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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal.

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Ungehaltene Reden eines Nichtgewählten.

der Zeit. Der Osten des Landes und Paris starren von furchtbaren Festungs¬
werken. Nur eins haben die Franzosen uns nicht nachthun können: sie besitzen
kein preußisches Offizierkorps, das sich eben nicht machen läßt, sondern gewachsen
sein muß. Sie wissen dies aber nicht, und da sie nach der Art ihrer Nation
überhaupt Neigung haben, sich zu überschätzen, so halten sie sich jetzt gewiß für
hinreichend gerüstet, uus bei passender Gelegenheit den Krieg zu erklären, um
Rache für Sedan zu nehmen und Metz und Straßburg wieder zu erobern. Aber
eins fehlt noch in der Rechnung, und dieser Mangel verbürgt uns für jetzt und
vermutlich für lange Zeit noch den Frieden: die passende Gelegenheit und
das trotz alles Selbstgefühls immer noch als notwendig angesehene Bündnis
mit einer dritten Großmacht. Dieses ist wenigstens solange nicht zu haben, als
Frankreich eine Republik, ein im ärgsten Sinne parlamentarisch regierter Staat,
ein politischer Proteus bleibt, mit dem sich nicht rechnen läßt. Weder ein
Bündnis mit England ist jetzt möglich, noch ein solches mit Italien. Dort trennt
Ägypten und die Kolonialpolitik, hier die Erinnerung an Tunis und die Mittel¬
meerpolitik überhaupt. In Nußland wären die Panslawistcn sofort zu haben, die¬
selben sind aber vor der Hand nicht die Negierung, und ein Zar müßte sein eigenstes
Interesse verkennen, wenn er sich mit Republikanern verbände, die binnen kurzem
von den Gesinnungsvettern der Nihilisten beerbt werden können. Dafür aber,
dnß die Prätendenten nicht obenauf kommen und Frankreich bündnisfähig machen,
sorgen eben jetzt einträchtig alle republikanischen Parteien. Was uns in Frankreich
allein ernste Bedenken einflößen konnte, daß der Friede mit uns bald gebrochen
werden könnte, die Monarchie, wird aus Frankreich ausgewiesen oder für die erste
Lebensregung mit Ausweisung bedroht. Uns kann das selbstverständlich nur an¬
genehm sein -- sehr angenehm.




Ungehaltene Reden eines Nichtgewählten.
19.

v soll denn abermals das Volk eines seiner heiligen Rechte be¬
raubt werden! Ein dürftiger Rest unsrer Errungenschaften war
noch dem Späherblick der nimmersatten Reaktion entgangen, die
Pantschfreiheit, stillvergnügt tranken wir all die wunderbaren Ge¬
bräue, welche vom Bier nichts als den Namen an sich haben,
und litten still, was drauf folgte. Aber nicht einmal das Menschenrecht, sich
den Magen zu verderben, sich langsam zu vergiften, erkennt der moderne Po-
lizeistaat um, nicht einmal das Kopfweh des armen Mannes flößt ihm Respekt
ein, die gute alte Sitte verachtet er, und jeder Fortschritt ist ihm ein Greuel.
Vier soll nur aus Hopfen und Malz gebraut werden? Nun, ich gebe zu, daß
Franziskaner- und Spatenbräu gut schmecken, den Durst löschen und wieder


Grmzlwlm II. W
Ungehaltene Reden eines Nichtgewählten.

der Zeit. Der Osten des Landes und Paris starren von furchtbaren Festungs¬
werken. Nur eins haben die Franzosen uns nicht nachthun können: sie besitzen
kein preußisches Offizierkorps, das sich eben nicht machen läßt, sondern gewachsen
sein muß. Sie wissen dies aber nicht, und da sie nach der Art ihrer Nation
überhaupt Neigung haben, sich zu überschätzen, so halten sie sich jetzt gewiß für
hinreichend gerüstet, uus bei passender Gelegenheit den Krieg zu erklären, um
Rache für Sedan zu nehmen und Metz und Straßburg wieder zu erobern. Aber
eins fehlt noch in der Rechnung, und dieser Mangel verbürgt uns für jetzt und
vermutlich für lange Zeit noch den Frieden: die passende Gelegenheit und
das trotz alles Selbstgefühls immer noch als notwendig angesehene Bündnis
mit einer dritten Großmacht. Dieses ist wenigstens solange nicht zu haben, als
Frankreich eine Republik, ein im ärgsten Sinne parlamentarisch regierter Staat,
ein politischer Proteus bleibt, mit dem sich nicht rechnen läßt. Weder ein
Bündnis mit England ist jetzt möglich, noch ein solches mit Italien. Dort trennt
Ägypten und die Kolonialpolitik, hier die Erinnerung an Tunis und die Mittel¬
meerpolitik überhaupt. In Nußland wären die Panslawistcn sofort zu haben, die¬
selben sind aber vor der Hand nicht die Negierung, und ein Zar müßte sein eigenstes
Interesse verkennen, wenn er sich mit Republikanern verbände, die binnen kurzem
von den Gesinnungsvettern der Nihilisten beerbt werden können. Dafür aber,
dnß die Prätendenten nicht obenauf kommen und Frankreich bündnisfähig machen,
sorgen eben jetzt einträchtig alle republikanischen Parteien. Was uns in Frankreich
allein ernste Bedenken einflößen konnte, daß der Friede mit uns bald gebrochen
werden könnte, die Monarchie, wird aus Frankreich ausgewiesen oder für die erste
Lebensregung mit Ausweisung bedroht. Uns kann das selbstverständlich nur an¬
genehm sein — sehr angenehm.




