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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal.

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Die Entscheidung und die Zukunft der Parteien in England.

daß von der ganzen Londoner Presse nur Daily Mo8, Gladstones Leiborgan,
diesen Ausgang bedauerte, war eben kein Trost für die Zukunft. Die IXmss
rühmt die große Mehrheit, die gegen die irische Gesetzvorlage stimmte, als eine
über alle Erwartung entscheidende und hofft von den bevorstehenden Neu¬
wahlen, das Land werde einen ähnlichen Wahrspruch abgeben. Der toryistische
LiMÄ-M behauptet, Gladstone habe seinen Ruf als Staatsmann zu Grnnde
gerichtet und die Unterstützung seiner Partei eingebüßt -- was zu viel gesagt ist,
da dies nur von einem Teile der Liberalen gilt. Wenn er an die Wähler
appellire, werde er erfahren, daß ihm anch das Vertrauen des Landes verloren
gegangen sei -- was eine Wahrscheinlichkeit, aber immerhin keine solche ist, deren
Inhalt sich zuversichtlich prophezeien läßt. Der vint/ ^ölogr-ixll endlich bemerkt:
"Dieser höchst entscheidende und höchst willkommene Ausgang des großen Streites
drückt in emphatischer Weise die tiefgehende Unzufriedenheit des Hauses der
Gemeinen mit den thörichten Projekten und den unbestimmten Erklärungen Glad-
stones und seiner Amtsgenossen aus, und wir sind überzeugt, daß die Stimme
der Abgeordneten im großen und ganzen getreu die Meinung des Landes über
die jetzt gefallene Bill wiedergiebt."

Der "große alte Mann" scheint diese Ansicht von der Hoffnungslosigkeit
seines irischen Planes nicht zu teilen, weil er sonst uach dessen Scheitern im
Unterhause von seinem Amte zurückgetreten sein würde. Er will aber bleiben
und es mit ihm bei der Wühlerschaft versuchen, an die er zunächst wieder eins
seiner Manifeste erlassen wird. Mittlerweile beschloß ein von ihm einberufener
Ministerrat, von der Amtsniederlegung Abstand zu nehmen, weil ein solcher
Schritt nur zur Verlängerung der akut gewordenen Krisis dienen könnte, und
nach Auflösung des Unterhauses zu Neuwahlen zu schreiten. Die Königin hat
diesem Kabinetsbeschluß ihre Zustimmung erteilt, und so ist der Auflösung für
die letzte Woche dieses Monats entgegenzusehen. Die neuen Wahlen würden
in der ersten Hälfte des Juli stattfinden.

Die Abstimmung des Unterhauses über die zweite Lesung der Homcrule-
Bill wird in den Annalen des britischen Parlaments einen hervorragenden Platz
einnehmen. Sie fand zufällig gerade am Jahrestage des letzten Sturzes der
Regierung Gladstones statt. Damals wurde das liberale Ministerium und
252 gegen 246 Stimmen geschlagen, jetzt waren seine Gegner also weit stärker
an Zahl. Es beteiligten sich an der Abstimmung von den 670 Mitgliedern
des Hauses der Gemeinen nicht weniger als 657, und ziehen wir in Betracht,
daß die irischen Stimmen sowie die der Kabinetsmitglieder von der Minderheit
von 311 abgerechnet werden müssen, wenn man eine richtige Vorstellung von
der Zahl der Abgeordneten gewinnen will, welche Gladstone unparteiisch unter¬
stützten, so schmelzen die Anhänger der Bill auf nicht viel mehr als 200 Köpfe
zusammen, denen 341 Widersacher der Maßregel gegenüberstehen. Eine weitere
Betrachtung der Abstimmungsliste zeigt, daß die siegreiche Mehrheit aus 249


Die Entscheidung und die Zukunft der Parteien in England.

daß von der ganzen Londoner Presse nur Daily Mo8, Gladstones Leiborgan,
diesen Ausgang bedauerte, war eben kein Trost für die Zukunft. Die IXmss
rühmt die große Mehrheit, die gegen die irische Gesetzvorlage stimmte, als eine
über alle Erwartung entscheidende und hofft von den bevorstehenden Neu¬
wahlen, das Land werde einen ähnlichen Wahrspruch abgeben. Der toryistische
LiMÄ-M behauptet, Gladstone habe seinen Ruf als Staatsmann zu Grnnde
gerichtet und die Unterstützung seiner Partei eingebüßt — was zu viel gesagt ist,
da dies nur von einem Teile der Liberalen gilt. Wenn er an die Wähler
appellire, werde er erfahren, daß ihm anch das Vertrauen des Landes verloren
gegangen sei — was eine Wahrscheinlichkeit, aber immerhin keine solche ist, deren
Inhalt sich zuversichtlich prophezeien läßt. Der vint/ ^ölogr-ixll endlich bemerkt:
„Dieser höchst entscheidende und höchst willkommene Ausgang des großen Streites
drückt in emphatischer Weise die tiefgehende Unzufriedenheit des Hauses der
Gemeinen mit den thörichten Projekten und den unbestimmten Erklärungen Glad-
stones und seiner Amtsgenossen aus, und wir sind überzeugt, daß die Stimme
der Abgeordneten im großen und ganzen getreu die Meinung des Landes über
die jetzt gefallene Bill wiedergiebt."

Der „große alte Mann" scheint diese Ansicht von der Hoffnungslosigkeit
seines irischen Planes nicht zu teilen, weil er sonst uach dessen Scheitern im
Unterhause von seinem Amte zurückgetreten sein würde. Er will aber bleiben
und es mit ihm bei der Wühlerschaft versuchen, an die er zunächst wieder eins
seiner Manifeste erlassen wird. Mittlerweile beschloß ein von ihm einberufener
Ministerrat, von der Amtsniederlegung Abstand zu nehmen, weil ein solcher
Schritt nur zur Verlängerung der akut gewordenen Krisis dienen könnte, und
nach Auflösung des Unterhauses zu Neuwahlen zu schreiten. Die Königin hat
diesem Kabinetsbeschluß ihre Zustimmung erteilt, und so ist der Auflösung für
die letzte Woche dieses Monats entgegenzusehen. Die neuen Wahlen würden
in der ersten Hälfte des Juli stattfinden.

Die Abstimmung des Unterhauses über die zweite Lesung der Homcrule-
Bill wird in den Annalen des britischen Parlaments einen hervorragenden Platz
einnehmen. Sie fand zufällig gerade am Jahrestage des letzten Sturzes der
Regierung Gladstones statt. Damals wurde das liberale Ministerium und
252 gegen 246 Stimmen geschlagen, jetzt waren seine Gegner also weit stärker
an Zahl. Es beteiligten sich an der Abstimmung von den 670 Mitgliedern
des Hauses der Gemeinen nicht weniger als 657, und ziehen wir in Betracht,
daß die irischen Stimmen sowie die der Kabinetsmitglieder von der Minderheit
von 311 abgerechnet werden müssen, wenn man eine richtige Vorstellung von
der Zahl der Abgeordneten gewinnen will, welche Gladstone unparteiisch unter¬
stützten, so schmelzen die Anhänger der Bill auf nicht viel mehr als 200 Köpfe
zusammen, denen 341 Widersacher der Maßregel gegenüberstehen. Eine weitere
Betrachtung der Abstimmungsliste zeigt, daß die siegreiche Mehrheit aus 249


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198065/584>, abgerufen am 26.07.2024.