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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal.

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der französischen Kritiker in deutscher Übersetzung, Gottsched selbst, so tief er in
die französischen Muster verstrickt war, machte Voltaire keinen Besuch, als dieser
durch Leipzig reiste. Der Kampf gegen die geistige Übermacht der Franzosen
entbrannte bald darauf in der heftigsten Weise. Klopstock schlug mit der Keule
Arnims auf die Wälschen ein, Wieland suchte es ihnen an Eleganz des Aus-
druckes gleich zu thun, Lessing rückte mit Sophokles und Shakespeare im Bunde
gegen Voltaire vor. Endlich, 1773, trat der junge Goethe in die Schranken
und stellte wie mit Zauberkraft die deutsche Dichtkunst auf eigne Füße. Es
war wirklich ein Kampf des nationalen gegen das Fremde, wenn auch nicht-
eingeborne Größen, die Griechen und die Engländer, als Hilfstruppen im Hinter¬
grunde standen. Klopstock, Boß, Lessing waren im Treibhause des Lampenlichtes
und der alten Klassiker aufgewachsen, aber sie waren kerndeutsche Naturen,
die aus ihren lateinischen und griechischen Studien keine Voreingenommen¬
heit dafür mitbrachten. Klopstock bürgerte den Hexameter in der deutschen
Dichtung ein und schmolz die deutsche Sprache im Hochofen der griechischen
Syntax um, aber dem handwerksmäßigen Gebrauche der griechischen und römischen
Mythologie kündigte er im nltgermanischeu Gewände der Bardeudichtung den
Krieg an, Voß lehrte den Homer deutsch reden und schug Theokrit mit der
deutscheu Idylle aus dem Felde, Lessing, obgleich er sich nie ganz aus den
Windeln seiner Gymuasialstndien losmachen konnte, war der Held, welcher das
anmaßende hohle Gelehrtentum der buchstabenglüubigc" Zeit zertrümmerte.
Wie bedeutend diese Vorkämpfer des nationalen Bewußtseins aber auch auf
ihre Zeit einwirkten, das französische Wesen rotteten sie noch keineswegs
ans. Von dem Hofe und dem Hofadel war es ausgegangen, an den Höfen
und in den adlichen Kreisen hatte es sich festgesetzt, hier galt es als die Legiti¬
mation aller höhern Bildung, und da man nur in Hof- und Adelskreisen mit
allen Einzelheiten der französischen Anschauungsweise vertraut sein konnte, so
wurde ganz unmerklich hinter dem Adel der schwarze Strich gezogen, jenseits
dessen man eine höhere Bildung nicht gelten lassen wollte. Die Gelehrten, die
höhern Staatsdiener, die Theologen, Mediziner, Literaten und Gymnasiallehrer
gehörten nur der subtropische" Zoue an, wenn sie sich nicht in den Adelskreisen
eine Art Schntzverwandtschaft zu erwerben wußten. Ein wesentliches Merkmal
dieser französischen Adelsbildung war der Witz, d. h. die trockne Verstandes¬
schärfe, der nichts heilig ist, was nicht einen augenblicklichen, sinnlich wahrnehm¬
baren Vorteil verspricht. Es war ein nackter Realismus, der sich in einer fri¬
vole" Bekrittelung der kirchlichen und staatlichen Verhältnisse gefiel und daneben
eine vornehme Verachtung aller Tugendidealc zur Schau trug. Da es in
Kirche, Staat und sozialem Leben außerordentlich viel Mittelalterliches, Ver¬
brauchtes und Hemmendes gab, so fehlte es dem vornehmen Spotte nicht an
Stoff; die adlichen Aufklärer dachten aber nicht daran, in diesen Dingen eine
Wandlung und Besserung zu schaffen, sondern sie fanden ihr Behagen nur darin,


Grenzboten et, 1L86. 58
Bor llainpf der deutschen Nationalität mit fremden Rnltnreii.

der französischen Kritiker in deutscher Übersetzung, Gottsched selbst, so tief er in
die französischen Muster verstrickt war, machte Voltaire keinen Besuch, als dieser
durch Leipzig reiste. Der Kampf gegen die geistige Übermacht der Franzosen
entbrannte bald darauf in der heftigsten Weise. Klopstock schlug mit der Keule
Arnims auf die Wälschen ein, Wieland suchte es ihnen an Eleganz des Aus-
druckes gleich zu thun, Lessing rückte mit Sophokles und Shakespeare im Bunde
gegen Voltaire vor. Endlich, 1773, trat der junge Goethe in die Schranken
und stellte wie mit Zauberkraft die deutsche Dichtkunst auf eigne Füße. Es
war wirklich ein Kampf des nationalen gegen das Fremde, wenn auch nicht-
eingeborne Größen, die Griechen und die Engländer, als Hilfstruppen im Hinter¬
grunde standen. Klopstock, Boß, Lessing waren im Treibhause des Lampenlichtes
und der alten Klassiker aufgewachsen, aber sie waren kerndeutsche Naturen,
die aus ihren lateinischen und griechischen Studien keine Voreingenommen¬
heit dafür mitbrachten. Klopstock bürgerte den Hexameter in der deutschen
Dichtung ein und schmolz die deutsche Sprache im Hochofen der griechischen
Syntax um, aber dem handwerksmäßigen Gebrauche der griechischen und römischen
Mythologie kündigte er im nltgermanischeu Gewände der Bardeudichtung den
Krieg an, Voß lehrte den Homer deutsch reden und schug Theokrit mit der
deutscheu Idylle aus dem Felde, Lessing, obgleich er sich nie ganz aus den
Windeln seiner Gymuasialstndien losmachen konnte, war der Held, welcher das
anmaßende hohle Gelehrtentum der buchstabenglüubigc» Zeit zertrümmerte.
Wie bedeutend diese Vorkämpfer des nationalen Bewußtseins aber auch auf
ihre Zeit einwirkten, das französische Wesen rotteten sie noch keineswegs
ans. Von dem Hofe und dem Hofadel war es ausgegangen, an den Höfen
und in den adlichen Kreisen hatte es sich festgesetzt, hier galt es als die Legiti¬
mation aller höhern Bildung, und da man nur in Hof- und Adelskreisen mit
allen Einzelheiten der französischen Anschauungsweise vertraut sein konnte, so
wurde ganz unmerklich hinter dem Adel der schwarze Strich gezogen, jenseits
dessen man eine höhere Bildung nicht gelten lassen wollte. Die Gelehrten, die
höhern Staatsdiener, die Theologen, Mediziner, Literaten und Gymnasiallehrer
gehörten nur der subtropische» Zoue an, wenn sie sich nicht in den Adelskreisen
eine Art Schntzverwandtschaft zu erwerben wußten. Ein wesentliches Merkmal
dieser französischen Adelsbildung war der Witz, d. h. die trockne Verstandes¬
schärfe, der nichts heilig ist, was nicht einen augenblicklichen, sinnlich wahrnehm¬
baren Vorteil verspricht. Es war ein nackter Realismus, der sich in einer fri¬
vole» Bekrittelung der kirchlichen und staatlichen Verhältnisse gefiel und daneben
eine vornehme Verachtung aller Tugendidealc zur Schau trug. Da es in
Kirche, Staat und sozialem Leben außerordentlich viel Mittelalterliches, Ver¬
brauchtes und Hemmendes gab, so fehlte es dem vornehmen Spotte nicht an
Stoff; die adlichen Aufklärer dachten aber nicht daran, in diesen Dingen eine
Wandlung und Besserung zu schaffen, sondern sie fanden ihr Behagen nur darin,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198065/465>, abgerufen am 29.12.2024.