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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal.

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Die Wohnungsnot der cirmorn Alassen in deutschon Großstädten.

elende" Wvhmmgen zusammen. Böte man ihr bessere Wohnungen zu dem
nämlichen Preise, so würde sie auch ohne polizeiliche Ausweisung gern dorthin
ziehen. Voraussichtlich würden aber die polizeilich Verwichenen die neuen
Wohnungen, wenn sie überhaupt solche fänden, mit höhern Preisen bezahlen
müssen. Und es fragt sich vor allem, ob sie das könnten? Die Annahme,
daß durch eine solche, vom Gesetz aufgenötigte höhere Lebenshaltung auch der
Arbeitslohn entsprechend steige, halten wir für irrig. Wäre dieser Satz richtig,
dann könnte man ja anch noch auf andern Gebieten eine höhere Lebenshaltung
anordnen. Man könnte z. V. vorschreiben, daß jede Familie mindestens dreimal
in der Woche Fleisch esse. Hätte eine solche Anordnung die entsprechende
Steigerung des Arbeitslohnes zur sichern Folge, so wäre damit die soziale
Frage in einfachster Weise gelöst.

Nur in einem beschränkten Umfange ließe es sich wohl rechtfertigen und
auch durchführen, die gcsundhcitsgemäße Beschaffenheit der Wohnung einer poli¬
zeilichen Kontrole zu unterwerfen, nämlich den neu Zuziehenden gegenüber. Von
diesen könnte man verlangen, daß sie die in Z 1 des Gesetzes vom 1. November
1K67 vorgeschriebene Bedingung ihrer Niederlassung, "daß sie nämlich eine eigne
Wohnung oder ein Unterkommen sich verschafft haben," durch Nachweis des Besitzes
einer, bestimmten gesundheitspolizeilichen Vorschriften entsprechenden Wohnung
oder eines derartigen Unterkommens erfüllen. Zu diesem Zwecke müßte freilich
von ihnen gefordert werdeu, daß sie ihren Zuzug polizeilich anmeldeten, und
ihre Wohnungen müßten anch innerhalb der ersten zwei Jahre ihres Aufenthalts
Polizeilich kontrolirt werden. Der Mangel einer gesundheitlich zureichenden
Wohnung müßte die unnachsichtliche Zurückvcrweisuug derselben in ihren frühern
Wohnort zur Folge haben. Heute kann jeder, der in eine Stadt zieht, wenn
er sich dort in der elendesten Spelunke eine Schlafstelle von drei Kubikmeter
Luftraum gemiethet hat,' wie Maemahon auf seinem Präsidentenstuhle sagen:
^s'zö suis ot ^>'/ rohe-o! Und wenn er dieses Verhältnis, Gott weiß mit welche"
Mitteln, zwei Jahre lang durchgeführt hat, so gehört er nnn der Stadt an,
hat dort seinen Unterstützungswohnsitz gewonnen und hilft cindanernd die Räume
fülle", aus deren Überfüllung unsre Wohnungsnot hervorgeht. Allerdings
würde die gedachte Maßregel nicht völlig durchgreifend wirke". Sie könnte nicht
hindern, daß solche Zuziehende, welche ausreichende Mittel haben, andre, die
längst in der Stadt heimisch sind, durch höhere Mictgebvte aus ihren Wohnungen
hinaus- und in die Verhältnisse der Wohnungsnot hineintrieben. Aber es würde
doch jene Maßregel den schlimmsten Elementen, aus deren Zuströmen die heutige
Wohnungsnot hervorgeht, einen Riegel vorschieben.

Voraussichtlich wird man freilich zu einer derartigen Maßregel sich schwer
entschließen. Dann aber wissen wir in der That keine Rechtsvorschrift, durch
die man ohne überwiegende andre Nachteile der Wohnungsnot begegnen
könnte.


Die Wohnungsnot der cirmorn Alassen in deutschon Großstädten.

elende» Wvhmmgen zusammen. Böte man ihr bessere Wohnungen zu dem
nämlichen Preise, so würde sie auch ohne polizeiliche Ausweisung gern dorthin
ziehen. Voraussichtlich würden aber die polizeilich Verwichenen die neuen
Wohnungen, wenn sie überhaupt solche fänden, mit höhern Preisen bezahlen
müssen. Und es fragt sich vor allem, ob sie das könnten? Die Annahme,
daß durch eine solche, vom Gesetz aufgenötigte höhere Lebenshaltung auch der
Arbeitslohn entsprechend steige, halten wir für irrig. Wäre dieser Satz richtig,
dann könnte man ja anch noch auf andern Gebieten eine höhere Lebenshaltung
anordnen. Man könnte z. V. vorschreiben, daß jede Familie mindestens dreimal
in der Woche Fleisch esse. Hätte eine solche Anordnung die entsprechende
Steigerung des Arbeitslohnes zur sichern Folge, so wäre damit die soziale
Frage in einfachster Weise gelöst.

