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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal.

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Tamoens.

Boot als eine Hütte zur Rast zimmern! Es ziemt dem Menschen nicht, sich
einem widrigen Geschick zu beugen.

Wer fügt, daß er sich beugt, wenn er gegeneinander abwägt, was er noch
einzusetzen und bestenfalls noch zu gewinnen hat? fiel der Hausherr dem er¬
regten Gast ins Wort. Ihr seid jünger als ich -- seid ein Dichter, einer der
Glücklichen, die im Gemüte länger jung bleiben als andre! Dennoch ist auch
sür Euch die Zeit gekommen, wo Ihr den Streit mit dem Geschick wenigstens
nicht mehr suchen dürft. Hofft Ihr denn auch, das Werk Euers Lebens noch
einmal zu thun und der Welt eine zweite Lusiade zu geben?

Ihr spottet meiner, Manuel, entgegnete Camoens, und selbst in der Däm¬
merung sah Barreto den Gegenübersitzenden erröten und hastig seine Züge mit
der Hand an der Stirn beschatten.

Wahrlich, ich Spotte nicht! Ich rufe nur wach, was in Eurer eignen Seele
lebt, Luis! Ihr müßt empfinden, daß für uns beide die Zeit gekommen ist,
wo wir handeln und leiden dürfen, wie es fällt, aber das Leben nicht neu
beginnen können! Doch wir wollten dies Gespräch nicht fortsetzen, weiß der
Himmel, wie wir wieder hineingeraten sind! Habt Ihr nicht etwas zu erzählen?
einen Hirtenschwauk, ein Abenteuer, an denen Ihr sonst reich wäret? Ich denke
noch an den Abend vor El Aaran, wo wir vor der Flotte der persischen See¬
räuber lagen, mit der wir andern Tages handgemein werden mußten, und Ihr
die ganze Mannschaft unsrer Galeere mit der Geschichte von Gines den: Diebe
wachhieltet, der dem Bischof den Ring vom Finger und dem Richter die Hosen
vom Leibe stahl.

Ihr habt es nur zu sehr erfahren, daß ich arm auch an Scherzen geworden
bin, erwiederte Camoens. Seit Eurer Abreise aus Judien und vollends seit meiner
eignen Heimkehr war mir nie mehr zu Mute, wie vor Zeiten im Feldlager,
das fröhliche Lachen floh, wie es scheint, auf Nimmerwiederkehr.

Glaubt, daß es wiederkehrt, sobald Ihr Eure Seele erlöst und den Zwie¬
spalt Eurer Wünsche geschlichtet habt! versetzte Barreto. Er sprach es halblaut
und rückte dann seinen Sessel dicht an Camoens' Sitz heran, um die Hand des
alten Freundes zu fassen. Beide Männer wußten jetzt, daß es vergeblich sein
würde, diesen Abend nach einem harmlosen Geplauder zu trachten. Jedes Wort,
das aus andern Quellen sprang, mündete doch wieder in die Stimmung ein,
welche ihre Seelen durchwogte -- es war besser, sich schweigend nahe zu bleiben.
Die Dämmerung ging zwischen den Mauern des Hofes rasch in völliges Nacht¬
dunkel über, immer frischer wehte es vom Brunnen her, dessen Rauschen die
tiefe Stille unterbrach. Aus dem Gebüsche hinter dem Brunnen flogen große
Leuchtkäfer auf und glühten zwischen den Schlingpflanzen, welche in den Zacken-
bvgen der Arkaden emporrankten. In Camoens' Seele wachte die Erinnerung
auf, wie oft er in wüster Ferne von einem Hafen geträumt hatte, dem ähnlich,
welcher ihn hier schützend umfing. Er erwiederte den Handdruck Barretvs und


Gveiizbott'" II, 188". 74
Tamoens.

Boot als eine Hütte zur Rast zimmern! Es ziemt dem Menschen nicht, sich
einem widrigen Geschick zu beugen.

Wer fügt, daß er sich beugt, wenn er gegeneinander abwägt, was er noch
einzusetzen und bestenfalls noch zu gewinnen hat? fiel der Hausherr dem er¬
regten Gast ins Wort. Ihr seid jünger als ich — seid ein Dichter, einer der
Glücklichen, die im Gemüte länger jung bleiben als andre! Dennoch ist auch
sür Euch die Zeit gekommen, wo Ihr den Streit mit dem Geschick wenigstens
nicht mehr suchen dürft. Hofft Ihr denn auch, das Werk Euers Lebens noch
einmal zu thun und der Welt eine zweite Lusiade zu geben?

Ihr spottet meiner, Manuel, entgegnete Camoens, und selbst in der Däm¬
merung sah Barreto den Gegenübersitzenden erröten und hastig seine Züge mit
der Hand an der Stirn beschatten.

Wahrlich, ich Spotte nicht! Ich rufe nur wach, was in Eurer eignen Seele
lebt, Luis! Ihr müßt empfinden, daß für uns beide die Zeit gekommen ist,
wo wir handeln und leiden dürfen, wie es fällt, aber das Leben nicht neu
beginnen können! Doch wir wollten dies Gespräch nicht fortsetzen, weiß der
Himmel, wie wir wieder hineingeraten sind! Habt Ihr nicht etwas zu erzählen?
einen Hirtenschwauk, ein Abenteuer, an denen Ihr sonst reich wäret? Ich denke
noch an den Abend vor El Aaran, wo wir vor der Flotte der persischen See¬
räuber lagen, mit der wir andern Tages handgemein werden mußten, und Ihr
die ganze Mannschaft unsrer Galeere mit der Geschichte von Gines den: Diebe
wachhieltet, der dem Bischof den Ring vom Finger und dem Richter die Hosen
vom Leibe stahl.

