals starke und dauernde
Hingebung an die rationelle Idee gezeigt, ihr niemals viel Zeit und Geld ge¬
opfert und niemals ernstlich mit den Waffe" für sie gekämpft hat.

Noch ein zweiter Irrtum ist zu widerlegen. Das nationale Gefühl tritt
in Irland uicht bloß hinter die materiellen Interessen der ländlichen Bevölkerung,
der Pächter zurück, sondern auch hinter die religiösen Empfindungen derselben,
nimmt also in der Bewegung erst die dritte Stelle ein. Die Bauern Irlands
glauben, die Begriffe Katholik und Isländer deckten sich ungefähr (ähnliches
findet sich, wie man weiß, unter der polnischen Vevvlkernng Preußens), und
ihre protestantischen Nachbarn wären, wenn nicht der Herkunft, so doch ihrem
Denken und Empfinden nach Engländer. Darin liegt auch etwas Wahres.
Protestantische Anhänger Parnells giebt es so wenige, daß sie kaum mitzählen.


Glcidstones neues Manifest.

das Landvolk folgte ihm in seinen alten Tagen ganz so, wie es jetzt Pcirnell
folgt, oder wie ein Teil der englischen Demokratie von Gladstone sich das
Dubliner Parlament aufreden läßt, welches man, wenn Salisbury es vor¬
geschlagen hätte, zornig zurückgewiesen haben würde. Es darf also nicht Wunder
nehmen, wenn wir jetzt sehen, wie die katholischen Iren Mann für Mann dem
Führer Heeresfolge leisten, der einen solchen Schlag gegen ihre Pcichtver-
pslichtungen geführt hat, und dessen fernerer Erfolg deren gänzliche Abschaffung
verheißt, und sein agrarischer und sozialistischer Feldzug darf nicht als auf
nationalem Gefühl und Sehnsucht nach Unabhängigkeit beruhend aufgefaßt
werden, wenigstens nicht, soweit es sich um die Landbevölkerung, die große
Mehrzahl der Iren, handelt. England hat es hier mit einer Vereinigung von
Bauern zu thun, welche wenig oder gar keinen Pacht zahlen und überhaupt
nichts opfern wollen, wie sie denn selbst bei ihrer Unterstützung der Landliga
den größern Teil der Veitragspslicht ihren transatlantischen Verwandten, den
amerikanischen Iren, überließen. Das Nationalgefühl der cisatlautischeu Iren
ist schwächlich geworden, weil das englische Regiment in den letzten Jahrzehnten
nicht grausam und selbstsüchtig wie früher, sondern trotz mancher Mißgriffe
wohlwollend verfuhr. Die verhältnismäßig wenigen eifrigen irischen Patrioten,
welche die Sassencigh wirklich haßten, konnten dem Volke ihr Gefühl und
Streben nicht einreden, wenn es sah, wie das Parlament in London Gesetze
mit der besten Absicht für Irlands Wohl schuf, und wie die englischen Beamten
gegen die Iren gerecht und billig zu sein versuchten. So erkennt man denn
bei näherer Betrachtung, daß die nationalistische Bewegung zum großen Teile
Knustprodukt einer Partei und das Werk ausländischer Wühler ist. Was
wirklich echt und eingeboren daran ist, ist der Wunsch der Pächter, ihre Farm
pachtfrei zu sehen. Indem Parnell diesen Wunsch als Hebel benutzte, gewann
er die Möglichkeit, als „Führer einer Nation, die nach Freiheit ringt," auf¬
zutreten. Gladstone gründet also seine Zugeständnisse auf ein Gefühl, welches
im Gemüte des irische,, Volkes erst den zweiten Nang einnimmt. Er schlägt
vor, einem Volke nationale Rechte zu verleihen, das niemals starke und dauernde
Hingebung an die rationelle Idee gezeigt, ihr niemals viel Zeit und Geld ge¬
opfert und niemals ernstlich mit den Waffe» für sie gekämpft hat.

