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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal.

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Wir sehen hiernach in der That, um der Wohnungsnot abzuhelfen, nur
ein Mittel, das sehr einfach auszusprechen, aber sehr schwer gethan ist. Man
muß für die Armut bessere Wohnungen schaffen, und zwar solche, die sie auch
bezahlen kann. Dazu gehört aber Geld, Geld und abermals Geld. Und die
Frage ist vor allem: Woher dieses Geld nehmen?

Daß das Reich oder der Staat die Aufgabe übernehmen sollten, Wohnungen
für einen Teil der Bevölkerung zu banen, daran wird Wohl niemand denken.
Es könnte also, wenn man öffentlich-rechtliche Organe in Anspruch nehmen will,
nur etwa die Gemeinde in Frage kommen. Wir stellen zunächst die Frage:
Hat denn die Gemeinde eine Pflicht, für zureichende Wohnungen der in ihr
Lebenden zu sorgen? Wir können eine solche Pflicht, sei es mich nur eine
moralische oder soziale, im allgemeinen nicht anerkennen. Wäre die Gemeinde
noch das, was sie früher war, ein rechtlicher Verband, der ein bestimmt ab¬
gegrenztes Vereich von Personen umfaßte, dann ließe sich vielleicht sagen, die
Gemeinde sei verpflichtet, für diese ihr angehörenden Personen, gleichsam ihre
große Familie, dergestalt zu sorgen, daß jeder, eine seinen Verhältnissen ent¬
sprechende Wohnung finde. Heute ist aber die Gemeinde nur noch der geo¬
graphische Begriff eines Ortes, an den" beliebige Mensche" zusammen wohnen.
Die, welche ihr zugehören, fliegen ein und aus. Wenn heute eine Stadt
100 000 Einwohner hat, so hat sie vielleicht übers Jahr 10 000 mehr, die ans
allen Richtungen der Windrose ihr zugeströmt sind. Welche Verpflichtung
hätten nun wohl jene Hunderttausend, die bisher den Bestand der Gemeinde
ausmachten, für die beliebig zuströmenden Zehntausend Wohnungen zu schaffen?
Allerdings kommen durch den Mangel zureichender Wohnungen nicht allein die
zuströmenden Zehntausend in Verlegenheit, sondern auch die bisherigen Bewohner
leiden darunter, weil in ihre Wohnungen jene Zehntausend sich mit hineindrängen.
Das ist eine nicht abzuwehrende Folge der Freizügigkeit. Aber auch hieraus
können wir keine Verpflichtung der Gemeinde folgern, für alle ihre Angehörigen
und solche, die es werden wollen, begneme Wohnungen bereit zu stellen.

Überdies würde die Herstellung und Verwaltung von Wohnhäusern in
großem Maßstabe den städtischen Organen eine Last auflegen, der sie schwerlich
gewachsen wären. Wir wollen in dieser Beziehung nur auf eine Schwierigkeit
aufmerksam machen. Voraussichtlich würde die Wohlthat der Gewährung solcher
Wohnungen doch uicht allen Bedürftigen gleichzeitig zu Teil werden können. Es
müßte also unter ihnen zunächst eine Auswahl getroffen werden. Wo nun die
Gewährung einer solchen Wohlthat Privntsache ist, kann sich niemand über eine
getroffene Auswahl beklage". Anders bei einer öffentlichen Verwaltung. Hier
würde jeder Ausgeschlossene sagen: "Warum ist mein Nachbar bevorzugt? Be¬
zahle ich nicht gerade so gut wie er meine Steuern?" Man würde also die
Zufriedenheit der einen nur mit der noch größern Unzufriedenheit der andern
erlauschen; und die städtische Verwaltung würde schwerlich Dank von der Sache


Wir sehen hiernach in der That, um der Wohnungsnot abzuhelfen, nur
ein Mittel, das sehr einfach auszusprechen, aber sehr schwer gethan ist. Man
muß für die Armut bessere Wohnungen schaffen, und zwar solche, die sie auch
bezahlen kann. Dazu gehört aber Geld, Geld und abermals Geld. Und die
Frage ist vor allem: Woher dieses Geld nehmen?

Daß das Reich oder der Staat die Aufgabe übernehmen sollten, Wohnungen
für einen Teil der Bevölkerung zu banen, daran wird Wohl niemand denken.
Es könnte also, wenn man öffentlich-rechtliche Organe in Anspruch nehmen will,
nur etwa die Gemeinde in Frage kommen. Wir stellen zunächst die Frage:
Hat denn die Gemeinde eine Pflicht, für zureichende Wohnungen der in ihr
Lebenden zu sorgen? Wir können eine solche Pflicht, sei es mich nur eine
moralische oder soziale, im allgemeinen nicht anerkennen. Wäre die Gemeinde
noch das, was sie früher war, ein rechtlicher Verband, der ein bestimmt ab¬
gegrenztes Vereich von Personen umfaßte, dann ließe sich vielleicht sagen, die
Gemeinde sei verpflichtet, für diese ihr angehörenden Personen, gleichsam ihre
große Familie, dergestalt zu sorgen, daß jeder, eine seinen Verhältnissen ent¬
sprechende Wohnung finde. Heute ist aber die Gemeinde nur noch der geo¬
graphische Begriff eines Ortes, an den« beliebige Mensche» zusammen wohnen.
Die, welche ihr zugehören, fliegen ein und aus. Wenn heute eine Stadt
100 000 Einwohner hat, so hat sie vielleicht übers Jahr 10 000 mehr, die ans
allen Richtungen der Windrose ihr zugeströmt sind. Welche Verpflichtung
hätten nun wohl jene Hunderttausend, die bisher den Bestand der Gemeinde
ausmachten, für die beliebig zuströmenden Zehntausend Wohnungen zu schaffen?
Allerdings kommen durch den Mangel zureichender Wohnungen nicht allein die
zuströmenden Zehntausend in Verlegenheit, sondern auch die bisherigen Bewohner
leiden darunter, weil in ihre Wohnungen jene Zehntausend sich mit hineindrängen.
Das ist eine nicht abzuwehrende Folge der Freizügigkeit. Aber auch hieraus
können wir keine Verpflichtung der Gemeinde folgern, für alle ihre Angehörigen
und solche, die es werden wollen, begneme Wohnungen bereit zu stellen.

