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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal.

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Die Wohnungsnot der ärmern Alassen in deutschen Großstädten.

Eine andre schon jetzt vielfach geübte Vorsorge der Gesundheitspolizei be¬
steht darin, daß für Herbergen und Logirhänser Vorschriften gegeben sind,
welche das Maß bestimmen, innerhalb dessen die Räume, namentlich die Schlaf¬
räume, belegt werde" dürfen. Solche Vorschriften lassen sich vollkommen recht¬
fertigen und sind anch, da solche Hänser der ständigen polizeilichen Aufsicht
unterliegen, wohl zu handhaben. Nun glaubt Miguel, man könne noch weiter
gehen und ähnliche Vorschriften auch für alle Privatwohnungen geben, der¬
gestalt, daß jedem Insassen ein geringstes Maß von Luftraum gewährt werden
müsse, und wo hiergegen gefehlt werde, der Eigentümer oder der Vermieter
strafbar sei. Die Frage, wo die dadurch aus ihren bisherigen Wohnungen Ver¬
triebnen Personen unterkommen sollen, beantwortet Miguel dahin: sie müßten
andre vorhandne Wohnungen suchen oder es müßte durch Neubauten geholfen
werden. Zu diesen Neubauten soll sich dann die Privntbanthätigkeit genügend
angeregt fühlen. Eventuell follen die Gemeinden für das Bedürfnis eintreten.
Die Mieter würden dadurch nicht steigen. Eveutnell würden aber für die
höhern Mietpreise die arbeitenden Klassen in dem gestiegnen Tagelohne Ersatz
finden. "Eine dauernde Steigerung der Lebenshaltung, wenn sie allgemein ist,
muß schließlich auf den Tagelohn zurückwirken."

Wir halten -- Dr. Miguel mag es uns nicht übelnehmen -- diesen Ge¬
danken für undurchführbar. Der Eigentümer oder Vermieter eines Hanfes soll
also, bei Meidung eigner Bestrafung, dafür einstehen, daß in keinem Zimmer
mehr Menschen schlafen, als ein bestimmter Normalluftranm gestattet. Aber
wie kaun er darüber wachen? Er kann ja vielleicht jeden Mieter fragen, wie
viel Familienglieder er habe. Aber wie, wenn er belogen wird? Wie, wenn
der Mieter noch andre aufnimmt? Kann der Hausherr, der vielleicht zehn
Mietpartien in seinem Hause hat und dieses nicht einmal selbst bewohnt, stets
kvntrvliren, was für Menschen darin ein- und ausgehen? wie sie sich in die
Schlafräume teilen? Soll er eine Familie, für welche bisher der Luftraum
ausreichte, sofort aus dem Hause weisen, wenn die Frau niederkommt, vielleicht
sogar mit Zwillingen? Und wie soll die Polizei kontroliren, ob der Hausherr
seine Pflicht thut? solle" Polizeibeamte um Mitternacht bald hier bald da
in die Privatwohnungen eindringen, um zu sehen, ob sie nicht überfüllt sind?
Oder erwartet man, daß Denunzianten dieses Geschäft übernehmen, und daß
bald hier bald da eine Anzeige auftauche, es hätten in dem und dem Zimmer
zu viele Menschen geschlafen? Welches Maß von Gehässigkeiten würde sich
an solche polizeiliche Kontrole knüpfen! Wir halten aber anch den weitern
Gedanken, daß es keine Schwierigkeiten machen werde, die überschüssigen Be¬
wohner anderweit unterzubringen, für nicht richtig. Ware es so leicht, daß die
Bauthätigkeit neue Wohnungen zu den nämlichen Preisen, wie den bisher von
den Armen bezahlte,?, liefere, so wäre nicht abzusehen, warum das uicht schon
jetzt geschehen sei. Zu ihrem Vergnügen hockt die Armut gewiß nicht in ihren


Die Wohnungsnot der ärmern Alassen in deutschen Großstädten.

Eine andre schon jetzt vielfach geübte Vorsorge der Gesundheitspolizei be¬
steht darin, daß für Herbergen und Logirhänser Vorschriften gegeben sind,
welche das Maß bestimmen, innerhalb dessen die Räume, namentlich die Schlaf¬
räume, belegt werde» dürfen. Solche Vorschriften lassen sich vollkommen recht¬
fertigen und sind anch, da solche Hänser der ständigen polizeilichen Aufsicht
unterliegen, wohl zu handhaben. Nun glaubt Miguel, man könne noch weiter
gehen und ähnliche Vorschriften auch für alle Privatwohnungen geben, der¬
gestalt, daß jedem Insassen ein geringstes Maß von Luftraum gewährt werden
müsse, und wo hiergegen gefehlt werde, der Eigentümer oder der Vermieter
strafbar sei. Die Frage, wo die dadurch aus ihren bisherigen Wohnungen Ver¬
triebnen Personen unterkommen sollen, beantwortet Miguel dahin: sie müßten
andre vorhandne Wohnungen suchen oder es müßte durch Neubauten geholfen
werden. Zu diesen Neubauten soll sich dann die Privntbanthätigkeit genügend
angeregt fühlen. Eventuell follen die Gemeinden für das Bedürfnis eintreten.
Die Mieter würden dadurch nicht steigen. Eveutnell würden aber für die
höhern Mietpreise die arbeitenden Klassen in dem gestiegnen Tagelohne Ersatz
finden. „Eine dauernde Steigerung der Lebenshaltung, wenn sie allgemein ist,
muß schließlich auf den Tagelohn zurückwirken."

