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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal.

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Die Entscheidung und die Zukunft der Parteien in England.

Mitgliedern des Hauses 311 für und 341 gegen den Vorschlag des Premier¬
ministers gestimmt hatten, der letztere also mit 30 Stimmen in der Minderheit
geblieben war. Vorher hatte Goschen die Bill noch einmal in vernichtender
Rede kritisirt, Parnell sie zu verteidigen versucht und Gladstone zu demselben
Zwecke eine anderthalbstüudigc Rede vom Stapel gelassen. Goschen legte zum
Schluß seiner Ansprache mit Worten, welche der Gelegenheit würdig entsprachen,
den Versammelten ihre Pflicht ans Herz. "Wenn das Haus, sagte er, der Bill
beistimmte, so würde es die Verfassung unsers Landes verstümmeln, zu deren
Wächtern wir aufgestellt sind. Wir sind verpflichtet, unsern glorreichen Besitz
ungeschmälert und unbeschädigt denen, die nach uns kommen, zu übergeben. Ich
beschwöre das Haus bei den Überlieferungen, deren Erben wir sind, bei allen
gegenwärtigen Obliegenheiten, bei unsern Hoffnungen auf eine mächtige und
wohlthätige Zukunft des Reiches, bei unsrer Pflicht gegenüber der Königin,
welche diese Lande regiert, Sorge zu tragen, daß unsre Nachkommen bezeugen
können, wir haben das in uns gesetzte Vertrauen nicht getäuscht." Als das
Ergebnis der Abstimmung verkündigt wurde, folgte eine Szene unbeschreiblicher
Aufregung und Leidenschaftlichkeit. Die Tories sprangen triumphirend auf,
warfen Hüte und Taschentücher empor und schrieen, um heiser zu werden.
Chamberlain und die Radikalen begnügten sich mit zufriednem Lächeln. Die
Anhänger des Ministeriums waren stumm, wie vom Donner gerührt; denn sie
hatten noch wenige Augenblicke vorher sich für die Sieger gehalten. Die
Parnclliten vermochten ihre Enttäuschung und ihren Verdruß nicht zu verbergen.
Sie heulten, als Chamberlain aus dem Abstimmungssaale zurückkehrte, zeigten
mit den Fingern auf ihn und nannten ihn einen Verräter. Gladstone ertrug
seine Niederlage mit geziemender Würde. Als der Jubel der Sieger und das
zornige Toben der Besiegten sich etwas gelegt hatten, stellte er den Antrag,
das Haus wolle sich bis Donnerstag vertagen, worauf der Homernler Hcaly
zvrnglühend sich erhob und ihm zurief, er möge "sich der Worte erinnern, die
Friedrich Douglas gesprochen." Ein andrer Jrlünder, O'Connor, der sich eben¬
falls in großer Aufregung befand, erklärte sich erfreut über die Abstimmung,
"weil sie der Diktatur von Ränkesucht und Unfähigkeit ein Ende mache." Man
konnte einen Augenblick glauben, dies sei auf Gladstone gemünzt. Als aber der
Sprecher des Hauses die Ordnung einigermaßen wiederhergestellt und die Ver¬
sammlung den Antrag des Ministers auf Vertagung angenommen hatte, brachte
O'Connor ein dreimaliges Hoch auf den "großen alten Mann" ans, in welches
außer der irischen Brigade auch ein erheblicher Teil der Liberalen und Radi¬
kalen einstimmte. In den Vorsälen begann, als die Abgeordneten sich entfernten,
ein Anhänger des Premiers die Volkshymne zu singen, und das Publikum, das
dort der Entscheidung geharrt hatte, fiel ein und begrüßte Gladstone abermals
mit Hochrufen. Die Bitterkeit seiner Niederlage wurde ihm dadurch einigermaßen
versüßt, aber mit dreißig Stimmen geschlagen zu sein, blieb bitter genug, und


Die Entscheidung und die Zukunft der Parteien in England.

