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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal.

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Gladstonos neues Manifest.

war jedoch mehr Mache als Natur, mehr Krankheit als gesunder Trieb und
Mut. Seit Robert Emmett 1803 in den Straßen Dublins die Fahne des
Aufstandes erhob, hat kein einziger Ire sein Leben "für Irland" gewagt. Es
gehörte nicht allzuviel Heldenmut dazu, verstohlen ein Faß Pulver an die
Mauer eines Gefängnisses zu stellen oder ein Päckchen Dynamik in ein eng¬
lisches öffentliches Gebäude zu werfen. Wenn leidenschaftliche Vaterlandsliebe
Tausende von Magyaren, Polen, Italienern und Griechen aufs Schlachtfeld oder
in die Hände des Henkers trieb, so giebt es in der neuesten Geschichte der
Smaragdiiisel Sankt Patricks hierzu kein Seitenstück.

Was war nun das Geheimnis des erstaunlichen Erfolges, dessen sich
Parnell in der That zu rühmen hatte? Es bestand einfach darin, daß er
begriff, daß die Mehrzahl des irischen Volkes sich nicht leidenschaftlich für die
Nationalität begeisterte, und daß er an die Stelle des O'Cvnnellschen Appells
an das Gefühl und des Mitchellschen Rufes zu den Waffen etwas Greifbareres
und Solideres setzen mußte, wobei es überdies nicht viel zu wagen gab. Hier
kam ihm Michael Davitt zu Hilfe, welcher die Landliga erfand. Die beiden
Herren sagten zu dew Bauern: "Folgt uns, und wir werden euern Pacht¬
schilling ermäßigen und vielleicht ganz beseitigen." Den Pächtern leuchtete das
ein, sie nahmen die Agitatoren beim Worte, und jetzt nennt Parnell die Menge,
die ihm auf seine Versprechungen von wegen des Brotkorbes folgte, eine nationale
Armee, entschlossen, für Irland gesetzgeberische Unabhängigkeit zu erkämpfen.
Er hat nnn in der That eine große Menge Rekruten geworben, aber das Hand¬
geld, das er bot, war auch sehr ansehnlich. Es ist natürlich nicht unbegreiflich,
daß die Bauern Irlands dem Agitator auch nach weitern Zielen folgen, da
er ihnen so viel in Allssicht gestellt hat; doch scheint eine Bevölkerung, welche
nur durch Verheißungen pekuniärer Natur bewogen werden kann, national zu
fühlen und zu streben, nicht gerade jenen mächtigen Anspruch auf Unabhängigkeit
zu haben, der in andern Fällen vorliegt. Hätten die englischen Gebieter Irlands
schon vor Jahren die Pachtermäßigungen gewährt, welche die Parlamentsakte
von 1881 darbietet, und damit die stetige und kräftige Handhabung eines ver¬
besserten Kriminalrechts verbunden, so würde das Verlangen nach einer unab¬
hängigen Gesetzgebung sich schwerlich so weit über das katholische Irland ver¬
breitet haben. Die Masse des Volkes hegte niemals nnloyale Gefühle gegen
England als Staat. Die Soldaten waren bis in die neueste Zeit herein gern
gesehen, selbst in der ärgsten Periode der agrarischen Verbrechen vergriff man
sich in Tipperary und Westmeath niemals an der Gendarmerie, und allen Ver¬
tretern der Königin, vom Richter bis hinauf zum Vizekönig, wurde mit Achtung
begegnet. Wirklich verhaßte Persönlichkeiten waren nur gestrenge Gutsherren
und deren Agenten. Die nationale Idee war damals uuter dem Landvolke
eingeschlafen. Ihr Erwachen unter O'Connell war nicht spontan. Er hatte
den Katholiken die Freiheit verschafft, die Agitation war für ihn Bedürfnis,


Gladstonos neues Manifest.

war jedoch mehr Mache als Natur, mehr Krankheit als gesunder Trieb und
Mut. Seit Robert Emmett 1803 in den Straßen Dublins die Fahne des
Aufstandes erhob, hat kein einziger Ire sein Leben „für Irland" gewagt. Es
gehörte nicht allzuviel Heldenmut dazu, verstohlen ein Faß Pulver an die
Mauer eines Gefängnisses zu stellen oder ein Päckchen Dynamik in ein eng¬
lisches öffentliches Gebäude zu werfen. Wenn leidenschaftliche Vaterlandsliebe
Tausende von Magyaren, Polen, Italienern und Griechen aufs Schlachtfeld oder
in die Hände des Henkers trieb, so giebt es in der neuesten Geschichte der
Smaragdiiisel Sankt Patricks hierzu kein Seitenstück.

