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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal.

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Frieden am Horizonte.

Frankreich nicht genügend gerüstet war, um mit Aussicht auf Erfolg einen
.Krieg mit dem deutscheu Reiche zu wagen. Ist das noch heute so? Die große
Mehrzahl der Franzosen, das arbeitende Volk, der Bauer, der Fabrikant, der
Kaufmann, wird unbedenklich als jedem .Kriege abgeneigt bezeichnet werden
dürfen. Aber dieser Teil der Nation bestimmt selbst in der Republik die
Politik derselben nicht. ES giebt auch hier eine Kabinetspolitik, und gerade
hier ist das, was man "öffentliche Meinung" nennt, das Interesse, die Ansichten
und die Bestrebungen der Parteien in der Presse, in Vereinen und Versamm¬
lungen von großem Einflüsse. "Patrioten" mit dem Hauptivuusche, von sich
reden zu machen und eine Rolle zu spielen, strebsame Parlamentarier, Generale,
die sich etwas zutrauen, arbeiten offen oder insgeheim und indirekt auf einen
neuen Krieg mit Deutschland hin. Das seit 1870 herangewachsene neue Geschlecht,
welches nicht durch Erfahrung darüber belehrt worden ist, was ein unglücklicher
Krieg zu bedeuten hat, ist in der Vorstellung erzogen worden, daß ein aber¬
maliger Kampf mit den Deutschen Ehrensache der Nation und daß ein Sieg
der französischen Waffen diesmal mit unzweifelhafter Sicherheit zu erwarte"
sei. Endlich scheint auch ein Teil der Geschäftswelt dem ihr unaufhörlich vor¬
getragnen Wahne zu huldigen, es könne dem Darniederlicgen der französischen
Industrie nur abgeholfen werden, wenn mit eiuer Niederwerfung der Deutschen
auf politischem Gebiete mich deren Kraft zum Wettbewerb auf gewerblichen ge¬
brochen würde. Daß alle Prätendenten, wenn sie auf den Thron gelangten,
einen Krieg mit uns, der ihnen Elsaß-Lothringen verhieße, mit dem sie ihre
Gegner als Mvrgengabe versöhnen könnten, als notwendig für ihre Erhaltung
in der Herrschaft betrachten würden, ist so selbstverständlich, daß es kaum hervor¬
gehoben zu werdeu verdient; namentlich gilt es von den vrleauistischeu Prinzen.

An dem Willen zu einem neuen Wassergange mit uns fehlt es also bei den¬
jenigen Teilen der französischen Nation, welche den Ausschlag zu geben Pflegen,
gewiß nicht. Wie aber steht es mit dem Können? Ist mau genügend gerüstet
dazu? An eifriger Bemühung, die militärischen Mittel Frankreichs denen
Deutschlands gewachsen zu machen, hat es nicht gefehlt. Jeder der vielen Kriegs¬
minister, die einander von 1871 an im Amte folgten, hat in dieser Richtung
gethan, was er konnte, und keine Deputirtenkammer hat irgendwie gezaudert, die
dazu erforderlichen ungeheuern Geldmittel zu bewilligen. Mag man sich in
mancher Maßregel vergriffen, mag mau sich in mancher Erwartung getäuscht
haben, so ist doch im ganzen unzweifelhaft Großes erreicht worden. Das jetzige
französische Heer ist nicht bloß nach der Zahl seiner Regimenter und Batterien
eine gewaltige Waffe. Man hat den Preußen viel abgelernt, mau hat alles
benutzt, was die Technik unsrer Zeit zur Ausrüstung von Armeen darbietet.
Nicht bloß die Bewaffnung der Infanterie, die Pferde und Geschütze, das Militär-
transpvrtwesen lassen wenig zu wünschen übrig, sondern auch die Kriegstelegraphie,
die Taubenpost, das Ballvnwcscn befinden sich fast durchgehends ans der Höhe


Frieden am Horizonte.