Ungehaltene Reden eines Nichtgewählten.
19.

v soll denn abermals das Volk eines seiner heiligen Rechte be¬
raubt werden! Ein dürftiger Rest unsrer Errungenschaften war
noch dem Späherblick der nimmersatten Reaktion entgangen, die
Pantschfreiheit, stillvergnügt tranken wir all die wunderbaren Ge¬
bräue, welche vom Bier nichts als den Namen an sich haben,
und litten still, was drauf folgte. Aber nicht einmal das Menschenrecht, sich
den Magen zu verderben, sich langsam zu vergiften, erkennt der moderne Po-
lizeistaat um, nicht einmal das Kopfweh des armen Mannes flößt ihm Respekt
ein, die gute alte Sitte verachtet er, und jeder Fortschritt ist ihm ein Greuel.
Vier soll nur aus Hopfen und Malz gebraut werden? Nun, ich gebe zu, daß
Franziskaner- und Spatenbräu gut schmecken, den Durst löschen und wieder


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[0545] Ungehaltene Reden eines Nichtgewählten. der Zeit. Der Osten des Landes und Paris starren von furchtbaren Festungs¬ werken. Nur eins haben die Franzosen uns nicht nachthun können: sie besitzen kein preußisches Offizierkorps, das sich eben nicht machen läßt, sondern gewachsen sein muß. Sie wissen dies aber nicht, und da sie nach der Art ihrer Nation überhaupt Neigung haben, sich zu überschätzen, so halten sie sich jetzt gewiß für hinreichend gerüstet, uus bei passender Gelegenheit den Krieg zu erklären, um Rache für Sedan zu nehmen und Metz und Straßburg wieder zu erobern. Aber eins fehlt noch in der Rechnung, und dieser Mangel verbürgt uns für jetzt und vermutlich für lange Zeit noch den Frieden: die passende Gelegenheit und das trotz alles Selbstgefühls immer noch als notwendig angesehene Bündnis mit einer dritten Großmacht. Dieses ist wenigstens solange nicht zu haben, als Frankreich eine Republik, ein im ärgsten Sinne parlamentarisch regierter Staat, ein politischer Proteus bleibt, mit dem sich nicht rechnen läßt. Weder ein Bündnis mit England ist jetzt möglich, noch ein solches mit Italien. Dort trennt Ägypten und die Kolonialpolitik, hier die Erinnerung an Tunis und die Mittel¬ meerpolitik überhaupt. In Nußland wären die Panslawistcn sofort zu haben, die¬ selben sind aber vor der Hand nicht die Negierung, und ein Zar müßte sein eigenstes Interesse verkennen, wenn er sich mit Republikanern verbände, die binnen kurzem von den Gesinnungsvettern der Nihilisten beerbt werden können. Dafür aber, dnß die Prätendenten nicht obenauf kommen und Frankreich bündnisfähig machen, sorgen eben jetzt einträchtig alle republikanischen Parteien. Was uns in Frankreich allein ernste Bedenken einflößen konnte, daß der Friede mit uns bald gebrochen werden könnte, die Monarchie, wird aus Frankreich ausgewiesen oder für die erste Lebensregung mit Ausweisung bedroht. Uns kann das selbstverständlich nur an¬ genehm sein — sehr angenehm. Ungehaltene Reden eines Nichtgewählten. 19. v soll denn abermals das Volk eines seiner heiligen Rechte be¬ raubt werden! Ein dürftiger Rest unsrer Errungenschaften war noch dem Späherblick der nimmersatten Reaktion entgangen, die Pantschfreiheit, stillvergnügt tranken wir all die wunderbaren Ge¬ bräue, welche vom Bier nichts als den Namen an sich haben, und litten still, was drauf folgte. Aber nicht einmal das Menschenrecht, sich den Magen zu verderben, sich langsam zu vergiften, erkennt der moderne Po- lizeistaat um, nicht einmal das Kopfweh des armen Mannes flößt ihm Respekt ein, die gute alte Sitte verachtet er, und jeder Fortschritt ist ihm ein Greuel. Vier soll nur aus Hopfen und Malz gebraut werden? Nun, ich gebe zu, daß Franziskaner- und Spatenbräu gut schmecken, den Durst löschen und wieder Grmzlwlm II. W

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198065/545>, abgerufen am 04.07.2024.