Was war nun das Geheimnis des erstaunlichen Erfolges, dessen sich
Parnell in der That zu rühmen hatte? Es bestand einfach darin, daß er
begriff, daß die Mehrzahl des irischen Volkes sich nicht leidenschaftlich für die
Nationalität begeisterte, und daß er an die Stelle des O'Cvnnellschen Appells
an das Gefühl und des Mitchellschen Rufes zu den Waffen etwas Greifbareres
und Solideres setzen mußte, wobei es überdies nicht viel zu wagen gab. Hier
kam ihm Michael Davitt zu Hilfe, welcher die Landliga erfand. Die beiden
Herren sagten zu dew Bauern: „Folgt uns, und wir werden euern Pacht¬
schilling ermäßigen und vielleicht ganz beseitigen." Den Pächtern leuchtete das
ein, sie nahmen die Agitatoren beim Worte, und jetzt nennt Parnell die Menge,
die ihm auf seine Versprechungen von wegen des Brotkorbes folgte, eine nationale
Armee, entschlossen, für Irland gesetzgeberische Unabhängigkeit zu erkämpfen.
Er hat nnn in der That eine große Menge Rekruten geworben, aber das Hand¬
geld, das er bot, war auch sehr ansehnlich. Es ist natürlich nicht unbegreiflich,
daß die Bauern Irlands dem Agitator auch nach weitern Zielen folgen, da
er ihnen so viel in Allssicht gestellt hat; doch scheint eine Bevölkerung, welche
nur durch Verheißungen pekuniärer Natur bewogen werden kann, national zu
fühlen und zu streben, nicht gerade jenen mächtigen Anspruch auf Unabhängigkeit
zu haben, der in andern Fällen vorliegt. Hätten die englischen Gebieter Irlands
schon vor Jahren die Pachtermäßigungen gewährt, welche die Parlamentsakte
von 1881 darbietet, und damit die stetige und kräftige Handhabung eines ver¬
besserten Kriminalrechts verbunden, so würde das Verlangen nach einer unab¬
hängigen Gesetzgebung sich schwerlich so weit über das katholische Irland ver¬
breitet haben. Die Masse des Volkes hegte niemals nnloyale Gefühle gegen
England als Staat. Die Soldaten waren bis in die neueste Zeit herein gern
gesehen, selbst in der ärgsten Periode der agrarischen Verbrechen vergriff man
sich in Tipperary und Westmeath niemals an der Gendarmerie, und allen Ver¬
tretern der Königin, vom Richter bis hinauf zum Vizekönig, wurde mit Achtung
begegnet. Wirklich verhaßte Persönlichkeiten waren nur gestrenge Gutsherren
und deren Agenten. Die nationale Idee war damals uuter dem Landvolke
eingeschlafen. Ihr Erwachen unter O'Connell war nicht spontan. Er hatte
den Katholiken die Freiheit verschafft, die Agitation war für ihn Bedürfnis,


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[0604] Gladstonos neues Manifest. war jedoch mehr Mache als Natur, mehr Krankheit als gesunder Trieb und Mut. Seit Robert Emmett 1803 in den Straßen Dublins die Fahne des Aufstandes erhob, hat kein einziger Ire sein Leben „für Irland" gewagt. Es gehörte nicht allzuviel Heldenmut dazu, verstohlen ein Faß Pulver an die Mauer eines Gefängnisses zu stellen oder ein Päckchen Dynamik in ein eng¬ lisches öffentliches Gebäude zu werfen. Wenn leidenschaftliche Vaterlandsliebe Tausende von Magyaren, Polen, Italienern und Griechen aufs Schlachtfeld oder in die Hände des Henkers trieb, so giebt es in der neuesten Geschichte der Smaragdiiisel Sankt Patricks hierzu kein Seitenstück. Was war nun das Geheimnis des erstaunlichen Erfolges, dessen sich Parnell in der That zu rühmen hatte? Es bestand einfach darin, daß er begriff, daß die Mehrzahl des irischen Volkes sich nicht leidenschaftlich für die Nationalität begeisterte, und daß er an die Stelle des O'Cvnnellschen Appells an das Gefühl und des Mitchellschen Rufes zu den Waffen etwas Greifbareres und Solideres setzen mußte, wobei es überdies nicht viel zu wagen gab. Hier kam ihm Michael Davitt zu Hilfe, welcher die Landliga erfand. Die beiden Herren sagten zu dew Bauern: „Folgt uns, und wir werden euern Pacht¬ schilling ermäßigen und vielleicht ganz beseitigen." Den Pächtern leuchtete das ein, sie nahmen die Agitatoren beim Worte, und jetzt nennt Parnell die Menge, die ihm auf seine Versprechungen von wegen des Brotkorbes folgte, eine nationale Armee, entschlossen, für Irland gesetzgeberische Unabhängigkeit zu erkämpfen. Er hat nnn in der That eine große Menge Rekruten geworben, aber das Hand¬ geld, das er bot, war auch sehr ansehnlich. Es ist natürlich nicht unbegreiflich, daß die Bauern Irlands dem Agitator auch nach weitern Zielen folgen, da er ihnen so viel in Allssicht gestellt hat; doch scheint eine Bevölkerung, welche nur durch Verheißungen pekuniärer Natur bewogen werden kann, national zu fühlen und zu streben, nicht gerade jenen mächtigen Anspruch auf Unabhängigkeit zu haben, der in andern Fällen vorliegt. Hätten die englischen Gebieter Irlands schon vor Jahren die Pachtermäßigungen gewährt, welche die Parlamentsakte von 1881 darbietet, und damit die stetige und kräftige Handhabung eines ver¬ besserten Kriminalrechts verbunden, so würde das Verlangen nach einer unab¬ hängigen Gesetzgebung sich schwerlich so weit über das katholische Irland ver¬ breitet haben. Die Masse des Volkes hegte niemals nnloyale Gefühle gegen England als Staat. Die Soldaten waren bis in die neueste Zeit herein gern gesehen, selbst in der ärgsten Periode der agrarischen Verbrechen vergriff man sich in Tipperary und Westmeath niemals an der Gendarmerie, und allen Ver¬ tretern der Königin, vom Richter bis hinauf zum Vizekönig, wurde mit Achtung begegnet. Wirklich verhaßte Persönlichkeiten waren nur gestrenge Gutsherren und deren Agenten. Die nationale Idee war damals uuter dem Landvolke eingeschlafen. Ihr Erwachen unter O'Connell war nicht spontan. Er hatte den Katholiken die Freiheit verschafft, die Agitation war für ihn Bedürfnis,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198065/604>, abgerufen am 24.07.2024.