Nur in einem beschränkten Umfange ließe es sich wohl rechtfertigen und
auch durchführen, die gcsundhcitsgemäße Beschaffenheit der Wohnung einer poli¬
zeilichen Kontrole zu unterwerfen, nämlich den neu Zuziehenden gegenüber. Von
diesen könnte man verlangen, daß sie die in Z 1 des Gesetzes vom 1. November
1K67 vorgeschriebene Bedingung ihrer Niederlassung, „daß sie nämlich eine eigne
Wohnung oder ein Unterkommen sich verschafft haben," durch Nachweis des Besitzes
einer, bestimmten gesundheitspolizeilichen Vorschriften entsprechenden Wohnung
oder eines derartigen Unterkommens erfüllen. Zu diesem Zwecke müßte freilich
von ihnen gefordert werdeu, daß sie ihren Zuzug polizeilich anmeldeten, und
ihre Wohnungen müßten anch innerhalb der ersten zwei Jahre ihres Aufenthalts
Polizeilich kontrolirt werden. Der Mangel einer gesundheitlich zureichenden
Wohnung müßte die unnachsichtliche Zurückvcrweisuug derselben in ihren frühern
Wohnort zur Folge haben. Heute kann jeder, der in eine Stadt zieht, wenn
er sich dort in der elendesten Spelunke eine Schlafstelle von drei Kubikmeter
Luftraum gemiethet hat,' wie Maemahon auf seinem Präsidentenstuhle sagen:
^s'zö suis ot ^>'/ rohe-o! Und wenn er dieses Verhältnis, Gott weiß mit welche»
Mitteln, zwei Jahre lang durchgeführt hat, so gehört er nnn der Stadt an,
hat dort seinen Unterstützungswohnsitz gewonnen und hilft cindanernd die Räume
fülle», aus deren Überfüllung unsre Wohnungsnot hervorgeht. Allerdings
würde die gedachte Maßregel nicht völlig durchgreifend wirke». Sie könnte nicht
hindern, daß solche Zuziehende, welche ausreichende Mittel haben, andre, die
längst in der Stadt heimisch sind, durch höhere Mictgebvte aus ihren Wohnungen
hinaus- und in die Verhältnisse der Wohnungsnot hineintrieben. Aber es würde
doch jene Maßregel den schlimmsten Elementen, aus deren Zuströmen die heutige
Wohnungsnot hervorgeht, einen Riegel vorschieben.

Voraussichtlich wird man freilich zu einer derartigen Maßregel sich schwer
entschließen. Dann aber wissen wir in der That keine Rechtsvorschrift, durch
die man ohne überwiegende andre Nachteile der Wohnungsnot begegnen
könnte.


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[0523] Die Wohnungsnot der cirmorn Alassen in deutschon Großstädten. elende» Wvhmmgen zusammen. Böte man ihr bessere Wohnungen zu dem nämlichen Preise, so würde sie auch ohne polizeiliche Ausweisung gern dorthin ziehen. Voraussichtlich würden aber die polizeilich Verwichenen die neuen Wohnungen, wenn sie überhaupt solche fänden, mit höhern Preisen bezahlen müssen. Und es fragt sich vor allem, ob sie das könnten? Die Annahme, daß durch eine solche, vom Gesetz aufgenötigte höhere Lebenshaltung auch der Arbeitslohn entsprechend steige, halten wir für irrig. Wäre dieser Satz richtig, dann könnte man ja anch noch auf andern Gebieten eine höhere Lebenshaltung anordnen. Man könnte z. V. vorschreiben, daß jede Familie mindestens dreimal in der Woche Fleisch esse. Hätte eine solche Anordnung die entsprechende Steigerung des Arbeitslohnes zur sichern Folge, so wäre damit die soziale Frage in einfachster Weise gelöst. Nur in einem beschränkten Umfange ließe es sich wohl rechtfertigen und auch durchführen, die gcsundhcitsgemäße Beschaffenheit der Wohnung einer poli¬ zeilichen Kontrole zu unterwerfen, nämlich den neu Zuziehenden gegenüber. Von diesen könnte man verlangen, daß sie die in Z 1 des Gesetzes vom 1. November 1K67 vorgeschriebene Bedingung ihrer Niederlassung, „daß sie nämlich eine eigne Wohnung oder ein Unterkommen sich verschafft haben," durch Nachweis des Besitzes einer, bestimmten gesundheitspolizeilichen Vorschriften entsprechenden Wohnung oder eines derartigen Unterkommens erfüllen. Zu diesem Zwecke müßte freilich von ihnen gefordert werdeu, daß sie ihren Zuzug polizeilich anmeldeten, und ihre Wohnungen müßten anch innerhalb der ersten zwei Jahre ihres Aufenthalts Polizeilich kontrolirt werden. Der Mangel einer gesundheitlich zureichenden Wohnung müßte die unnachsichtliche Zurückvcrweisuug derselben in ihren frühern Wohnort zur Folge haben. Heute kann jeder, der in eine Stadt zieht, wenn er sich dort in der elendesten Spelunke eine Schlafstelle von drei Kubikmeter Luftraum gemiethet hat,' wie Maemahon auf seinem Präsidentenstuhle sagen: ^s'zö suis ot ^>'/ rohe-o! Und wenn er dieses Verhältnis, Gott weiß mit welche» Mitteln, zwei Jahre lang durchgeführt hat, so gehört er nnn der Stadt an, hat dort seinen Unterstützungswohnsitz gewonnen und hilft cindanernd die Räume fülle», aus deren Überfüllung unsre Wohnungsnot hervorgeht. Allerdings würde die gedachte Maßregel nicht völlig durchgreifend wirke». Sie könnte nicht hindern, daß solche Zuziehende, welche ausreichende Mittel haben, andre, die längst in der Stadt heimisch sind, durch höhere Mictgebvte aus ihren Wohnungen hinaus- und in die Verhältnisse der Wohnungsnot hineintrieben. Aber es würde doch jene Maßregel den schlimmsten Elementen, aus deren Zuströmen die heutige Wohnungsnot hervorgeht, einen Riegel vorschieben. Voraussichtlich wird man freilich zu einer derartigen Maßregel sich schwer entschließen. Dann aber wissen wir in der That keine Rechtsvorschrift, durch die man ohne überwiegende andre Nachteile der Wohnungsnot begegnen könnte.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198065/523>, abgerufen am 24.07.2024.