Noch ein zweiter Irrtum ist zu widerlegen. Das nationale Gefühl tritt
in Irland uicht bloß hinter die materiellen Interessen der ländlichen Bevölkerung,
der Pächter zurück, sondern auch hinter die religiösen Empfindungen derselben,
nimmt also in der Bewegung erst die dritte Stelle ein. Die Bauern Irlands
glauben, die Begriffe Katholik und Isländer deckten sich ungefähr (ähnliches
findet sich, wie man weiß, unter der polnischen Vevvlkernng Preußens), und
ihre protestantischen Nachbarn wären, wenn nicht der Herkunft, so doch ihrem
Denken und Empfinden nach Engländer. Darin liegt auch etwas Wahres.
Protestantische Anhänger Parnells giebt es so wenige, daß sie kaum mitzählen.


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[0605] Glcidstones neues Manifest. das Landvolk folgte ihm in seinen alten Tagen ganz so, wie es jetzt Pcirnell folgt, oder wie ein Teil der englischen Demokratie von Gladstone sich das Dubliner Parlament aufreden läßt, welches man, wenn Salisbury es vor¬ geschlagen hätte, zornig zurückgewiesen haben würde. Es darf also nicht Wunder nehmen, wenn wir jetzt sehen, wie die katholischen Iren Mann für Mann dem Führer Heeresfolge leisten, der einen solchen Schlag gegen ihre Pcichtver- pslichtungen geführt hat, und dessen fernerer Erfolg deren gänzliche Abschaffung verheißt, und sein agrarischer und sozialistischer Feldzug darf nicht als auf nationalem Gefühl und Sehnsucht nach Unabhängigkeit beruhend aufgefaßt werden, wenigstens nicht, soweit es sich um die Landbevölkerung, die große Mehrzahl der Iren, handelt. England hat es hier mit einer Vereinigung von Bauern zu thun, welche wenig oder gar keinen Pacht zahlen und überhaupt nichts opfern wollen, wie sie denn selbst bei ihrer Unterstützung der Landliga den größern Teil der Veitragspslicht ihren transatlantischen Verwandten, den amerikanischen Iren, überließen. Das Nationalgefühl der cisatlautischeu Iren ist schwächlich geworden, weil das englische Regiment in den letzten Jahrzehnten nicht grausam und selbstsüchtig wie früher, sondern trotz mancher Mißgriffe wohlwollend verfuhr. Die verhältnismäßig wenigen eifrigen irischen Patrioten, welche die Sassencigh wirklich haßten, konnten dem Volke ihr Gefühl und Streben nicht einreden, wenn es sah, wie das Parlament in London Gesetze mit der besten Absicht für Irlands Wohl schuf, und wie die englischen Beamten gegen die Iren gerecht und billig zu sein versuchten. So erkennt man denn bei näherer Betrachtung, daß die nationalistische Bewegung zum großen Teile Knustprodukt einer Partei und das Werk ausländischer Wühler ist. Was wirklich echt und eingeboren daran ist, ist der Wunsch der Pächter, ihre Farm pachtfrei zu sehen. Indem Parnell diesen Wunsch als Hebel benutzte, gewann er die Möglichkeit, als „Führer einer Nation, die nach Freiheit ringt," auf¬ zutreten. Gladstone gründet also seine Zugeständnisse auf ein Gefühl, welches im Gemüte des irische,, Volkes erst den zweiten Nang einnimmt. Er schlägt vor, einem Volke nationale Rechte zu verleihen, das niemals starke und dauernde Hingebung an die rationelle Idee gezeigt, ihr niemals viel Zeit und Geld ge¬ opfert und niemals ernstlich mit den Waffe» für sie gekämpft hat. Noch ein zweiter Irrtum ist zu widerlegen. Das nationale Gefühl tritt in Irland uicht bloß hinter die materiellen Interessen der ländlichen Bevölkerung, der Pächter zurück, sondern auch hinter die religiösen Empfindungen derselben, nimmt also in der Bewegung erst die dritte Stelle ein. Die Bauern Irlands glauben, die Begriffe Katholik und Isländer deckten sich ungefähr (ähnliches findet sich, wie man weiß, unter der polnischen Vevvlkernng Preußens), und ihre protestantischen Nachbarn wären, wenn nicht der Herkunft, so doch ihrem Denken und Empfinden nach Engländer. Darin liegt auch etwas Wahres. Protestantische Anhänger Parnells giebt es so wenige, daß sie kaum mitzählen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198065/605>, abgerufen am 24.07.2024.