Mitgliedern des Hauses 311 für und 341 gegen den Vorschlag des Premier¬
ministers gestimmt hatten, der letztere also mit 30 Stimmen in der Minderheit
geblieben war. Vorher hatte Goschen die Bill noch einmal in vernichtender
Rede kritisirt, Parnell sie zu verteidigen versucht und Gladstone zu demselben
Zwecke eine anderthalbstüudigc Rede vom Stapel gelassen. Goschen legte zum
Schluß seiner Ansprache mit Worten, welche der Gelegenheit würdig entsprachen,
den Versammelten ihre Pflicht ans Herz. „Wenn das Haus, sagte er, der Bill
beistimmte, so würde es die Verfassung unsers Landes verstümmeln, zu deren
Wächtern wir aufgestellt sind. Wir sind verpflichtet, unsern glorreichen Besitz
ungeschmälert und unbeschädigt denen, die nach uns kommen, zu übergeben. Ich
beschwöre das Haus bei den Überlieferungen, deren Erben wir sind, bei allen
gegenwärtigen Obliegenheiten, bei unsern Hoffnungen auf eine mächtige und
wohlthätige Zukunft des Reiches, bei unsrer Pflicht gegenüber der Königin,
welche diese Lande regiert, Sorge zu tragen, daß unsre Nachkommen bezeugen
können, wir haben das in uns gesetzte Vertrauen nicht getäuscht." Als das
Ergebnis der Abstimmung verkündigt wurde, folgte eine Szene unbeschreiblicher
Aufregung und Leidenschaftlichkeit. Die Tories sprangen triumphirend auf,
warfen Hüte und Taschentücher empor und schrieen, um heiser zu werden.
Chamberlain und die Radikalen begnügten sich mit zufriednem Lächeln. Die
Anhänger des Ministeriums waren stumm, wie vom Donner gerührt; denn sie
hatten noch wenige Augenblicke vorher sich für die Sieger gehalten. Die
Parnclliten vermochten ihre Enttäuschung und ihren Verdruß nicht zu verbergen.
Sie heulten, als Chamberlain aus dem Abstimmungssaale zurückkehrte, zeigten
mit den Fingern auf ihn und nannten ihn einen Verräter. Gladstone ertrug
seine Niederlage mit geziemender Würde. Als der Jubel der Sieger und das
zornige Toben der Besiegten sich etwas gelegt hatten, stellte er den Antrag,
das Haus wolle sich bis Donnerstag vertagen, worauf der Homernler Hcaly
zvrnglühend sich erhob und ihm zurief, er möge „sich der Worte erinnern, die
Friedrich Douglas gesprochen." Ein andrer Jrlünder, O'Connor, der sich eben¬
falls in großer Aufregung befand, erklärte sich erfreut über die Abstimmung,
„weil sie der Diktatur von Ränkesucht und Unfähigkeit ein Ende mache." Man
konnte einen Augenblick glauben, dies sei auf Gladstone gemünzt. Als aber der
Sprecher des Hauses die Ordnung einigermaßen wiederhergestellt und die Ver¬
sammlung den Antrag des Ministers auf Vertagung angenommen hatte, brachte
O'Connor ein dreimaliges Hoch auf den „großen alten Mann" ans, in welches
außer der irischen Brigade auch ein erheblicher Teil der Liberalen und Radi¬
kalen einstimmte. In den Vorsälen begann, als die Abgeordneten sich entfernten,
ein Anhänger des Premiers die Volkshymne zu singen, und das Publikum, das
dort der Entscheidung geharrt hatte, fiel ein und begrüßte Gladstone abermals
mit Hochrufen. Die Bitterkeit seiner Niederlage wurde ihm dadurch einigermaßen
versüßt, aber mit dreißig Stimmen geschlagen zu sein, blieb bitter genug, und


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[0583] Die Entscheidung und die Zukunft der Parteien in England. Mitgliedern des Hauses 311 für und 341 gegen den Vorschlag des Premier¬ ministers gestimmt hatten, der letztere also mit 30 Stimmen in der Minderheit geblieben war. Vorher hatte Goschen die Bill noch einmal in vernichtender Rede kritisirt, Parnell sie zu verteidigen versucht und Gladstone zu demselben Zwecke eine anderthalbstüudigc Rede vom Stapel gelassen. Goschen legte zum Schluß seiner Ansprache mit Worten, welche der Gelegenheit würdig entsprachen, den Versammelten ihre Pflicht ans Herz. „Wenn das Haus, sagte er, der Bill beistimmte, so würde es die Verfassung unsers Landes verstümmeln, zu deren Wächtern wir aufgestellt sind. Wir sind verpflichtet, unsern glorreichen Besitz ungeschmälert und unbeschädigt denen, die nach uns kommen, zu übergeben. Ich beschwöre das Haus bei den Überlieferungen, deren Erben wir sind, bei allen gegenwärtigen Obliegenheiten, bei unsern Hoffnungen auf eine mächtige und wohlthätige Zukunft des Reiches, bei unsrer Pflicht gegenüber der Königin, welche diese Lande regiert, Sorge zu tragen, daß unsre Nachkommen bezeugen können, wir haben das in uns gesetzte Vertrauen nicht getäuscht." Als das Ergebnis der Abstimmung verkündigt wurde, folgte eine Szene unbeschreiblicher Aufregung und Leidenschaftlichkeit. Die Tories sprangen triumphirend auf, warfen Hüte und Taschentücher empor und schrieen, um heiser zu werden. Chamberlain und die Radikalen begnügten sich mit zufriednem Lächeln. Die Anhänger des Ministeriums waren stumm, wie vom Donner gerührt; denn sie hatten noch wenige Augenblicke vorher sich für die Sieger gehalten. Die Parnclliten vermochten ihre Enttäuschung und ihren Verdruß nicht zu verbergen. Sie heulten, als Chamberlain aus dem Abstimmungssaale zurückkehrte, zeigten mit den Fingern auf ihn und nannten ihn einen Verräter. Gladstone ertrug seine Niederlage mit geziemender Würde. Als der Jubel der Sieger und das zornige Toben der Besiegten sich etwas gelegt hatten, stellte er den Antrag, das Haus wolle sich bis Donnerstag vertagen, worauf der Homernler Hcaly zvrnglühend sich erhob und ihm zurief, er möge „sich der Worte erinnern, die Friedrich Douglas gesprochen." Ein andrer Jrlünder, O'Connor, der sich eben¬ falls in großer Aufregung befand, erklärte sich erfreut über die Abstimmung, „weil sie der Diktatur von Ränkesucht und Unfähigkeit ein Ende mache." Man konnte einen Augenblick glauben, dies sei auf Gladstone gemünzt. Als aber der Sprecher des Hauses die Ordnung einigermaßen wiederhergestellt und die Ver¬ sammlung den Antrag des Ministers auf Vertagung angenommen hatte, brachte O'Connor ein dreimaliges Hoch auf den „großen alten Mann" ans, in welches außer der irischen Brigade auch ein erheblicher Teil der Liberalen und Radi¬ kalen einstimmte. In den Vorsälen begann, als die Abgeordneten sich entfernten, ein Anhänger des Premiers die Volkshymne zu singen, und das Publikum, das dort der Entscheidung geharrt hatte, fiel ein und begrüßte Gladstone abermals mit Hochrufen. Die Bitterkeit seiner Niederlage wurde ihm dadurch einigermaßen versüßt, aber mit dreißig Stimmen geschlagen zu sein, blieb bitter genug, und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198065/583>, abgerufen am 26.07.2024.