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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal.

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Camoens.

Während deren er sich unablässig das Bild Catarincis heraufbeschwor, wie sie
den König bittend abzuwehren gesucht hatte und vor ihm entflohen war. Er
hatte bei jeder Strophe, die er vollendete, empfunden, daß sie seinem Gast-
frennde das Herz schwer machen werde, und ihm selbst war es wahrlich nicht
leicht gewesen. Doch er hatte sich wieder nud wieder zugerufen, daß es eine
eherne'Pflicht zu erfüllen gelte, und bei sich beschlossen, daß er alsbald nach
Varretos Heimkunft das gastliche Hans verlassen und nach Lissabon gehen
wolle, wo er den beschleunigten Druck seiner großen Schöpfung zu überwachen
gedachte.

Und nun saß er doch wieder unschlüssig, von heißen Zweifeln bedrängt,
unter den maurischen Hallen, an dem kühlsten, erquicklichsten Platze. Heute
in aller Frühe war ihm ein kurzer Brief Barretos zu König Diniz' Baum
gebracht worden, welcher um Entschuldigung für Marmels längeres Ausbleiben
bat und zugleich verhieß, daß der Schreiber vor Ablauf des Tages in seinem
Halse eintreffen werde. Während der Dichter den kurzen Zeile" nachsann und
c>"s den flüchtigen Buchstaben des Briefes zu erraten trachtete, ob Barreto
seinen Zweck beim Könige erreicht habe oder nicht, war sein Auge plötzlich
M'f ein Schauspiel gelenkt worden, welches aus der öden Strcmdflcichc vor
sich ging. die sich zwischen Almoecgema und dem User des Meeres hinzog.
Die Mittagssonne brannte heiß ans den weitgedehnten sandigen und steinigen
Dünen, die große Flut rollte eintönig wie sonst gegen die Sandhügel und die
Schilfgestrüppe, welche man vom Walle des alten Manrenschlosses ans übersah.
Da mit einemmale ward die Einsamkeit der endlosen Fläche belebt, auf dem
Wege, der von dem alten Strandtnrm Calhao de Corvo hierher führte, zeigten
sich Reiter, auf der Flut schaukelte eine Anzahl von Flachbooten mit bewaff¬
neter Mannschaft, welche von jenem Turm daher gekommen sein mußten und
hier zu lande" strebten. Nur einige Minuten hatte Camoens gewähnt, daß
eine Gefahr im Anzuge sein könne, bald genug hatte er in dem Reiter, der
mit wenigen kriegerisch gerüsteten Begleitern am Strande ans- und abjagte und
gegen das Meer hin den Booten mit heftig befehlenden Geberden winkte, nie¬
mand geringeres erkannt als seinen jungen Herrscher. Gefesselt von dem
wunderlichen Vorgänge hatte er im Zuschauen Sinn und Zusammenhang des¬
selben begriffen. Die von ungeschickten Ruderern gelenkten Boote erreichten nur
teilweise die trockne Düne, die größere Zahl von ihnen blieben zwischen den
schilfbewachsenen Lachen der Anßendüue stecken. Als jedoch die in den Fahr¬
igen stehenden Bewaffneten zögerten, ans der Stelle heransznspringen und
d"us Wasser und Schilf die Straudhügcl zu gewinnen, galoppirte Dom Se¬
bastian in leidenschaftlicher Erregung am Ufer hin und wieder und schien ent¬
schlossen, sein Pferd und sich selbst in die Flut zu werfen. Seine wiederholten
Befehle zwangen endlich die jungen Mannschaften, ihr Zögern aufzugeben; etwa
eine Viertelstunde, nachdem Camoens das erste kriegerische Getümmel vernommen


Gnnzlwlm II, IL8(i, 62
Camoens.

Während deren er sich unablässig das Bild Catarincis heraufbeschwor, wie sie
den König bittend abzuwehren gesucht hatte und vor ihm entflohen war. Er
hatte bei jeder Strophe, die er vollendete, empfunden, daß sie seinem Gast-
frennde das Herz schwer machen werde, und ihm selbst war es wahrlich nicht
leicht gewesen. Doch er hatte sich wieder nud wieder zugerufen, daß es eine
eherne'Pflicht zu erfüllen gelte, und bei sich beschlossen, daß er alsbald nach
Varretos Heimkunft das gastliche Hans verlassen und nach Lissabon gehen
wolle, wo er den beschleunigten Druck seiner großen Schöpfung zu überwachen
gedachte.

Und nun saß er doch wieder unschlüssig, von heißen Zweifeln bedrängt,
unter den maurischen Hallen, an dem kühlsten, erquicklichsten Platze. Heute
in aller Frühe war ihm ein kurzer Brief Barretos zu König Diniz' Baum
gebracht worden, welcher um Entschuldigung für Marmels längeres Ausbleiben
bat und zugleich verhieß, daß der Schreiber vor Ablauf des Tages in seinem
Halse eintreffen werde. Während der Dichter den kurzen Zeile» nachsann und
c>"s den flüchtigen Buchstaben des Briefes zu erraten trachtete, ob Barreto
seinen Zweck beim Könige erreicht habe oder nicht, war sein Auge plötzlich
M'f ein Schauspiel gelenkt worden, welches aus der öden Strcmdflcichc vor
sich ging. die sich zwischen Almoecgema und dem User des Meeres hinzog.
Die Mittagssonne brannte heiß ans den weitgedehnten sandigen und steinigen
Dünen, die große Flut rollte eintönig wie sonst gegen die Sandhügel und die
Schilfgestrüppe, welche man vom Walle des alten Manrenschlosses ans übersah.
Da mit einemmale ward die Einsamkeit der endlosen Fläche belebt, auf dem
Wege, der von dem alten Strandtnrm Calhao de Corvo hierher führte, zeigten
sich Reiter, auf der Flut schaukelte eine Anzahl von Flachbooten mit bewaff¬
neter Mannschaft, welche von jenem Turm daher gekommen sein mußten und
hier zu lande» strebten. Nur einige Minuten hatte Camoens gewähnt, daß
eine Gefahr im Anzuge sein könne, bald genug hatte er in dem Reiter, der
mit wenigen kriegerisch gerüsteten Begleitern am Strande ans- und abjagte und
gegen das Meer hin den Booten mit heftig befehlenden Geberden winkte, nie¬
mand geringeres erkannt als seinen jungen Herrscher. Gefesselt von dem
wunderlichen Vorgänge hatte er im Zuschauen Sinn und Zusammenhang des¬
selben begriffen. Die von ungeschickten Ruderern gelenkten Boote erreichten nur
teilweise die trockne Düne, die größere Zahl von ihnen blieben zwischen den
schilfbewachsenen Lachen der Anßendüue stecken. Als jedoch die in den Fahr¬
igen stehenden Bewaffneten zögerten, ans der Stelle heransznspringen und
d"us Wasser und Schilf die Straudhügcl zu gewinnen, galoppirte Dom Se¬
bastian in leidenschaftlicher Erregung am Ufer hin und wieder und schien ent¬
schlossen, sein Pferd und sich selbst in die Flut zu werfen. Seine wiederholten
Befehle zwangen endlich die jungen Mannschaften, ihr Zögern aufzugeben; etwa
eine Viertelstunde, nachdem Camoens das erste kriegerische Getümmel vernommen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198065/497>, abgerufen am 24.07.2024.