Wir halten — Dr. Miguel mag es uns nicht übelnehmen — diesen Ge¬
danken für undurchführbar. Der Eigentümer oder Vermieter eines Hanfes soll
also, bei Meidung eigner Bestrafung, dafür einstehen, daß in keinem Zimmer
mehr Menschen schlafen, als ein bestimmter Normalluftranm gestattet. Aber
wie kaun er darüber wachen? Er kann ja vielleicht jeden Mieter fragen, wie
viel Familienglieder er habe. Aber wie, wenn er belogen wird? Wie, wenn
der Mieter noch andre aufnimmt? Kann der Hausherr, der vielleicht zehn
Mietpartien in seinem Hause hat und dieses nicht einmal selbst bewohnt, stets
kvntrvliren, was für Menschen darin ein- und ausgehen? wie sie sich in die
Schlafräume teilen? Soll er eine Familie, für welche bisher der Luftraum
ausreichte, sofort aus dem Hause weisen, wenn die Frau niederkommt, vielleicht
sogar mit Zwillingen? Und wie soll die Polizei kontroliren, ob der Hausherr
seine Pflicht thut? solle» Polizeibeamte um Mitternacht bald hier bald da
in die Privatwohnungen eindringen, um zu sehen, ob sie nicht überfüllt sind?
Oder erwartet man, daß Denunzianten dieses Geschäft übernehmen, und daß
bald hier bald da eine Anzeige auftauche, es hätten in dem und dem Zimmer
zu viele Menschen geschlafen? Welches Maß von Gehässigkeiten würde sich
an solche polizeiliche Kontrole knüpfen! Wir halten aber anch den weitern
Gedanken, daß es keine Schwierigkeiten machen werde, die überschüssigen Be¬
wohner anderweit unterzubringen, für nicht richtig. Ware es so leicht, daß die
Bauthätigkeit neue Wohnungen zu den nämlichen Preisen, wie den bisher von
den Armen bezahlte,?, liefere, so wäre nicht abzusehen, warum das uicht schon
jetzt geschehen sei. Zu ihrem Vergnügen hockt die Armut gewiß nicht in ihren


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[0522] Die Wohnungsnot der ärmern Alassen in deutschen Großstädten. Eine andre schon jetzt vielfach geübte Vorsorge der Gesundheitspolizei be¬ steht darin, daß für Herbergen und Logirhänser Vorschriften gegeben sind, welche das Maß bestimmen, innerhalb dessen die Räume, namentlich die Schlaf¬ räume, belegt werde» dürfen. Solche Vorschriften lassen sich vollkommen recht¬ fertigen und sind anch, da solche Hänser der ständigen polizeilichen Aufsicht unterliegen, wohl zu handhaben. Nun glaubt Miguel, man könne noch weiter gehen und ähnliche Vorschriften auch für alle Privatwohnungen geben, der¬ gestalt, daß jedem Insassen ein geringstes Maß von Luftraum gewährt werden müsse, und wo hiergegen gefehlt werde, der Eigentümer oder der Vermieter strafbar sei. Die Frage, wo die dadurch aus ihren bisherigen Wohnungen Ver¬ triebnen Personen unterkommen sollen, beantwortet Miguel dahin: sie müßten andre vorhandne Wohnungen suchen oder es müßte durch Neubauten geholfen werden. Zu diesen Neubauten soll sich dann die Privntbanthätigkeit genügend angeregt fühlen. Eventuell follen die Gemeinden für das Bedürfnis eintreten. Die Mieter würden dadurch nicht steigen. Eveutnell würden aber für die höhern Mietpreise die arbeitenden Klassen in dem gestiegnen Tagelohne Ersatz finden. „Eine dauernde Steigerung der Lebenshaltung, wenn sie allgemein ist, muß schließlich auf den Tagelohn zurückwirken." Wir halten — Dr. Miguel mag es uns nicht übelnehmen — diesen Ge¬ danken für undurchführbar. Der Eigentümer oder Vermieter eines Hanfes soll also, bei Meidung eigner Bestrafung, dafür einstehen, daß in keinem Zimmer mehr Menschen schlafen, als ein bestimmter Normalluftranm gestattet. Aber wie kaun er darüber wachen? Er kann ja vielleicht jeden Mieter fragen, wie viel Familienglieder er habe. Aber wie, wenn er belogen wird? Wie, wenn der Mieter noch andre aufnimmt? Kann der Hausherr, der vielleicht zehn Mietpartien in seinem Hause hat und dieses nicht einmal selbst bewohnt, stets kvntrvliren, was für Menschen darin ein- und ausgehen? wie sie sich in die Schlafräume teilen? Soll er eine Familie, für welche bisher der Luftraum ausreichte, sofort aus dem Hause weisen, wenn die Frau niederkommt, vielleicht sogar mit Zwillingen? Und wie soll die Polizei kontroliren, ob der Hausherr seine Pflicht thut? solle» Polizeibeamte um Mitternacht bald hier bald da in die Privatwohnungen eindringen, um zu sehen, ob sie nicht überfüllt sind? Oder erwartet man, daß Denunzianten dieses Geschäft übernehmen, und daß bald hier bald da eine Anzeige auftauche, es hätten in dem und dem Zimmer zu viele Menschen geschlafen? Welches Maß von Gehässigkeiten würde sich an solche polizeiliche Kontrole knüpfen! Wir halten aber anch den weitern Gedanken, daß es keine Schwierigkeiten machen werde, die überschüssigen Be¬ wohner anderweit unterzubringen, für nicht richtig. Ware es so leicht, daß die Bauthätigkeit neue Wohnungen zu den nämlichen Preisen, wie den bisher von den Armen bezahlte,?, liefere, so wäre nicht abzusehen, warum das uicht schon jetzt geschehen sei. Zu ihrem Vergnügen hockt die Armut gewiß nicht in ihren

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198065/522>, abgerufen am 24.07.2024.