Überdies würde die Herstellung und Verwaltung von Wohnhäusern in
großem Maßstabe den städtischen Organen eine Last auflegen, der sie schwerlich
gewachsen wären. Wir wollen in dieser Beziehung nur auf eine Schwierigkeit
aufmerksam machen. Voraussichtlich würde die Wohlthat der Gewährung solcher
Wohnungen doch uicht allen Bedürftigen gleichzeitig zu Teil werden können. Es
müßte also unter ihnen zunächst eine Auswahl getroffen werden. Wo nun die
Gewährung einer solchen Wohlthat Privntsache ist, kann sich niemand über eine
getroffene Auswahl beklage». Anders bei einer öffentlichen Verwaltung. Hier
würde jeder Ausgeschlossene sagen: „Warum ist mein Nachbar bevorzugt? Be¬
zahle ich nicht gerade so gut wie er meine Steuern?" Man würde also die
Zufriedenheit der einen nur mit der noch größern Unzufriedenheit der andern
erlauschen; und die städtische Verwaltung würde schwerlich Dank von der Sache


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[0524] Wir sehen hiernach in der That, um der Wohnungsnot abzuhelfen, nur ein Mittel, das sehr einfach auszusprechen, aber sehr schwer gethan ist. Man muß für die Armut bessere Wohnungen schaffen, und zwar solche, die sie auch bezahlen kann. Dazu gehört aber Geld, Geld und abermals Geld. Und die Frage ist vor allem: Woher dieses Geld nehmen? Daß das Reich oder der Staat die Aufgabe übernehmen sollten, Wohnungen für einen Teil der Bevölkerung zu banen, daran wird Wohl niemand denken. Es könnte also, wenn man öffentlich-rechtliche Organe in Anspruch nehmen will, nur etwa die Gemeinde in Frage kommen. Wir stellen zunächst die Frage: Hat denn die Gemeinde eine Pflicht, für zureichende Wohnungen der in ihr Lebenden zu sorgen? Wir können eine solche Pflicht, sei es mich nur eine moralische oder soziale, im allgemeinen nicht anerkennen. Wäre die Gemeinde noch das, was sie früher war, ein rechtlicher Verband, der ein bestimmt ab¬ gegrenztes Vereich von Personen umfaßte, dann ließe sich vielleicht sagen, die Gemeinde sei verpflichtet, für diese ihr angehörenden Personen, gleichsam ihre große Familie, dergestalt zu sorgen, daß jeder, eine seinen Verhältnissen ent¬ sprechende Wohnung finde. Heute ist aber die Gemeinde nur noch der geo¬ graphische Begriff eines Ortes, an den« beliebige Mensche» zusammen wohnen. Die, welche ihr zugehören, fliegen ein und aus. Wenn heute eine Stadt 100 000 Einwohner hat, so hat sie vielleicht übers Jahr 10 000 mehr, die ans allen Richtungen der Windrose ihr zugeströmt sind. Welche Verpflichtung hätten nun wohl jene Hunderttausend, die bisher den Bestand der Gemeinde ausmachten, für die beliebig zuströmenden Zehntausend Wohnungen zu schaffen? Allerdings kommen durch den Mangel zureichender Wohnungen nicht allein die zuströmenden Zehntausend in Verlegenheit, sondern auch die bisherigen Bewohner leiden darunter, weil in ihre Wohnungen jene Zehntausend sich mit hineindrängen. Das ist eine nicht abzuwehrende Folge der Freizügigkeit. Aber auch hieraus können wir keine Verpflichtung der Gemeinde folgern, für alle ihre Angehörigen und solche, die es werden wollen, begneme Wohnungen bereit zu stellen. Überdies würde die Herstellung und Verwaltung von Wohnhäusern in großem Maßstabe den städtischen Organen eine Last auflegen, der sie schwerlich gewachsen wären. Wir wollen in dieser Beziehung nur auf eine Schwierigkeit aufmerksam machen. Voraussichtlich würde die Wohlthat der Gewährung solcher Wohnungen doch uicht allen Bedürftigen gleichzeitig zu Teil werden können. Es müßte also unter ihnen zunächst eine Auswahl getroffen werden. Wo nun die Gewährung einer solchen Wohlthat Privntsache ist, kann sich niemand über eine getroffene Auswahl beklage». Anders bei einer öffentlichen Verwaltung. Hier würde jeder Ausgeschlossene sagen: „Warum ist mein Nachbar bevorzugt? Be¬ zahle ich nicht gerade so gut wie er meine Steuern?" Man würde also die Zufriedenheit der einen nur mit der noch größern Unzufriedenheit der andern erlauschen; und die städtische Verwaltung würde schwerlich Dank von der Sache

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198065/524>, abgerufen am 24.07.2024.