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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal.

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Frieden am Horizonte.

seinem Minister Giers einen maßvoll denkenden, dem Frieden zugewendeten
Ratgeber, Er setzte Vertrauen in den Fürsten Bismarck und fand sich damit
nicht getäuscht. Er weiß, daß die Panslawistcn Elemente einschließen, die in
doppelter Beziehung nicht seine Freunde sind. Diese Elemente drängen zu
Unternehmungen, die einmal möglich werden können, vor der Hand aber un¬
ausführbar und gefährlich sein würden, und diese Elemente sind der bestehenden
Ordnung im allgemeinen, nicht bloß in Mitteleuropa und im Sttdosten, sondern
auch in Rußland selbst feindlich, sie hoffen und erstreben Umwälzung und Um¬
sturz der monarchischen Gewalt, gleichviel ob sie es offen erküren oder nicht.

Wenden wir die Blicke nach Westen, wo die russischen Chauvinisten einen
Bundesgenossen gegen uns suchen und nach ihrer Art finden, so erscheint uns
der Himmel auch hier zwar nicht unbewölkt, aber ohne Anzeichen, welche ans
nahe Gefahr schließen lassen. Es mag Wahres darunter sein, wenn ein Mos¬
kaner Blatt sich aus Paris schreiben läßt, daß die Franzosen zur Zeit einen
Krieg mit Deutschland zmar nicht gerade ersehnen, aber auch nicht mehr fürchten,
"ut daß sie sich nnter Umständen für einen solchen leichter entflammen lassen
würden als 1870, Eine Hauptursache dieser Erscheinung liege nicht auf dem
Gebiete der Politik, sondern in der Krisis, uuter welcher Frankreich gegenwärtig
in industriellen, kommerziellen und landwirtschaftlichen Kreisen zu leiden habe.
Vielfach herrschte" Stockung und Unzufriedenheit, die den Wunsch erregten, es
möge im Innern oder nach außen hin sich etwas ereigne", wodurch die Stockung
beseitigt würde, "Die Mehrheit der Franzosen -- so berichtet der Korre¬
spondent des russischen Blattes, der mit dieser Mehrheit freilich kaum Rück¬
sprache genommen haben wird -- ist überzeugt, daß das nicht so weiter gehen
könne. Desgleichen trägt die politische Lage des Landes nicht wenig zu dieser
verdrießlichen Stimmung bei. Daß die Republik und selbst der Parlamen¬
tarismus in der letzten Zeit Bankerott gemacht haben, gesteht sich im Stillen
sogar jeder hinreichend intelligente Republikaner zu. Despotismus der herr¬
schenden Partei, Spionage und ewige Häkelei haben anderseits den Konservativen
in der Provinz das Leben zur Marter gemacht. Alle sehnen sich nach einer
Änderung, überzeugt, daß es dadurch nicht schlechter werden könne. Infolge
der eigeutttmlichen Beweglichkeit, Sensibilität und Nervosität der Franzosen
werden bei solcher Stimmung die einen den Krieg oder einen monarchischen
Staatsstreich freudig begrüßen, die andern ihn gelassen hinnehmen, alle aber
etwas wie Erleichterung empfinden."

Wir glauben, daß der Verfasser dieses Berichts übertreibt, weil die
Wahrheit in dieser Vergrößerung besser zu seinen Wünschen paßt. Aber etwas
Wahres liegt seiner Darstellung ohne Zweifel zu Grnnde. Die russischen Pan¬
slawistcn denken an ein gemeinschaftliches Vorgehen mit den revanchedürstenden
Franzosen gegen Deutschland. Sie dachten schon 1879 daran und begegneten
einer Ablehnung. Mau bedürfte damals in Paris des Friedens, man sah, daß


Frieden am Horizonte.

seinem Minister Giers einen maßvoll denkenden, dem Frieden zugewendeten
Ratgeber, Er setzte Vertrauen in den Fürsten Bismarck und fand sich damit
nicht getäuscht. Er weiß, daß die Panslawistcn Elemente einschließen, die in
doppelter Beziehung nicht seine Freunde sind. Diese Elemente drängen zu
Unternehmungen, die einmal möglich werden können, vor der Hand aber un¬
ausführbar und gefährlich sein würden, und diese Elemente sind der bestehenden
Ordnung im allgemeinen, nicht bloß in Mitteleuropa und im Sttdosten, sondern
auch in Rußland selbst feindlich, sie hoffen und erstreben Umwälzung und Um¬
sturz der monarchischen Gewalt, gleichviel ob sie es offen erküren oder nicht.

Wenden wir die Blicke nach Westen, wo die russischen Chauvinisten einen
Bundesgenossen gegen uns suchen und nach ihrer Art finden, so erscheint uns
der Himmel auch hier zwar nicht unbewölkt, aber ohne Anzeichen, welche ans
nahe Gefahr schließen lassen. Es mag Wahres darunter sein, wenn ein Mos¬
kaner Blatt sich aus Paris schreiben läßt, daß die Franzosen zur Zeit einen
Krieg mit Deutschland zmar nicht gerade ersehnen, aber auch nicht mehr fürchten,
"ut daß sie sich nnter Umständen für einen solchen leichter entflammen lassen
würden als 1870, Eine Hauptursache dieser Erscheinung liege nicht auf dem
Gebiete der Politik, sondern in der Krisis, uuter welcher Frankreich gegenwärtig
in industriellen, kommerziellen und landwirtschaftlichen Kreisen zu leiden habe.
Vielfach herrschte» Stockung und Unzufriedenheit, die den Wunsch erregten, es
möge im Innern oder nach außen hin sich etwas ereigne», wodurch die Stockung
beseitigt würde, „Die Mehrheit der Franzosen — so berichtet der Korre¬
spondent des russischen Blattes, der mit dieser Mehrheit freilich kaum Rück¬
sprache genommen haben wird — ist überzeugt, daß das nicht so weiter gehen
könne. Desgleichen trägt die politische Lage des Landes nicht wenig zu dieser
verdrießlichen Stimmung bei. Daß die Republik und selbst der Parlamen¬
tarismus in der letzten Zeit Bankerott gemacht haben, gesteht sich im Stillen
sogar jeder hinreichend intelligente Republikaner zu. Despotismus der herr¬
schenden Partei, Spionage und ewige Häkelei haben anderseits den Konservativen
in der Provinz das Leben zur Marter gemacht. Alle sehnen sich nach einer
Änderung, überzeugt, daß es dadurch nicht schlechter werden könne. Infolge
der eigeutttmlichen Beweglichkeit, Sensibilität und Nervosität der Franzosen
werden bei solcher Stimmung die einen den Krieg oder einen monarchischen
Staatsstreich freudig begrüßen, die andern ihn gelassen hinnehmen, alle aber
etwas wie Erleichterung empfinden."

Wir glauben, daß der Verfasser dieses Berichts übertreibt, weil die
Wahrheit in dieser Vergrößerung besser zu seinen Wünschen paßt. Aber etwas
Wahres liegt seiner Darstellung ohne Zweifel zu Grnnde. Die russischen Pan¬
slawistcn denken an ein gemeinschaftliches Vorgehen mit den revanchedürstenden
Franzosen gegen Deutschland. Sie dachten schon 1879 daran und begegneten
einer Ablehnung. Mau bedürfte damals in Paris des Friedens, man sah, daß


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198065/543>, abgerufen am 04.07.2024.