Ihr habt es nur zu sehr erfahren, daß ich arm auch an Scherzen geworden
bin, erwiederte Camoens. Seit Eurer Abreise aus Judien und vollends seit meiner
eignen Heimkehr war mir nie mehr zu Mute, wie vor Zeiten im Feldlager,
das fröhliche Lachen floh, wie es scheint, auf Nimmerwiederkehr.

Glaubt, daß es wiederkehrt, sobald Ihr Eure Seele erlöst und den Zwie¬
spalt Eurer Wünsche geschlichtet habt! versetzte Barreto. Er sprach es halblaut
und rückte dann seinen Sessel dicht an Camoens' Sitz heran, um die Hand des
alten Freundes zu fassen. Beide Männer wußten jetzt, daß es vergeblich sein
würde, diesen Abend nach einem harmlosen Geplauder zu trachten. Jedes Wort,
das aus andern Quellen sprang, mündete doch wieder in die Stimmung ein,
welche ihre Seelen durchwogte — es war besser, sich schweigend nahe zu bleiben.
Die Dämmerung ging zwischen den Mauern des Hofes rasch in völliges Nacht¬
dunkel über, immer frischer wehte es vom Brunnen her, dessen Rauschen die
tiefe Stille unterbrach. Aus dem Gebüsche hinter dem Brunnen flogen große
Leuchtkäfer auf und glühten zwischen den Schlingpflanzen, welche in den Zacken-
bvgen der Arkaden emporrankten. In Camoens' Seele wachte die Erinnerung
auf, wie oft er in wüster Ferne von einem Hafen geträumt hatte, dem ähnlich,
welcher ihn hier schützend umfing. Er erwiederte den Handdruck Barretvs und


Gveiizbott'» II, 188«. 74
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[0593] Tamoens. Boot als eine Hütte zur Rast zimmern! Es ziemt dem Menschen nicht, sich einem widrigen Geschick zu beugen. Wer fügt, daß er sich beugt, wenn er gegeneinander abwägt, was er noch einzusetzen und bestenfalls noch zu gewinnen hat? fiel der Hausherr dem er¬ regten Gast ins Wort. Ihr seid jünger als ich — seid ein Dichter, einer der Glücklichen, die im Gemüte länger jung bleiben als andre! Dennoch ist auch sür Euch die Zeit gekommen, wo Ihr den Streit mit dem Geschick wenigstens nicht mehr suchen dürft. Hofft Ihr denn auch, das Werk Euers Lebens noch einmal zu thun und der Welt eine zweite Lusiade zu geben? Ihr spottet meiner, Manuel, entgegnete Camoens, und selbst in der Däm¬ merung sah Barreto den Gegenübersitzenden erröten und hastig seine Züge mit der Hand an der Stirn beschatten. Wahrlich, ich Spotte nicht! Ich rufe nur wach, was in Eurer eignen Seele lebt, Luis! Ihr müßt empfinden, daß für uns beide die Zeit gekommen ist, wo wir handeln und leiden dürfen, wie es fällt, aber das Leben nicht neu beginnen können! Doch wir wollten dies Gespräch nicht fortsetzen, weiß der Himmel, wie wir wieder hineingeraten sind! Habt Ihr nicht etwas zu erzählen? einen Hirtenschwauk, ein Abenteuer, an denen Ihr sonst reich wäret? Ich denke noch an den Abend vor El Aaran, wo wir vor der Flotte der persischen See¬ räuber lagen, mit der wir andern Tages handgemein werden mußten, und Ihr die ganze Mannschaft unsrer Galeere mit der Geschichte von Gines den: Diebe wachhieltet, der dem Bischof den Ring vom Finger und dem Richter die Hosen vom Leibe stahl. Ihr habt es nur zu sehr erfahren, daß ich arm auch an Scherzen geworden bin, erwiederte Camoens. Seit Eurer Abreise aus Judien und vollends seit meiner eignen Heimkehr war mir nie mehr zu Mute, wie vor Zeiten im Feldlager, das fröhliche Lachen floh, wie es scheint, auf Nimmerwiederkehr. Glaubt, daß es wiederkehrt, sobald Ihr Eure Seele erlöst und den Zwie¬ spalt Eurer Wünsche geschlichtet habt! versetzte Barreto. Er sprach es halblaut und rückte dann seinen Sessel dicht an Camoens' Sitz heran, um die Hand des alten Freundes zu fassen. Beide Männer wußten jetzt, daß es vergeblich sein würde, diesen Abend nach einem harmlosen Geplauder zu trachten. Jedes Wort, das aus andern Quellen sprang, mündete doch wieder in die Stimmung ein, welche ihre Seelen durchwogte — es war besser, sich schweigend nahe zu bleiben. Die Dämmerung ging zwischen den Mauern des Hofes rasch in völliges Nacht¬ dunkel über, immer frischer wehte es vom Brunnen her, dessen Rauschen die tiefe Stille unterbrach. Aus dem Gebüsche hinter dem Brunnen flogen große Leuchtkäfer auf und glühten zwischen den Schlingpflanzen, welche in den Zacken- bvgen der Arkaden emporrankten. In Camoens' Seele wachte die Erinnerung auf, wie oft er in wüster Ferne von einem Hafen geträumt hatte, dem ähnlich, welcher ihn hier schützend umfing. Er erwiederte den Handdruck Barretvs und Gveiizbott'» II, 188«. 74

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198065/593>, abgerufen am 24.07.2024.