Frankreich nicht genügend gerüstet war, um mit Aussicht auf Erfolg einen
.Krieg mit dem deutscheu Reiche zu wagen. Ist das noch heute so? Die große
Mehrzahl der Franzosen, das arbeitende Volk, der Bauer, der Fabrikant, der
Kaufmann, wird unbedenklich als jedem .Kriege abgeneigt bezeichnet werden
dürfen. Aber dieser Teil der Nation bestimmt selbst in der Republik die
Politik derselben nicht. ES giebt auch hier eine Kabinetspolitik, und gerade
hier ist das, was man „öffentliche Meinung" nennt, das Interesse, die Ansichten
und die Bestrebungen der Parteien in der Presse, in Vereinen und Versamm¬
lungen von großem Einflüsse. „Patrioten" mit dem Hauptivuusche, von sich
reden zu machen und eine Rolle zu spielen, strebsame Parlamentarier, Generale,
die sich etwas zutrauen, arbeiten offen oder insgeheim und indirekt auf einen
neuen Krieg mit Deutschland hin. Das seit 1870 herangewachsene neue Geschlecht,
welches nicht durch Erfahrung darüber belehrt worden ist, was ein unglücklicher
Krieg zu bedeuten hat, ist in der Vorstellung erzogen worden, daß ein aber¬
maliger Kampf mit den Deutschen Ehrensache der Nation und daß ein Sieg
der französischen Waffen diesmal mit unzweifelhafter Sicherheit zu erwarte»
sei. Endlich scheint auch ein Teil der Geschäftswelt dem ihr unaufhörlich vor¬
getragnen Wahne zu huldigen, es könne dem Darniederlicgen der französischen
Industrie nur abgeholfen werden, wenn mit eiuer Niederwerfung der Deutschen
auf politischem Gebiete mich deren Kraft zum Wettbewerb auf gewerblichen ge¬
brochen würde. Daß alle Prätendenten, wenn sie auf den Thron gelangten,
einen Krieg mit uns, der ihnen Elsaß-Lothringen verhieße, mit dem sie ihre
Gegner als Mvrgengabe versöhnen könnten, als notwendig für ihre Erhaltung
in der Herrschaft betrachten würden, ist so selbstverständlich, daß es kaum hervor¬
gehoben zu werdeu verdient; namentlich gilt es von den vrleauistischeu Prinzen.

An dem Willen zu einem neuen Wassergange mit uns fehlt es also bei den¬
jenigen Teilen der französischen Nation, welche den Ausschlag zu geben Pflegen,
gewiß nicht. Wie aber steht es mit dem Können? Ist mau genügend gerüstet
dazu? An eifriger Bemühung, die militärischen Mittel Frankreichs denen
Deutschlands gewachsen zu machen, hat es nicht gefehlt. Jeder der vielen Kriegs¬
minister, die einander von 1871 an im Amte folgten, hat in dieser Richtung
gethan, was er konnte, und keine Deputirtenkammer hat irgendwie gezaudert, die
dazu erforderlichen ungeheuern Geldmittel zu bewilligen. Mag man sich in
mancher Maßregel vergriffen, mag mau sich in mancher Erwartung getäuscht
haben, so ist doch im ganzen unzweifelhaft Großes erreicht worden. Das jetzige
französische Heer ist nicht bloß nach der Zahl seiner Regimenter und Batterien
eine gewaltige Waffe. Man hat den Preußen viel abgelernt, mau hat alles
benutzt, was die Technik unsrer Zeit zur Ausrüstung von Armeen darbietet.
Nicht bloß die Bewaffnung der Infanterie, die Pferde und Geschütze, das Militär-
transpvrtwesen lassen wenig zu wünschen übrig, sondern auch die Kriegstelegraphie,
die Taubenpost, das Ballvnwcscn befinden sich fast durchgehends ans der Höhe


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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

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Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198065/544>, abgerufen am 04.07.2024.